Poesie. Meditationen – Folge 3: Fragmente einer Sprache des Wunders

In den »Poesie. Meditationen« treffen Sie Timo Brandt: Der junge Lyriker und Lyrik-Kritiker (Jahrgang 1992) lässt Sie teilhaben an seinem ganz persönlichen Zugang zur Lyrik: Bei der Lektüre von Gedichten fließen Eindrücke zum Tagesgeschehen und poetische Impressionen zusammen. Der Leser begibt sich in einen beinahe meditativen Zustand, ganz im Hier und Jetzt und achtsam gegenüber den Phänomenen im gegenwärtigen Augenblick. Der Verknüpfung von Gedicht und Gedankenfluss geht Brandts Kolumne nach.

 

Es düst der Wind, kurz, wie eine Mischung aus spielendem Kind und Überschallflugzeug, durch das Laub. Nachts springen wir per Fallschirm über den Träumen ab, die Luken der Augen schließen sich, weit hinter uns, und wir sind schon sehr nah dran; nicht mehr bloß weit verzweigt ist unsere Haut, sondern tief verwurzelt.
Kein einziges Geschick haftet, trotz emsiger Schreibmaschinenschläge, am Horizont, den wir anwandern, Tag nach Tag. Nur das Ereigniswerden haftet kurz.

Ist Dichtung die Sprache der Wunder? Wenn man mich fragen würde, warum ich Gedichten und Sprache nicht skeptisch gegenüberstehe, wo doch nichts darin einen Beweis für Zusammenhänge erbringen kann, so könnte ich nur sagen: weil poetische Sprache, jede Anwendung von poetischer Sprache, die Erscheinung der Welt verändern, hervorholen kann.

Erscheinung ist nicht Schein, ist nicht die Illusion eines Dings und der Widerpart zum Faktum. Es ist die Möglichkeit etwas in unserer Wahrnehmung verstehen zu können, ohne es zu definieren oder zu bezeichnen.

Tomas Tranströmer war ein Meister der Erscheinung. Seine Beschwörungen und Bilder führen in eine Art von Verdichtung, die eine poetische Pause inmitten einer Betrachtung darstellt und doch gleichsam einen Wanderweg in jede angrenzende Wirklichkeit. Der Dichter kann mit Illuminationen und Metaphern viel zugestehen und feststellen, viel absprechen und eingeben; Tranströmer tat dies entlang einer atmosphärischen Vorstellungsgewissheit, mit einem Zug zum Elegischen.

Es herrscht Stille, wie wenn der Wind, Stoß für Stoß, jeden einzelnen gefällten Baum sucht. Hellwach im Dunkel, kann man die Polarlichter fast hören, wie sie sich ohne Sternendecken unruhig zwischen den Farben hin und her werfen. Unter dem tickenden Weckerglas überhört man fast das eingerollt sein der Wachhundkette, das träumende Warten auf die Ankunft einer nahenden Uhrzeit. In Wahrheiten nähern wir uns einander, weil einer von beiden die Lügen nie verstehen wird.

Dichtung, das heißt auch: Fragmente einer Sprache des Wunders. Fragmente einer Sprache des Erlebens, tiefster Zusammenhänge entlehnt und das Äußerste des Wesentlichen der Farbe deiner Iris nähernd. Fragmente einer Sprache des Verzichts, die dich versöhnt mit dem gedeihenden Verschwinden. Fragmente einer Sprache des Moments, nicht nachweisbar in Sachen Verlauf, aber ein kurzer Punkt, an dem wir nicht mehr auf das Wunder warten müssen.

Die ganze Sprache ein Gedichtband, der darauf wartet, dass wir verstehen wollen, warum wir Dinge ohne Gedanken spüren können, warum wir fasziniert werden, warum wir von Schmerz sprechen und wo wir mit der Welt Verbindungen eingehen und wo wir sie gelöst haben. Die eine Seite der Erfahrung ist das Erleben. Die andere Seite ist das Anknüpfen an diese Erfahrung in der Sprache, dem Satz. Der Poesie.
Zum Tod von Tomas Tranströmer

Er schrieb dünne Partituren
für eine ganze Landschaft an Sinnen
in einem Weltgeschehen aus Bildern.

Ein um Pfand erleichtertes Licht
hinter allen Blenden,
das sie umstürzt, scheint dazwischen.

Es berührt uns, obwohl wir dunkel sind,
nicht sehen wo es uns zuknüpft
oder auf.

Ganz unbestimmt,
gehen wir ins Lesen.
Sprache findet unser Staunen.

Wirklichkeiten entstrauchelte er, lieh ihnen Stimme,
und hauchte dünne Linien ihnen ein
deren Muster als Naht entlang der Seele diente.

Mancher Vers wusste kaum wohin er führte;
keinerlei Bestimmung ewig zu sein,
sondern als Eindruck zu strömen; strömend

war da doch ein Anteil Ewigkeit.
Ein Anteil, der fragt nach den Dingen.
Poesie lädt immer zum Zweifeln ein,

aber vor allem zum Schauen. Sie kann,
sie darf,
sie will,
sie wird
dich faszinieren.

Denn da ist keine Stelle, die nicht etwas sieht. Nichts
ist leer,
alles
ist offen.

Sieh hin. Ein Wunder gibt es,
das stets geschieht.
Von ihm oft eingefangen, aufgewogen,
eingeladen, sich in die Worte zu verlieben,
damit jeder es durch Sprache sehen kann.
© Timo Brandt, Wien

 

Timo Brandt
Timo Brandt

Die »Poesie. Meditationen« werden Ihnen von Timo Brandt (Jahrgang 1992) präsentiert. Er studiert derzeit an der Universität für angewandte Kunst in Wien, am Institut für Sprachkunst. Er schreibt Lyrik und Essays, außerdem veröffentlicht er Literatur-Rezensionen auf seinem Blog lyrikpoemversgedicht.wordpress.com, Babelsprech.org und Amazon. 2013 war er Preisträger beim Treffen junger Autoren.

Alle bereits erschienenen Folgen der »Poesie. Meditationen« finden Sie hier.

Ein Kommentar

  1. Alles ist Form und Figur; Dichtung erschafft Räume in uns –
    in einer Erweiterung von dem, was wir das Denken nennen: Diese Ergänzung der Wahrnehmung ist der bewirkte poetische Moment.
    Tomas Transtörmer erhob dieses Prinzip zur klarsichtigsten Reinheit des Augenblicks.

    Form und Figur

    Alles ist Form und Figur,
    Klangbilder zeichnen doch nur
    ein geistig hohes Entsteigen
    worein sich Bilder verneigen.

    Und allen Blutes Rauschen,
    lässt uns Formen vertauschen.
    Das Eine, das Ferne – Beginn ?
    Und sterben: Wohin nur, wohin ?

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