Humor in der Lyrik – Folge 66: Christian Dietrich Grabbe (1801-1836) – Höhnisches Lachen über die Welt!

Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.

 

„Da sitze ich, trinke Kaffee, kaue Federn, schreibe hin, streiche aus,
und kann keinen Gedanken finden, keinen Gedanken! –
Ach, die Gedanken! Reime sind da, aber die Gedanken, die Gedanken!
Ha, wie ergreife ich´s nun? –

Halt, halt! Was geht mir da für eine Idee auf! – Herrlich, göttlich!
Eben über den Gedanken, daß ich keinen Gedanken finden kann,
will ich ein Sonett machen, und wahrhaftig, dieser Gedanke
über die Gedankenlosigkeit ist der genialste Gedanke,
der mir nur einfallen konnte! Ich mache gleichsam eben darüber,
daß ich nicht zu dichten vermag, ein Gedicht, wie pikant, wie originell!

 

So äußert sich der „Dichter Rattengift“ in Grabbes Komödie „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“. Grabbe, der kein Lyriker war, las Lyrikern mit diesen Zeilen gehörig die Leviten. Dichter, die nur nach Erfolg gieren und ohne auch nur einen Gedanken zu haben allein deshalb drauflosdichten, weil sie sich Ansehen erhoffen und nach Erfolg gieren, vergiften die Gedanken der Leser und sind schädlich wie Ratten.

Grabbes Komödie ist mit grotesker Situationskomik, satirischen Einfällen, drastischen Rüpelszenen und destruktiv-witzigem Klamauk gespickt. Der Inhalt ist schnell erzählt.

Damit er beim Höllenputz nicht stört, verschlägt es den Teufel auf die Erde, wo er in extremer Sommerhitze – für ihn leider viel zu kalt – erfriert. Vier Naturhistoriker bringen ihn ins Schloss eines Barons und tauen ihn am heißen Kamin auf, obgleich sie überzeugt sind: „Der Teufel passt nicht in unser System.“ Doch der zeigt, dass dem nicht so ist und schiebt auf dem Schachbrett Welt seine Figuren herum. Als Oberkirchenrat wendet er sich der Baronesse Liddy zu, die von skurrilen Männern umworben wird. Der Teufel kauft Liddy ihrem geldgierigen Bräutigam ab, gibt sie Freiherrn von Mordax, einem geilen Bock, der dafür zwölf Schneidergesellen ermorden und einem die Rippen brechen muss. Mordax ist nur an ihrem Körper interessiert. Und der dilettantische Dichter Rattengift umwirbt die Baronesse, um sie als Türöffner für die besseren Kreise zu missbrauchen. Der dauerbesoffene Schulmeister stellt im Wald einen Käfig mit 16 Kondomen als Köder auf. Prompt geht der Teufel in die Falle, wird aber von des Teufels Großmutter befreit und darf in die Hölle zurück. Liddy bekommt den abgrundhässlichen Herrn Mollfels zum Mann.

Den Höhepunkt der Komödie mit reichlich satirischen Seitenhieben auf die zeitgenössische Literatur bildet der Auftritt Grabbes höchstpersönlich, den der versoffene Schulmeister gar nicht auf die Bühne lassen will: „Das ist der vermaledeite Grabbe“, schreit er, „oder wie man ihn eigentlich nennen sollte, die zwergige Krabbe, der Verfasser dieses Stücks! Er ist so dumm wie’n Kuhfuß, schimpft auf alle Schriftsteller und taugt selber nichts, hat verrenkte Beine, schielende Augen und ein fades Affengesicht!“ Ja, nicht einmal vor sich selber macht Grabbes Spott in seinem Lustspiel Halt, das er 1822 verfasst und über das er urteilte, es werde „bei einem jeden lautes Lachen erregen, doch im Grunde nur ein Lachen der Verzweiflung“. Grabbe hält in seiner Komödie als verbitterter Moralist der gesamten Gesellschaft, die im Grunde keinen Teufel braucht, um sich zu ruinieren, den Zerrspiegel vor. Er zeigt die aus den Fugen geratene kleinkarierte Welt mit ihrer Oberflächlichkeit, Geldgier, Selbstsucht und Borniertheit. Alle werden schonungslos durch den Kakao gezogen: Adel, Spießbürger, Wissenschaftler und Künstler. Dass die Regierungen „immer noch zaudern, endlich einmal einen Schock Poeten wegen ihrer elenden Gedichte hinzurichten“, ist eine Grausamkeit gegenüber dem Publikum.

„Die Welt“, so die Ansicht des Dichters Rattengift, „ist weiter nichts als ein mittelmäßiges Lustspiel, welches ein grünschnäbeliger Engel, der wenn ich nicht irre noch in der Prima sitzt, während seiner Schulferien zusammengeschmiert hat.“ Grabbe selbst erlebte die Inszenierung seiner Komödie nicht mehr, die erst 1876 in seinem 40. Todesjahr am Akademietheater in Wien erstaufgeführt und 1907 öffentlich uraufgeführt wurde.

Der heute nicht mehr ganz so nachvollziehbare Spott auf den Literaturbetrieb seiner Zeit lässt sich heute in Neuinszenierungen auf den gegenwärtigen Literaturrummel leicht anpassen. Somit hat Grabbes anarchisches Lustspiel als pessimistische Satire über die Nichtigkeit des Menschen und all seinen Treibens immer noch Biss. Es ist bis heute das meistaufgeführte Stück des Autors, der 1801 in Detmold als Sohn eines Zuchthausverwalters aufwächst. Der Hof des Zuchthauses ist sein Kinderspielplatz, auf dem er die Gefangenen hautnah erlebt. „Was soll aus einem Menschen werden“, fragt er sich später, „dessen erstes Gedächtnis das ist, einen alten Mörder in freier Luft spazieren geführt zu haben!“

Porträt Christian Dietrich Grabbe
Christian Dietrich Grabbe (Zeitgenössische Lithographie)

Bereits im Alter von 16 Jahren beginnt er zu schreiben, beginnt aber nach dem Abitur 1820 an der Leipziger Universität das Studium der Rechtswissenschaften, das er 1822 in Berlin fortsetzt. Bei seinen Mitstudenten ist er für ebenso für seine Arroganz bekannt wie für seine Alkoholexzesse. Geschätzt wird er wegen seiner geistreichen Äußerungen, etwa folgende, die auch heute noch gelten:

Wenn die Religion von dem vielen Dampf,
den sie machen muß
nur nicht bald selbst verdampft!
***
Ein halber Christ
ist ein ganzer Unsinn.
***
Aus Nichts schafft Gott,
Wir schaffen aus Ruinen.
Erst zu Stücken müssen wir uns schlagen,
eh´wir wissen,
was wir sind und was wir können.
***

 

Dabei scheut er sich nicht, Anwesende auch vor den Kopf zu stoßen. Auffallend ist der ständige Wechsel von Phasen heiterer Laune zu Niedergeschlagenheit, geprägt von zynischen Äußerungen und bitterem Spott. Seinen Kummer über das muffige Provinzleben ertränkt er in Alkohol.

Der Mensch ist in facto nichts;
er ist nur Erinnerung oder Hoffnung,
was man Gegenwart nennt, ist ein hässliches Ding,
und kaum kann man es bemerken.
Meine Seele ist tot, was jetzt noch
unter meinem Namen auf der Erde sich hinschleift,
ist ein Grabstein, an welchem Tag für Tag
weiter an der Grabschrift gehauen wird.

 

1822 wird er mit seinem Drama „Herzog Theodor von Gothland“ in literarischen Kreisen bekannt und lernt u.a. auch Heinrich Heine kennen. Im selben Jahr erscheint das erwähnte Lustspiel „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“. Mit Unterstützung von Ludwig Tieck will Grabbe in Dresden Schauspieler werden, was wegen mangelnder Begabung jedoch fehlschlägt. Daraufhin legt er in Detmold sein juristisches Examen ab und erhält 1828 das Amt eines Militärrichters.

Das Schreiben gibt er aber nicht auf und verfasst die Dramen „Don Juan und Faust“ (1828), „Napoleon oder die hundert Tage“ (1831) und „Hannibal“ (1835). Die Heirat mit der zehn Jahre älteren Louise Clostermeier 1833 wird unglücklich. Die Eheprobleme verstärken seine Depressionen und führen zur Zunahme der Alkoholexzesse. Eines Vormittags melden sich zwei Offiziere bei ihm zur Vereidigung. Grabbe empfängt sie nach durchgezechter Nacht noch immer betrunken in Unterhosen, Pyjamajacke und mit einer Flasche Rum. Als die beiden sein Angebot, mit ihm zu trinken, ablehnen, verschwindet Grabbe, um kurz darauf in Pantoffeln und in über die Unterhose gezogenen schwarzen Seidenstrümpfen zu erscheinen, dazu trägt er einen schwarzem Frack über der Pyjamajacke und eine um den nackten Hals geschlungene schwarze Krawatte. Dieser Aufzug reizt die Offiziere zum Lachen. „Lacht nicht!“ herrscht Grabbe sie an. „Das ist eine feierliche Handlung. Denkt an Gott!“ Kaum ist die Vereidigung geschafft, befiehlt er: „Nun müsst ihr aber mit mir trinken, eher kommt ihr nicht weg!“

1834 verliert er infolge seiner Alkoholkrankheit seinen Posten als Justizbeamter beim Militär. Ohne Abschied von seiner Frau verlässt er Detmold und zieht auf Einladung von Karl Immermann nach Düsseldorf, wo er bis 1836 am dortigen Stadttheater arbeitet. In dieser Zeit verfasst er das historische Drama „Die Hermannsschlacht“.

Todkrank kehrt er 1836 nach Detmold zurück und logiert zunächst in einem Gasthaus, da seine Frau ihm den Zutritt zum gemeinsamen Heim verweigert. Erst mit Hilfe der Polizei kommt er schließlich ins Haus. Auch seine Mutter muss sich den Zugang zu ihrem sterbenden Sohn erzwingen.

 

Selbstporträt

Ich stehe erträglich und verdiene auch erträglich.
Aber ich bin nicht glücklich. Werde es wohl auch nie wieder sein.
Ich glaube, hoffe, wünsche, liebe, achte, hasse – nichts,
sondern verachte nur noch immer das Gemeine.
Ich bin mir selbst so gleichgültig,
wie es mir ein Dritter ist.

 

Als Grabbe das schrieb, war er 26 Jahre alt. Nur neun Jahre später stirbt er nach Siechtum und Unglück, an Leib und Seele gebrochen nach einem Leben der Rebellion und Provokation am 12. September 1836 im Alter von erst 35 Jahren.
Einen „betrunkenen Shakespeare“ nannte Heinrich Heine den Dichter Grabbe, der sieben Dramen und drei Lustspiele für die Schublade geschrieben hat und so geistreiche Sentenzen formulieren konnte wie diese:

 

Nichts glauben kannst du, eh du es nicht weißt,
Nichts wissen kannst du, eh du es nicht glaubst!“
Kein irdscher Geist, der dieses Rätsel ahnt,
Und nicht nach seiner Lösung seufzte, – Keiner,
Der sie gefunden, – Selig die, die schwach
Genug sind, um vom Schein geblendet, Schein
Für Licht zu halten, – blindlings glauben, weil
Sie blindlings hoffen! Die Schlaftrunknen Seelen!

 

 

 

Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München

»Humor in der Lyrik« wird Ihnen von Alfons Schweiggert präsentiert. Der Münchner Schriftsteller veröffentlichte neben Erzählungen und seinem Roman »Das Buch« mehrere Lyrikbände, Biographien und Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München ist er seit 2010 freischaffender Autor. Schweiggert ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Turmschreiber und Vorstand der »Karl Valentin-Gesellschaft«.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.

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