Neugelesen – Folge 26: Karl Krolow »Landschaften für mich. Neue Gedichte«

Literatur ist vergänglich, trotz ihrer Materialität. Denn allmählich entschwinden Bücher in Archivbibliotheken und verlassen unseren Erfahrungshorizont. David Westphal möchte in Nachfolge an die Kolumne »Wiedergelesen« dagegen anschreiben. Er stellt an jedem 15. des Monats Vergessenes und Neugelesenes in seiner Rubrik »Neugelesen« vor (in memoriam Erich Jooß, † 2017).

 

Wer kennt Karl Krolow? Leserinnen und Leser über fünfzig aller Wahrscheinlichkeit nach. Leserinnen und Leser darunter nur vielleicht. Und alle unter dreißig vermutlich nur, wenn sie sehr Lyrikbegeistert sind. In der Folge 8 meiner Kolumne Neugelesen habe ich Karl Krolows unter dem Pseudonym Karol Kröpcke verfassten, bürgerlichen Gedichte vorgestellt. Seine bürgerlichen Gedichte sind vermutlich recht unbekannt und sind auch nur in einer geringen Auflage erschienen, hingegen seine übrige Lyrik hat sich zu seinen Lebzeiten großer Beliebtheit erfreut. In der Nachkriegszeit gehörte Lyrik zur meistverkauften Literaturgattung, was unter anderem der Knappheit an Material wie Papier geschuldet war. Krolow galt dabei zu den Bestsellern. Bekannt war er schon vor dem zweiten Weltkrieg, berühmt wurde er danach; und vielfach ausgezeichnet. Darüber hinaus gehörte er über lange Zeit zum Schulkanon. Heute tut er das nicht mehr. Was war geschehen?

Ich weiß nicht genau, ob es paradigmatische Werke Krolows zur Untersuchung von Dynamiken innerhalb nationaler Kanons gibt; vielleicht gibt es ja eine Dissertation darüber. Ich jedenfalls habe in meinem Regal seine Landschaften für mich entdeckt und habe sie neugelesen. Das bei Suhrkamp 1966 erschienene Bändchen enthält vor allem Gedichte aus den Jahren 1964/65. Krolow hat sehr kontinuierlich Gedichte veröffentlicht, so kann man sagen, der Band ist einer von vielen; dann aber ist er doch recht singulär. Krolow hatte seine ganz eigene, lyrische Art. Obwohl man viele Einflüsse wiederentdecken kann, bleibt er sich zugleich treu. Das rechtfertigt für die Leserinnen und Leser seine hohe Anzahl an Publikationen: es gibt doch immer wieder ein paar neue Momente, einen kleinen Richtungswechsel.

Landschaften für mich gehört zu den Bänden, die sich hauptsächlich der von ihm viel beschriebenen Landschaft, der Natur und dem Jahreszyklus widmet. So mancher bekommt hier vermutlich einen Anflug von Müdigkeit, obwohl Anton G. Leitner und Christoph Leisten sich viel Mühe gegeben haben, diesem Themenspektrum ein neues Gesicht in der 27. Ausgabe von DAS GEDICHT: Dichter an die Natur zu verleihen. Dazu nun auch eine passende Reclam-Anthologie: Die Bienen halten die Uhren auf. Die zweifellos großen romantischen Naturdichter, die jedoch zunehmend in unzeitgemäßem Licht erscheinen, überschatten noch immer die Wahrnehmung und auch den ein oder anderen Zeitgenossen, der meint, derart manieriert schreiben zu müssen. In Krolow fand dieses Genre einen Erneuerer, so auch in Landschaften für mich. Was mich von der ersten Seite ab sehr fasziniert hat, ist sein gewaltiger Bilderreichtum. In einem Gedicht über Farben schreibt er beispielsweise: „Jedes Gelb kennt die Geschichte / einer Zitrone“. Die Bewegung seiner Gedichte ist sehr stark, aber ohne expressionistischen Knall; auch wenn er über Vergänglichkeit schreibt, die für die Natur so selbstverständlich ist wie alles andere. Das lyrische Ich begibt sich in die Rolle eines poetischen Landschaftsvermessers, der nicht mit einem Zollstock oder, wie heute, mit Lasertechnik, sondern mit Metaphern arbeitet. Manches ragt durchaus ironisch und hintersinnig hervor, was den Gedichten Intellekt verleiht. Das Feld ist breit und es blüht nicht einfach, es schillert; eben auch in dunklen Tönen.

Etwa ein Drittel des Bandes beschäftigt sich hingegen nicht mit Natur, sondern ist gemischten Inhalts: Liebe, Frieden, deutsche Geschichte, Tod und Zeit. Wobei Tod und Zeit auch schon vorher gewichtig sind. Es ist ein überaus lesenswerter Band, die Gedichte sind so unglaublich stilsicher, haben aber ihre sehr verspielte Seite. Was kann es nur gewesen sein, das sein Werk den Archivbibliotheken zum Fraß vorgeworfen hat? Es ist schwierig zu sagen. Man munkelt, der Nachlassverwalter zeigte deutlich zu wenig Engagement, die Gedichte Krolows nach seinem Tod am Leben zu erhalten. Hilde Domin äußerte zum Zeitpunkt des Erscheinens 1967 in DIE ZEIT, sein Gesamtwerk sei zu groß und die Leserinnen und Leser müssten sich die wirklichen Perlen zwischen Zu-Gekünsteltem herausfischen. Was sich, so Domin, dennoch lohne, erst recht in Landschaften für mich. Man muss sich aber auch ins Gedächtnis rufen, welche Dichterinnen und Dichter noch so auf dem Plan standen. Es waren Persönlichkeiten wie Celan, Grass, Sachs und weitere, die das Politische und Erschütternde dieser Zeit deutlich stärker betont haben. In der Verflechtung von Politik, Zeitgeschehen und Literatur ist deren Weise zu dichten deutlich relevanter, als es Krolow je war. Seine Lyrik funktioniert anders, was ihm durchaus den Vorwurf einbrachte, sich der dringlichen Notwendigkeiten jener Zeit poetisch zu verschließen. Wiederum war es nach diesem unfassbaren Trauma der NS-Diktatur willkommen, auch über etwas anderes nachdenken zu können. Fragen, die beispielsweise nicht so eng an zeitgeschichtlichen Kontext geknüpft sind. Das wiederum scheint für unsere Perspektive auf die Lyrik der zweiten Hälfte des Jahrhunderts weniger interessant zu sein. Wie dem auch sei: Krolows Landschaften für mich ist unbedingt lesenswert. Aus poetischer Sicht gehören seine Gedichte zur obersten Riege und sie sollten definitiv eine Renaissance erfahren.

 

"Landschaften für mich. Neue Gedichte" von Karl Krolow
Buchcover-Abbildung (Suhrkamp Verlag)

 

 

 

 

 

 

 

Karl Krolow
Landschaften für mich. Neue Gedichte
Suhrkamp, Frankfurt 1966
Softcover, 120 Seiten
ISBN: 978-3518101469

 

 

 

 

David Westphal. Foto: Volker Derlath
David Westphal. Foto: Volker Derlath

David Westphal, geboren 1989 in München, wo er auch lebt. Studium der Philosophie, Germanistik, Literatur- und Kulturtheorie zu Gießen und Tübingen. Gedichtveröffentlichungen in verschiedenen Anthologien.

Alle bereits erschienenen Folgen von »Neugelesen« finden Sie hier.

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