In den »Poesie. Meditationen« treffen Sie Timo Brandt: Der junge Lyriker und Lyrik-Kritiker (Jahrgang 1992) lässt Sie teilhaben an seinem ganz persönlichen Zugang zur Lyrik: Bei der Lektüre von Gedichten fließen Eindrücke zum Tagesgeschehen und poetische Impressionen zusammen. Der Leser begibt sich in einen beinahe meditativen Zustand, ganz im Hier und Jetzt und achtsam gegenüber den Phänomenen im gegenwärtigen Augenblick. Der Verknüpfung von Gedicht und Gedankenfluss geht Brandts Kolumne nach.
Es ist alles gesagt. Das schlägt dir entgegen. Das weht dich nicht auf, das lässt dich hinabtrudeln, schon fast aufschlagen, aber du stehst auf dem Boden und schaust hinauf. Was erreichen, was bezwecken? Eine Decke machen oder in den Himmel vorstoßen? Schlaglichter? Oder Aufschläge, die hoffentlich zurückkommen und dann wieder und wieder, es geht weiter. Es geht, es geht.
Es ist noch nicht alles gesagt, aber es wird so viel gesagt und manches bleibt dennoch nicht haften. Wie haftet man, wie haften die Worte – und wofür, woran. Woran denken? Woran nicht denken? Geben die Worte preis oder schreiben sie vor, sind sie schon weg, an einem anderen Ort, verschlossen nun deiner gut gemeinten Geste? Was liest du hier vor, was liest du auf? Und wie aus diesem Sinngefalte ein Falter werden soll, der von Mensch zu Mensch fliegt und ihre Augen und Sehnen mit Sehen und Verstehen bestäubt, das soll mir mal einer erklären!
Es passiert, es passiert. Man sollte es aufschreiben, was beim Lesen geschieht, aber gerade das sollte man nicht. Man sollte wirklich, aber gerade das sollte man nicht, denn »wirklich«, das ist eine Assonanz, die Dissonanzen anzieht.
Daran turnen wie an einem nicht vorhandenen Reck, hoch in den metaphysischen, den komischen, den romantischen Lüften, nicht die Augen öffnen. Einfach turnen. Das, was du siehst, das brauchst du nicht mehr sehen, oder?
Gedichte schreiben oder es bleibenlassen. Es bleibenlassen, Gedichte schreiben kann so einfach sein. Es machen, denn Gedichte schreiben ist so schwer, es muss gelingen – wofür? Für jeden! Alles. Für die Zeile, die entsteht. Ich finde die Antwort, doch sie kommt zu spät, denn die Frage ist eine geworden, die schwarze Schrift ist schiffbar nicht, aber ein Segel ist sie noch.
Gedichte werden wahr? Gedichte werden Lügen? Zumindest letzteres kann man verneinen. Gedichte werden höchstens Halbwahrheiten durch ein anderes Gedicht.
Nicht aufhören zu lesen und zu schreiben, weil es sowieso irgendwann aufhört, abgebrochen wird, durch das Zurückschnellen aus der Zeit und dem Raum ins blindgemalte Bild mit einer Farbe nur und die ist hell, fast weiß vielleicht. Also nicht aufhören, nicht der sein, der aufhört. Aufhören kann man immer noch, wenn man tot ist.
Die »Poesie. Meditationen« werden Ihnen von Timo Brandt (Jahrgang 1992) präsentiert. Er studiert derzeit an der Universität für angewandte Kunst in Wien, am Institut für Sprachkunst. Er schreibt Lyrik und Essays, außerdem veröffentlicht er Literatur-Rezensionen auf seinem Blog lyrikpoemversgedicht.wordpress.com, Babelsprech.org und Amazon. 2013 war er Preisträger beim Treffen junger Autoren.
Alle bereits erschienenen Folgen der »Poesie. Meditationen« finden Sie hier.