Humor in der Lyrik – Folge 65: Franz Grillparzer (1791-1872) – Ein schöngeistiges Sensibelchen

Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.

 

Es gibt Menschen, die ihren Namen hassen, den Vornamen oder den Nachnamen oder beide. Zwangsneurotisiert können sie den Namen weder aussprechen, noch aufschreiben, noch als Unterschrift aufs Papier setzen. Und manchmal hassen sie auch den Vater, der ihnen den Namen vererbt hat. So war das auch bei Franz Seraphicus Grillparzer, der ebenfalls seinen Namen hasste. Aber nicht nur den Namen hasste er, er hasste noch mehr und nörgelte – typisch österreichisch! – über Gott und die Welt:

 

Über seine Lehrer, die ihm nichts beigebracht haben,
über seine Universitätsprofessoren, alles Schwachköpfe und Psychopaten,
über seinen Beruf als verbeamteter Aktenknecht im Finanzministerium,
über Frauen, in die er verliebt ist, die er aber nicht heiratet,
über das Publikum, wenn es ein Theaterstück ablehnt,
über das Leben, das er für verpfuscht hält,
über Katholiken, die an seiner Lyrik Anstoß nehmen,
über gehässige Kritiker, die schlecht über seine Dichtung urteilen.

 

An die Kritiker

Die Kritiker, will sagen: die neuen,
Vergleich ich den Papageien.
Sie haben drei oder vier Worte,
Die wiederholen sie an jedem Orte.

Romantisch, klassisch und modern:
Scheint schon ein Urteil diesen Herrn.
Und sie übersehen in stolzem Mut
Die wahren Gattungen: schlecht und gut.

 

1791 geboren als Sohn eines verschuldeten Advokaten, wächst Franz in einer Welt ununterbrochener Kriege auf, der sogenannten Napoleonischen Kriege, die ein Jahr nach seiner Geburt beginnen und 1815 enden, als er 24 Jahre alt ist.

 

Biografisch

Am fünfzehnten Jänner 1791 geboren.
Gestorben? – Ich weiß noch nicht, wann?
Kommt einst dir das Datum zu Ohren,
So fügs zur Ergänzung hier an.

Und hast du es niedergeschrieben,
So hast du mich ganz, auf ein Haar.
Was etwa noch übrig geblieben,
Wird wohl nach dem Tode erst wahr.

 

Franz, der in Wien Jura studiert, muss sich 1809 nach dem Tod des Vaters, der die Familie in Not zurücklässt, nach einem Beruf umsehen, der ihm materielle Unabhängigkeit sichert. Und so wird er Beamter im Finanzministerium und studiert Aktenberge über Finanzen, Handel, Wirtschaft, Bergbau und Verkehr, die nichts, aber schon gar nichts mit der von ihm angebeteten Poesie, Literatur und Kunst zu tun haben. Was er von Ministern hält, drückt er in einem kleinen Gedicht aus, das noch heute auf diese politischen Sesselfurzer bestens passt:

 

Niederösterreichisch

Der Minister des Äußern
kann sich nicht äußern;
der Minister des Innern
ist schwach im Erinnern,
der Kriegsminister
trägt Szepter und Kron´ im Tornister,
der Minister der Finanzen
muß nach jedes Pfeife tanzen,
der Minister des Handels
ist unsichtbaren Wandels,
der Minister der Justiz
hat nicht Stimme, nur Sitz,
der Minister des Kultus
ändert Kultus in stultus
der Chef der Polizei
schüttelt den Kopf dabei.

 

Besser als sein Beamtenjob würde Grillparzer der Posten in der Hofbibliothek gefallen, doch der wird ihm verweigert und so kommt er von den Akten nicht los. Erst 1856 im Alter von 64 Jahren kann er als vergrämter Hofrat in den Ruhestand treten. Verheiratet ist der ehescheue Junggeselle nie, obwohl er sich als „großen Weiberfreund“ bezeichnet. Die Hochzeit mit seiner Verlobten Katharina Fröhlich, seiner „ewigen Braut“ verweigert er. „Wir glühten – aber, ach, wir schmolzen nicht“, seufzt er. Als er sie doch noch heiraten will, weist sie den Antrag beleidigt zurück, bleibt aber bis zu seinem Ende an seiner Seite, gleichsam als ständige Erinnerung an eine versäumte Gelegenheit.

Porträtlithographie Franz Grillparzer (1791-1872)
Franz Grillparzer (1791-1872) in einer Originallithographie (1841) von Josef Kriehuber (Reproduktion: Wikimedia / Peter Geymayer)

Erfreulicher ist zunächst seine dichterische Karriere. 1817, Grillparzer ist 26 Jahre jung, wird in Wien mit großem Erfolg seine erste Tragödie: „Die Ahnfrau“ aufgeführt. Im Leben brechen zu dieser Zeit zwei schockierende Tragödien über ihn herein, die ihn ein Leben lang begleiten. 1817 begeht sein jüngerer Bruder Selbstmord und zwei Jahre später findet er seine geliebte Mutter erhängt in der Wohnung.

In kurzen Abständen, zum Glück nur im Theater, folgt nun eine Tragödie auf die andere, so das Trauerspiel „Sappho“, die Trilogie „Das Goldene Vlies“, das dramatische Märchen „Der Traum ein Leben“, die Tragödie „König Ottokars Glück und Ende“, die Charaktertragödie „Ein treuer Diener seines Herrn“, die Liebestragödie „Des Meeres und der Liebe Wellen“, in der er die sexualitätsfeindliche Moral der katholischen Kirche anprangert, was ihm nicht schwer fällt, da er, wie er betont, „nicht im mindesten religiös“ sei, weshalb ihm auch Epigramme, wie folgende nicht schwer fallen:

 

Der Staat stützt sich auf Adel und Kirche,
Die beide sich wieder nur stützen auf ihn.
Das gleicht dem Versuch des Baron Münchhausen,
Sich am eigenen Zopf aus dem Sumpfe zu ziehn.

***

Unser Gott ist ein greifbares Faktum.
Wir nehmen vorerst den Darm als Abstraktum
Und stopfen demnächst von dem wirklichen Schwein
So Fleisch als Fett und Blut hinein.
So füllt sich die Leere, wird straff und stet,
Das schlotternde Absolute konkret.

 

1838 dann, ausgerechnet mit „Weh dem, der lügt“, keiner Tragödie, sondern einem Lustspiel, landet er einen grandiosen Publikums-Misserfolg. Vergrämt und verbittert darüber zieht sich Grillparzer völlig aus der Öffentlichkeit zurück. Er, der keine Kritik ertragen kann, glaubt ein Versager zu sein. „Es macht mich traurig, daß mir alles im Leben mißlingt“, notiert er ins Tagebuch.

 

Der Halbmond

Der Halbmond glänzet am Himmel,
Und es ist neblicht und kalt.
Gegrüßt seist du Halber dort oben,
Wie du, bin ich einer, der halb.

Halb gut, halb übel geboren,
Und dürftig in beider Gestalt.
Mein Gutes ohne Würde,
Das Böse ohne Gewalt. […]

Halb gab ich mich hin den Musen,
Und sie erhörten mich halb.
Hart auf der Hälfte des Lebens
Entflohn sie und ließen mich alt. […]

 

Die folgenden 34 Jahre bis zu seinem Tod lässt er kein neues Stück von sich mehr aufführen, auch wenn er das Schreiben und Dichten nicht lassen kann. Im stillen Kämmerlein verfasst er Epigramme, Novellen, literarische Studien und Gedichte und mitunter recht boshafte.

 

Alpenszene

Hoch auf den höchsten Höhen
Gedeiht am besten das Rindvieh,
Da wohnen die seligen Trotteln
Dem Himmel etwa am nächsten,
Doch freilich am fernsten der Erde.

Sie scheren geduldige Schafe,
Sie melken die strotzenden Kühe,
Sie leben vom Fette der Herden,
In Form der Köpfe die Kröpfe.

Sie falten die Hände voll Andacht,
Bekreuzen hohltönende Stirnen.
Was unten geschieht in den Tälern,
Stört nicht ihre selige Ruhe.

Geduldig sind sie, bescheiden,
Es fehlt der Antrieb zum Bösen,
Und tun sie wirklich ein Unrecht,
Wärs unrecht, sie drob zu beschuldgen,
Und Nachsicht ersetzt ihre Einsicht.

So leben sie friedliche Tage,
Erzeugen maulaffende Kinder,
Der Vater erneut sich im Sohne
Und ruhig auf Trottel den Ersten,
Wie Butter, folgt Trottel der Zweite.

 

Der modernen Lyrik seiner Zeit liest Grillparzer 1835 in seinen „Aesthetischen Studien – Zur Poesie im allgemeinen“ die Leviten: „Diese neuere Lyrik“, klagt er, „ist kein Fluß, in dem man schwimmen kann; sie ist ein Weiher, in dem sich zwar auch Sonne und Sterne spiegeln, der aber durchrankt von Wasserpflanzen ist, gestockt von Gedankenstämmen, besandet mit Niederschlag aller Art, so daß es ohne Waten nicht abgeht. Man kann darin allerdings noch baden, aber schwimmen nicht. Und es schwimmt sich so erquicklich in Gottes freier Luft ohne Arg und besonders Nachdenken! […] Dieses matte Schaukeln zwischen Himmel und Erde, Prosa und Poesie, das die neuere Lyrik charakterisiert, macht mir Uebelkeit; will ich einmal den Boden verlassen, so gescheh´ es im Luftball steilrecht in die Wolken hinauf. Vortreffliche Bausteine, diese Legion wahrgefühlter deutscher Gedichte, aber ich sehe kein Gebäude […] Es ist das Grundübel der Poesie (der lyrischen besonders) aller neueren (neuesten) Nationen, daß sie sich zur Prosa hinneigt. Nicht dadurch, daß sie trivial wird (das geschah eher in früheren Zeiten), sondern gerade, wenn sie sich erhebt. Ihre höchste Erhebung ist nämlich bis zum Gedanken, indes nichts poetisch ist als die Empfindung.“

Nach Grillparzers Rückzug in die Isolation 1835 entstehen auch wieder Trauerspiele, so „Die Jüdin von Toledo“, „Ein Bruderzwist im Hause Habsburg“ und „Libussa“, doch sie gelangen erst nach seinem Tod an die Öffentlichkeit. Ehrungen, wie die Mitgliedschaft in der Akademie der Wissenschaften, die 1847 dem 56 jährigen zuteilwerden, hellen seine trübe Stimmung ebenso wenig auf wie ein großes Fest zu seinem 80. Geburtstag. Ein Jahr später, am 21. Jänner 1872, eine knappe Woche nach seinem 81. Geburtstag schließt Grillparzer seine Augen für immer. Posthum verneigt man sich vor ihm, dem Nationaldichter Österreichs.

 

 

Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München

»Humor in der Lyrik« wird Ihnen von Alfons Schweiggert präsentiert. Der Münchner Schriftsteller veröffentlichte neben Erzählungen und seinem Roman »Das Buch« mehrere Lyrikbände, Biographien und Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München ist er seit 2010 freischaffender Autor. Schweiggert ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Turmschreiber und Vorstand der »Karl Valentin-Gesellschaft«.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert