Neugelesen – Folge 58: »günstige intelligenz« von Jörg Piringer

Bücher können auftauchen und glänzen, aber auch einstauben und verschwinden – immer jedoch, und ganz gleich, wie alt sie sind: ihre Texte wollen neuentdeckt werden! David Westphal stellt an jedem 15. des Monats Vergessenes und Neugelesenes in seiner Rubrik »Neugelesen« vor.

 

Jörg Piringer: günstige intelligenz

Zwei Fragen sind für diesen Text zentral: Was ist günstig? Und wie schreibt man ein Gedicht? Beginnen wir mit der Letzteren. Wobei beginnen hier nicht beantworten heißen soll. Denn alle PoetikerInnen haben da sicherlich ganz eigene, unbewusste oder selbst auferlegte Strategien, sich in einen kreativen Modus zu katapultieren. Es geht also eher darum, ob sich diese Frage heute anders stellt, als noch vor 5 Jahren. Und damit müssen wir uns erst einmal der ersten Frage zuwenden:

Was ist günstig? Bei den aktuellen Verteuerungsraten muss man schon genau suchen nach etwas Günstigem. Der Autor Jörg Piringer hat jedoch ein echtes Schnäppchen im Jahre 2022 gemacht: eine Intelligenz für nur 5,60 $! Und mit dieser günstigen, künstlichen Intelligenz hat er sich dann direkt zusammengesetzt und Gedichte geschrieben. Die Rede ist von ChatGPT in der damaligen Version. Eine künstliche Intelligenz, mit der man chatten und der man Aufgaben stellen kann. Mit diesem Chatbot hat Piringer dann sein Buch günstige intelligenz, erschienen im Ritter Literatur Verlag, geschrieben. Es hat eine sehr schöne Aufmachung, broschiert, 208 Seiten, für 27 €; also deutlich teurer, als die günstige Intelligenz.

Wie hat Jörg Piringer für dieses Buch Gedichte geschrieben? Diese Frage habe ich einem Chatbot gestellt. Das ist die Antwort:

„Jörg Piringer hat für sein Buch ‚günstige Intelligenz‘ einen innovativen Ansatz verfolgt, indem er Künstliche Intelligenz, insbesondere das neuronale Netzwerk GPT-3, für die Erstellung von Gedichten genutzt hat. Er investierte 5,60 $ in einen Online-Dienst, um die Leistungsfähigkeit von GPT-3 mit verschiedenen Schreibaufträgen zu testen. Die Ergebnisse dieses Experiments dokumentiert er in seinem Buch. Piringer setzte die von GPT-3 erstellten Poesie-Dokumente in Beziehung zu historischen, analogen Kombinatoriken und machte Differenzkriterien sichtbar zwischen ‚inspirierter‘ Produktion gegenüber jener der Programmroutine. Er reflektierte auch über die Vorzüge des nicht computerunterstützten Schreibens und brachte diese in seinen eigenen Gedichten und dichterisch-essayistischen Reflexionen zur Geltung. Dabei besprach er die ‚Inselbegabung‘ der Maschine, die Probleme des technischen und ökonomischen Aufwands beim Trainieren von neuronalen Netzwerken, die Definitionsmacht in Bezug auf Algorithmen und die sozialen Implikationen der KI-Poesie für den Autor als Redakteur. Piringers Werk ist somit ein geistreicher Zwischenbericht über den Stand computerfabrizierter Dichtung heute.“

Tatsächlich möchte ich der KI recht geben in allen Punkten. Wieder einmal die Musterlösung eines Schülers mit gutem Gedächtnis, aber ohne Verstand. Interessant ist doch aber, dass die KI sagt, Piringers Werk sei geistreich. Man ist schnell verleitet zu denken: „Wie meint der geistlose Computer das?“ Doch eine KI meint nichts, sie rechnet nur vor sich hin in einem Sprache repräsentierenden Vektorraum. Der Geist kommt durch den Autor ins Werk, nicht durch das verwendete Werkzeug der KI. Wie in einem Prozess künstlerischer Forschung holt Piringer Poetisches, Fehlerhaftes und Abgründiges aus diesem Programm, so zum Beispiel auch Rassismus. Zugleich reflektiert er künstlerisch über die KI-Kunst und was sie jetzt und in Zukunft bedeutet. Was ein Gedicht und wer der Urheber von KI-Kunst ist. Was ist intelligent. Was repräsentiert Ich in uns und im Programm, und hat es Bedeutung?

Die Welt wird sich mit KI-verfassten Texten anfüllen. Aus meiner Sicht hilft es dabei ungemein, ein Buch wie günstige intelligenz zu lesen, um die Metasprache dieser Programme besser zu verstehen. Darüber hinaus ist es jedoch nicht nur sehr lehrreich, da es wichtige Fragen in den Raum stellt, sondern auch sehr unterhaltsam. Zwischenzeitlich bekommt man das Gefühl, in eine mächtige, algorithmische Leere zu blicken. Das kann einen abschrecken, beeindrucken oder sogar langweilen – und wird stets von den poetischen Reflexionen des Autors aufgefangen. Eine ganz merkwürdige Mischung, die mich stets dazu verleitet hat, mich zu fragen: Wie wichtig ist mir menschliche Autorenschaft? Man kann also sagen, bei diesem Gedichtband bleibt eine Menge zum Denken und Entdecken übrig. Was einem das Buch zusätzlich bietet, ist eine kleine Bibliographie rund um das Thema und mehrere Seiten an KI-generierten Biographien des Autors, die allesamt nicht stimmen dürften.

Wer noch mehr über den Autor und das Buch erfahren möchte, kann ein Interview von mir, David Westphal, mit Jörg Piringer bei Radio LORA München nachhören:
https://lora924.de/2024/04/12/joerg-piringers-gedichtband-ueber-kuenstliche-intelligenz/

 

"günstige Intelligenz" von Jörg Piringer
Buchcover-Abbildung (Verlag Ritter Literatur)

 

 

 

 

Piringer, Jörg: günstige intelligenz
Ritter Literatur 2022.
208 Seiten, broschiert
ISBN: 978-3-85415-650-5

 

 

David Westphal. Foto: Volker Derlath
David Westphal. Foto: Volker Derlath

David Westphal, geboren 1989 in München, wo er auch lebt. Studium der Philosophie, Germanistik, Literatur- und Kulturtheorie zu Gießen und Tübingen. Gedichtveröffentlichungen in verschiedenen Anthologien.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Neugelesen« finden Sie hier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert