Neugelesen – Folge 57: »Liebe & Hunger« und »Wasser schöpfen im Schwarzen Meer mit einem Flügel« von Andreas Andrej Peters

Literatur ist vergänglich, trotz ihrer Materialität. Denn allmählich entschwinden Bücher in Archivbibliotheken und verlassen unseren Erfahrungshorizont. David Westphal möchte in Nachfolge an die Kolumne »Wiedergelesen« dagegen anschreiben. Er stellt an jedem 15. des Monats Vergessenes und Neugelesenes in seiner Rubrik »Neugelesen« vor (in memoriam Erich Jooß, † 2017).

 

Andreas Andrej Peters: »Liebe & Hunger – ein Leningrader Poem« & »Wasser schöpfen im Schwarzen Meer mit einem Flügel – Gedichte gegen den Krieg«

Ich möchte einmal einen Satz genauer betrachten: Krieg ist schrecklich. Er besteht aus nur drei Worten. Dem Subjekt und dem zweiteiligen Prädikat. Und er ist zweifellos wahr, selbst wenn es Leute gibt, die Kriege als notwendig, ehrenvoll oder wirtschaftlich bewerten. Es ist also ein wahrer Satz, der so kurz wie einfach zu verstehen ist. Wie eine epistemische Theodizee möchte man in Folge fragen: Warum gibt es denn dann Kriege, wenn alle das wissen? Eine geradezu kindliche Naivität steckt in dieser Frage. Denn es ist kompliziert. Nun ist die deutsche Politik dazu geneigt, in Debatten von all den Gefühlen abzusehen und sachlich über Realpolitik zu diskutieren; bedeutet: was jeder einzelne dafür hält. Warum genau das ein Fehler ist, kann uns Andreas Andrej Peters Doppelband Liebe & Hunger / Wasser schöpfen im Schwarzen Meer mit einem Flügel näher bringen.

Der Doppelband von Peters hat die beiden Unterüberschriften Ein Leningrader Poem und Gedichte gegen den Krieg. Es ist nicht ganz einfach, darüber zu sprechen, was in diesem Band alles vor sich geht. Das liegt aber nicht etwa an einem besonders verrätselten Ton oder komplizierter Sprache. Im Gegenteil sind Peters Gedichte sehr klar und gleichzeitig bildhaft. Hie und da mit Assoziationen gespickt, die sich möglicherweise nicht gleich allen Leserinnen und Lesern erschließen, aber ohne Übermaß. Der Grund, warum es schwierig ist, über den Band zu schreiben, verbirgt sich in den bereits erwähnten Untertiteln und dem Subjekt unseres Textes: Krieg. Wie das Schrecken in Worte fassen? Am ehesten kann dies die Lyrik – und Peters hat sich eindrücklich an die Thematik herangewagt. Er spannt eine Achse zwischen den Gefechten um Leningrad und dem aktuellen Krieg in der Ukraine, wie Krieg schlechthin.

Peters ist selbst in der UdSSR geboren, lebt und schreibt aber schon seit langer Zeit im deutschsprachigen Raum. Besonders gelungen sind in seinem Doppelband die kleinen Portraits von geflohenen Personen und KünstlerInnen. Mir kommt unweigerlich das Objekt Poesiealbum in den Sinn, obwohl es viel zu positiv konnotiert ist. Jedoch stelle ich mir ein Poesiealbum des Krieges ungefähr so vor. Menschen in Krisenzeiten schreiben über sich oder andere ein Gedicht. Darüber hinaus finden sich klare, aber nie flache Oppositionen gegenüber den Kriegstreibenden und einfühlsame Beschreibungen der Zerstörung.

Warum also ist die vermeintlich sachliche Realpolitik ein Fehler? Weil der logische Schluss auf einen Angriff die Vernichtung des Gegners ist. Die Lyrik – auch die Lyrik Peters‘ – lässt uns einmal mehr spüren, was Krieg bedeutet und bedeuten könnte. Und dass wir nicht der einfachen Kriegslogik gehorchen sollten. Peters zitiert Heine mit: „Gedichte soll man nicht schreiben. Gedichte muss man erleben.“ Ich hoffe, noch mehr Lyrikerinnen und Lyriker schreiben Gedichte gegen den Krieg, so wie Peters es getan hat. Das wäre ihr Beitrag, damit weniger Generationen Krieg erleben müssen.

 

"Liebe & Hunger" und "Wasser Schöpfen im Schwarzen Meer mit einem Flügel" von Andreas Andrej Peters
Buchcover-Abbildung (Verlag edition offenes feld)

 

 

 

Andreas Andrej Peters
Liebe & Hunger. Ein Leningrader Poem / Wasser schöpfen im Schwarzen Meer mit einem Flügel. Gedichte gegen den Krieg
edition offenes feld, Dortmund 2023
182 Seiten, Hardcover
ISBN: 978-3-88423-682-6

 

 

 

David Westphal. Foto: Volker Derlath
David Westphal. Foto: Volker Derlath

David Westphal, geboren 1989 in München, wo er auch lebt. Studium der Philosophie, Germanistik, Literatur- und Kulturtheorie zu Gießen und Tübingen. Gedichtveröffentlichungen in verschiedenen Anthologien.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Neugelesen« finden Sie hier.

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