Jubiläumsblog. Ein Vierteljahrhundert DAS GEDICHT
Folge 37: Alfons Schweiggert – Der Mensch hinter dem Dichter

Seit 25 Jahren begleitet die Zeitschrift DAS GEDICHT kontinuierlich die Entwicklung der zeitgenössischen Lyrik. Bis heute ediert sie ihr Gründer und Verleger Anton G. Leitner mit wechselnden Mitherausgebern wie Friedrich Ani, Kerstin Hensel, Fitzgerald Kusz und Matthias Politycki. Am 25. Oktober 2017 lädt DAS GEDICHT zu einer öffentlichen Geburtstagslesung mit 60 Poeten aus vier Generationen und zwölf Nationen ins Literaturhaus München ein. In ihrer Porträtreihe stellt Jubiläumsbloggerin Franziska Röchter jeden Tag die Teilnehmer dieser Veranstaltung vor.

Alfons Schweiggert veröffentlichte mehrere Bio­graphien und Sach­bücher, außerdem Erzählungen und Lyrik sowie pädagogische Fach­bücher und zahlreiche Kinder- und Jugend­bücher. Nach mehrjähriger Lehr­tätigkeit an der LMU München und Mitwirkung in der Lehrer­ausbildung, arbeitete er viele Jahre als Instituts­rektor am Staats­institut für Schul­qualität und Bildungs­forschung, München.

Auszeichnungen u.a.: Besten­liste zum Deutschen Jugend­literatur­preis, Literatur­preis München-West, Bayerischer Poeten­taler. 1997 Werk­schau in der Inter­nationalen Jugend­bibliothek, München. Von 2000 bis 2017 Präsidiums-Mitglied der Schrift­steller­vereinigung »Turm­schreiber« und seit 2007 im Vor­stand der von ihm begründeten »Karl Valentin-Gesellschaft«.

Alfons Schweiggert ist unübertroffen in seiner literarischen Produktivität. Er sprach mit Franziska Röchter über seine vielseitigen Interessensgebiete, sein breitgefächertes literarisches Engagement und seine Wünsche an die Stadt München im Hinblick auf das geistige Erbe Karl Valentins.

Gedichte ermöglichen Begegnungen mit mir selbst und mit unverstellten Wahrheiten.

Wenn man sich die Sendung »Heimat – typisch Bayern: Habe die Ehre!« des Bayrischen Rundfunks zu Alfons Schweiggerts neuem Buch »Ludwig II. und der Starnberger See« anhören möchte, sollte man sich annähernd zwei Stunden Zeit nehmen: Sobald Schweiggert über sein Herzensthema, den Bairischen Märchenkönig, ins Reden kommt, schwelgt er in den Erzählungen über das Leben des legendären Regenten in einer Art und Weise, dass man meinen möchte, er hätte selbst in der Zeit gelebt. So sehr sprudelt Schweiggert vor Begeisterung und fundiertem Detail-Wissen, dass man einfach weiter zuhören muss und sich unweigerlich in das Leben Ludwig II. und seine Zeit, in die Welt vor ungefähr 150 Jahren rund um den Starnberger See versetzt fühlt. Wenn es dann noch übergeht zur Cousine des Bayernkönigs, der Kaiserin Sisi, dann möchte man am liebsten dabei gewesen sein oder sich gleich sämtliche Werke Schweiggerts zu diesem schier unerschöpflichen Thema zulegen.

Ob es sich um das aktuelle Werk über den Vater der Kaiserin, Herzog Max in Bayern (»Sisis wilder Vater«), oder um die Veröffentlichung zu Dr. Bernhard von Gudden, dem Gutachter des bairischen Königs (»Der Mann, der mit Ludwig II. starb«), handelt, ob Ludwigs Verhältnis zu Frauen, sein unglücklicher Bruder Otto I. oder viele andere wichtige Personen im Leben des visionären Königs beleuchtet werden: Alfons Schweiggert beleuchtet die Mysterien und Geheimnisse um den am Ende seines intensiven Lebens entmündigten Mann. Selbst Kinderbücher zu Ludwig II. hat Alfons Schweiggert schon veröffentlicht, er gilt als der Spezialist schlechthin zu diesem Themengebiet und fördert Jahr für Jahr neue Erkenntnisse und Details zutage.

Jedoch: Den unglaublich produktiven Schriftsteller, der mindestens 15 Bücher, etliche Monografien mit jeweils anderen Schwerpunkten, allein über den Bayernkönig verfasst hat, auf dieses Sachgebiet einschränken zu wollen, wäre ein Kardinalfehler. Denn die Interessen von Alfons Schweiggert sind so breit gefächert und vielschichtig wie die Anzahl seiner Publikationen beinahe unüberschaubar ist: Noch weit vor der Jahrtausendwende hatte Alfons Schweiggert bereits rund 169 Bücher insgesamt veröffentlicht. Einige seiner hervorstechenden Eigenschaften: Neugier, Ablehnung von Schubladendenken, viel Humor und zweifelsohne eine große Portion natürlicher Fleiß.

Gern möchte ich von Alfons Schweiggert wissen, wodurch diese extrem produktive und erfolgreiche Schriftstellerkarriere ausgelöst wurde und was ihn angetrieben hat außer der Lust am Schreiben.

 

Alfons Schweiggert. Foto: Volker Derlath
Alfons Schweiggert. Foto: Volker Derlath

 

Das Werk eines Künstlers ist stets aufs Engste mit seinem Leben verbunden.

Lieber Alfons Schweiggert, wodurch ist dieses immense Interesse am Leben von Ludwig II. entstanden?

Im Grunde genommen war Ludwig II. ein Künstler. Bei ihm verwischen sich die Grenzen zwischen den Phänomenen Genialität und Wahnsinn, Traum und Realität, zwischen Romantik und Moderne. Er bewegte sich auf dem schmalen Grat, der zwischen Rationalität und Irrationalität, zwischen Lüge und Wahrheit, zwischen Bekanntem und Unerforschtem und zwischen Ordnung und Chaos verläuft, wobei er den Absturz ständig einkalkulieren musste. Seine künstlerischen Bemühungen weisen ihn als Grenzgänger zwischen den Sphären Leben und Tod, Diesseits und Jenseits aus. Diese Niemandsländer zu erkunden, empfand er als seine Lebensaufgabe. Und darin gleicht er durchaus Künstlern, auch Schriftstellern.

Sie interessieren sich sehr für das Leben anderer Menschen, vor allem von wichtigen, oft bayrischen Persönlichkeiten. Glauben Sie, dass man ein Werk überhaupt richtig (ein)schätzen kann, ohne etwas über den Autor zu wissen?

Das Werk eines Künstlers ist stets aufs Engste mit seinem Leben verbunden. Und deshalb interessiere ich mich stets für die Biographie interessanter Persönlichkeiten. Nicht nur über Ludwig II. habe ich Biographisches verfasst, sondern auch über Franz Kafka, Erich Kästner und den großen Tragikomiker Karl Valentin.

Die Erforschung dieser Lebensläufe muss unheimlich intensiv sein. Müssen Sie sich auch häufig an unterschiedliche Orte begeben, um noch etwas Neues herauszufinden?

Ja, die Recherchen sind höchst spannend und führen oft zu unerwarteten, bisher nicht bekannten Erkenntnissen. Jeweils Neues herauszufinden, ist überhaupt das Faszinierende an dieser Arbeit.

Was manch einer vielleicht nicht weiß: Auch als Illustrator, etwa von Kinderbüchern, sind Sie sehr erfolgreich. Als junger Mann waren Sie sogar bei einer sehr bekannten Satirezeitschrift beschäftigt. Wie lange haben Sie das gemacht?

Sechs Jahre, von 1974 bis 1979. Über 150 satirische Beiträge habe ich für das legendäre satirische Monatsmagazin »Pardon« verfasst, darunter auch etliche Cartoons gezeichnet. Hans A. Nikel, der Chef und Herausgeber dieser Zeitschrift, hatte mich eines Tages zur Mitarbeit eingeladen. 1980 wurde das Magazin allerdings leider eingestellt.

Karl Valentin verfolgt mich seit über 30 Jahren.

Als großer Karl-Valentin-›Fan‹ sowie Gründer und Vorsitzender der Karl-Valentin-Gesellschaft haben Sie natürlich auch eine ganze Palette Bücher zu Karl Valentin veröffentlicht und werden womöglich weitere veröffentlichen. War das Ende des Künstlers nicht ebenso mysteriös wie das von Ludwig II.?

Zum Teil ja, auch wenn das Ende beider nicht direkt vergleichbar ist. Karl Valentin verfolgt mich seit über 30 Jahren. In dieser Zeit veröffentlichte ich u.a. Bücher über sein »Panoptikum« und sein Verhältnis zu seinen Bühnen- und Lebenspartnerinnen, über seine ›Stummzeit‹ in Planegg und sein multimediales Werk. Besonders spannend war das siebte Buch »Karl Valentin und die Politik«, zu dem mich Gerhard Polt angeregt und schließlich auch das Vorwort verfasst hat. Bei meinen Recherchen habe ich bislang unbekanntes Material entdeckt, das neue Facetten in Valentins Persönlichkeit aufzeigt. So dachte er beispielsweise schon bei Ausbruch des Dritten Reiches daran, zur Sicherung des Friedens ein vereinigtes Europa zu gründen.

Viele prominente Persönlichkeiten sind mittlerweile in die Gesellschaft aufgenommen worden. Was steht bei Ihnen aktuell in der Karl-Valentin-Gesellschaft auf dem Plan?

In München gibt es ein Valentin Musäum und einen Valentin-Brunnen auf dem Viktualienmarkt. Das ist entschieden zu wenig für den großen Tragikomiker, der nach Oskar Maria Grafs Urteil ebenso bedeutend ist wie Charlie Chaplin. Doch Valentin ist im Ausland viel mehr geachtet als in seiner von ihm heiß geliebten Stadt München. Längst verdient er hier ein großes Haus, ein eigenes Valentin-Zentrum, in dem er in allen Sparten der Kunst lebendig wird. Außerdem muss München endlich den Titel »Karl Valentin-Stadt« annehmen. Des Weiteren muss hier ein festes Valentin-Karlstadt-Theater eingerichtet werden, in dem ganzjährig unbekannte Sketche, Szenen und Stücke Valentins zur Aufführung kommen. Höchste Zeit wird es auch, dass eine Schule nach ihm benannt wird. Ich habe ja 2007 den Großen Karl Valentin-Preis initiiert, den bisher Gerhard Polt und die Biermößl Blosn, Fredl Fesl, Helge Schneider und Sigi Zimmerschied erhalten haben. Aber es gibt noch viel zu tun.

Kafka verdient auch als Lyriker Beachtung.

Unter anderem widmen Sie sich auch mit Leichtigkeit einigen als eher schwierig geltenden Charakteren aus der Literatur. So haben sie einen Text von Thomas Bernhard illustriert und auch Bücher zu Franz Kafka verfasst, darunter eines, in dem sie sich erstmals mit der Bedeutung Kafkas als Lyriker befassen. Was war Ihnen dabei besonders wichtig?

Obwohl Kafkas Freund Max Brod auf die »lyrischen Elemente« in Kafkas Werk hingewiesen hat, widmete sich vorher keine ausführliche Untersuchung der Lyrik dieses genialen Jahrhundert-Schriftstellers. 2005 erschien mein Buch »Franz Kafka: Kleine Seele springst im Tanze. Lyrische Fragmente«, das belegt, dass Kafka auch als Lyriker Beachtung verdient. Es ist dies die erste Veröffentlichung in der umfangreichen Kafka-Sekundärliteratur, die sich dieser Thematik widmet und in der ich viele lyrische Stellen und Fragmente in Kafkas Werk vorstelle.

Besonderen Spaß hat es mir auch gemacht, Thomas Bernhards einzige skurrile Kindergeschichte »Viktor Halbnarr« mit Erlaubnis des Suhrkamp-Verlags illustrieren zu dürfen.

Erich Kästner wurde für mich so etwas wie ein literarischer Vater.

Im vergangenen Jahr haben Sie »Oh, wie schön ist Panama« von Janosch auf Bairisch veröffentlicht. Sie haben ja zu Janosch ein ganz besonderes Verhältnis, wie unter anderem auch zu Erich Kästner?

Ja, Janosch war es, der mein erstes Kinderbuch mit dem Titel »Schwarzer Mann«, das ich auch selbst illustriert habe, dem Verleger Willi Weismann zur Veröffentlichung empfohlen hat. Noch heute betont Janosch, wenn wir uns treffen: »Das weißt du schon, dein erstes Buch verdankste mir.«

Außerdem hatte ich das Glück, Erich Kästner wenige Jahre vor seinem Tod in seinem Münchner Stammlokal, im ehemaligen »Cafe Leopold« zu begegnen. Er sah sich einige Texte von mir an und ermunterte mich zum Schreiben. Leider währte diese Bekanntschaft nur kurze Zeit, da Kästner im Sommer 1974 starb. Für mich wurde er aber so etwas wie ein literarischer Vater, da sein Urteil mein Interesse am Schreiben intensiv verstärkte.

Gedichte sind für mich ein Spielraum der Freiheit.

Neben dem Schreiben von Kinder- und Jugendbüchern, Schulbüchern, Sachbüchern, Theaterstücken und vielem mehr sind Sie ja auch der Lyrik sehr zugetan. Kommen Sie derzeit noch zum Schreiben von Gedichten?

Das Schreiben von Gedichten ist mir wichtig. Gedichte sind für mich ein Spielraum der Freiheit, ermöglichen Begegnungen mit mir selbst und mit unverstellten Wahrheiten, sind belebende Aufenthalte zwischen Zeitlosigkeit und Aktualität, auch Gelegenheiten zur Weltdeutung und Neuentdeckung von Sprache und ein Spiel mit ihr.

Ihre thematische Bandbreite reicht von Autismus bis zu bayrischen Biergärten. Was ist das Besondere an dem Buch »Ganz Bayern ist ein großer Biergarten: Interessantes und Heiteres rund um eine urbayerische Kultstätte«?

Das Buch entstand 2012 zum 200. Geburtstag des Biergartens. 1812 erlaubte König Max I. Joseph Münchens Brauern, direkt an ihren Lagerkellern einen Ausschank zu eröffnen und begründete damit das bayerische Nationalgut Biergarten. Mich interessierten nicht nur die Geschichte der Biergärten, sondern auch die vielen Geschichten, die sich um dieses interessante kulturhistorische Thema ranken.

Lieber Alfons Schweiggert, Ich bedanke mich herzlich für all diese Informationen.

 
Alfons Schweiggert,
Ludwig II. und sein Paradies am Starnberger See

Schloss Berg – Possenhofen – Roseninsel
Allitera Verlag, München 2017
260 Seiten, Softcover
ISBN 978-3-86906-924-1

 

Franziska Röchter. Foto: Volker Derlath

Unser »Jubiläumsblog #25« wird Ihnen von Franziska Röchter präsentiert. Die deutsche Autorin mit österreichischen Wurzeln arbeitet in den Bereichen Poesie, Prosa und Kulturjournalismus. Daneben organisiert sie Lesungen und Veranstaltungen. Im Jahr 2012 gründete Röchter den chiliverlag in Verl (NRW). Von ihr erschienen mehrere Gedichtbände, u. a. »hummeln im hintern«. Ihr letzer Lyrikband mit dem Titel »am puls« erschien 2015 im Geest-Verlag. 2011 gewann sie den Lyrikpreis »Hochstadter Stier«. Sie war außerdem Finalistin bei diversen Poetry-Slams und ist im Vorstand der Gesellschaft für
zeitgenössische Lyrik. Franziska Röchter betreute bereits 2012 an dieser Stelle den Jubiläumsblog anlässlich des »Internationalen Gipfeltreffens der Poesie« zum 20. Geburtstag von DAS GEDICHT.


Die »Internationale Jubiläumslesung mit 60 Poetinnen und Poeten« zur Premiere des 25. Jahrgangs von DAS GEDICHT (»Religion im Gedicht«) ist eine Veranstaltung von Anton G. Leitner Verlag | DAS GEDICHT in Zusammenarbeit mit dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München. Mit Unterstützung der Stiftung Literaturhaus. Medienpartner: Bayern 2.

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