Humor in der Lyrik – Folge 57: Friederike Kempner (1828 – 1904) – „Poesie ist Leben, Prosa ist der Tod!“

Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.

 

Obwohl 1828 geboren, machte sie sich in ihrer Autobiographie acht Jahre jünger und behauptete 1836 geboren zu sein. Berühmt wurde sie unter den Namen „Schlesischer Schwan“ oder auch „Schlesische Nachtigall“. Friederike Kempner, Tochter reicher jüdischer Eltern, wuchs auf einem Rittergut in der damaligen Provinz Posen auf. 1850 begann die 22 jährige kleine Aufsätze und Denkschriften zu verfassen, in denen sie die fehlende soziale Verantwortung der Oberschicht gegenüber dem Proletariat anprangerte und die Klassenunterschiede kritisierte. Sie protestierte auch gegen die Vivisektion von Tieren und sprach sich gegen die Einzelhaft lebenslang Verurteilter aus.

Aber erst 1860 kam es mit der Tragödie „Berenize“ zu ihrer ersten literarischen Veröffentlichung, der etliche Novellen, Trauerspiele und weitere Schriften folgten. 1873 erschienen dann ihre ersten Gedichte, darunter auch das Frühlingslied.

 

Wenn der holde Frühling lenzt
Und man sich mit Veilchen kränzt.
Wenn man sich mit festem Mut
Schnittlauch in das Rührei tut,
Kreisen durch des Menschen Säfte
Neue ungeahnte Kräfte –
Jegliche Verstopfung weicht,
Alle Herzen werden leicht,
Und das meine fragt sich still:
‚Ob mich dies Jahr einer will?’

 

Doch auch dieses Jahr wollte wohl keiner, sodass Friederike lebenslang unverheiratet blieb. Berühmt wurde sie erst 1880 durch eine positive Rezension ihrer Poesie, die Paul Lindlau in der Wochenzeitschrift „Die Gegenwart“ veröffentlichte und die eines satirischen Untertons nicht entbehrte. Er erklärte sie zur „Großmeisterin der unfreiwilligen Komik“. Was Kritiker wie Leser besonders an ihren volksliedhaften Strophen, Balladen, Sonetten, Epigrammen und Sinnsprüchen amüsierte, waren neben heiteren Wortschöpfungen, Metaphern und Reimen auch die Skurrilität der darin getroffenen Aussagen. So rang sie sich etwa auch folgende Reime ab:

 

Es ringt der Regen mit dem Winde,
Es ringt der Segen mit dem Fluch,
Es ringt das Alter mit dem Kinde,
Es ringt die Sage mit dem Buch.

Es ringt die Tugend mit dem Bösen,
Es ringt die Arbeit mit dem Gold,
Es ringt ein jeglich, jeglich Wesen:
Ob es, und ob es nicht gewollt!“

 

Friederike Kempner (Zeichnung von Alfons Schweiggert)
Die Schlesische Nachtigall Friederike Kempner (Zeichnung von Alfons Schweiggert)

 

In der Folge erlebten ihre Gedichte unzählige Auflagen. Angeblich kaufte ihre Familie, die sich wegen etlicher spöttischer Äußerungen über Friederikes Poesie schämte, ihre Bücher mehrfach auf. Doch gegen Häme und Beleidigungen setzte sich die Dichterin auch selbst zur Wehr und reimte:

 

Dumme Jungen, Pamphletisten,
Schlechte Juden, schlechte Christen
Legten Dynamit und Gift,
Keins von beiden je mich trifft.

Anonyme Flüche blitzen,
Zünden, treffen und erhitzen
Nur den Fluchenden allein.
Armer Flucher, urgemein!

 

Eine zur damaligen Zeit weit verbreitete Angst befiel übrigens auch Friederike, nämlich einmal scheintot in der Familiengruft begraben zu werden. Schon 1850 verfasste sie deshalb die „Denkschrift über die Nothwendigkeit einer gesetzlichen Einführung von Leichenhäusern“, damit sich lebendig Begrabene dort noch rechtzeitig melden können. Zwischen Tod und Begräbnis sei deshalb eine Wartefrist von fünf Tagen einzuhalten. In der Kempnerschen Familiengruft ließ sie sogar Klingeln anbringen. Selbst in ihren Gedichten ging sie auf dieses Thema ein:

 

Jedesmal, wenn frohe Stunden
Mir im Herzen stattgefunden,
Haben sich mir vorgestellt
Auch die Leiden dieser Welt.

Schon, daß gar so sehr verschieden
Uns’re Lose sind hienieden –
Goethe zwar fand nichts dabei,
Doch mir scheint’s nicht einwandfrei.

Pilz des Glücks ist dieser eine,
Jener Stiefpilz des Geschicks,
Einem sind als O die Beine,
Andern wuchsen sie als X.

Sorglos aalen sich die Reichen,
Andern sind die Gelder knapp,
Und noch ungestorb’ne Leichen
Senkt zum Orkus man hinab.

Wißt ihr nicht, wie weh das tut,
Wenn man wach im Grabe ruht?“

 

Friederike setzte sich deshalb für die Feuerbestattung ein, um sicherzustellen, dass niemand bei lebendigem Leibe begraben würde. In den letzten Lebensjahren, in denen ein schweres Augenleiden fast zu ihrer vollständigen Erblindung führte, lebte sie zunehmend zurückgezogen. Als sie 1904 im Alter von 76 Jahren starb, wurde ihr Leichnam eingeäschert und die Urne im Familiengrab auf ihrem Gut Friederikenhof bei Droschkau in Schlesien beigesetzt. Auf ihrem Grabstein steht zu lesen: „Ihr Leben war geistiger Arbeit und Werken der Nächstenliebe geweiht“. 1904 war übrigens ihr schlesisches Gegenstück, die Dichterin Julie Schrader, „Welfischer Schwan“ genannt, erst 13 Jahre alt.

Als von einer jüdischen Schriftstellerin war Friederikes Werk im Dritten Reich aus den Bibliotheken verbannt, doch in den Fünfziger-Jahren entstand eine neue Kempner-Begeisterung. Vergessen ist Friederike Kempner bis heute jedenfalls nicht. Sie war sich eben sicher:

 

Poesie ist Leben,
Prosa ist der Tod.
Engelein umschweben
Unser täglich Brot.

 

Übrigens, wer Kempners Gedichte für schlecht hält, dem seien Robert Gernhardts Worte ans Herz gelegt, der sagte, schlechte Gedichte müssen außerordentlich gut sein, um komisch zu wirken.

 

 

 

Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München

»Humor in der Lyrik« wird Ihnen von Alfons Schweiggert präsentiert. Der Münchner Schriftsteller veröffentlichte neben Erzählungen und seinem Roman »Das Buch« mehrere Lyrikbände, Biographien und Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München ist er seit 2010 freischaffender Autor. Schweiggert ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Turmschreiber und Vorstand der »Karl Valentin-Gesellschaft«.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.

 

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