In den »Poesie. Meditationen« treffen Sie Timo Brandt: Der junge Lyriker und Lyrik-Kritiker (Jahrgang 1992) lässt Sie teilhaben an seinem ganz persönlichen Zugang zur Lyrik: Bei der Lektüre von Gedichten fließen Eindrücke zum Tagesgeschehen und poetische Impressionen zusammen. Der Leser begibt sich in einen beinahe meditativen Zustand, ganz im Hier und Jetzt und achtsam gegenüber den Phänomenen im gegenwärtigen Augenblick. Der Verknüpfung von Gedicht und Gedankenfluss geht Brandts Kolumne nach.
Ich habe wundervolle Offenbarungen mit Gedichtbänden erlebt, verlängerte Nächte und stundenversenkendes Lesen am Tag, weil ich nicht aufhören konnte die Seiten zu wenden, über das Weiß zu gleiten, wie mit Skiern über Schnee, und nochmal zurückzugehen zu diesem und jenem Gedicht, um zu prüfen, ob ich seine großartigen Wendungen und Spannweiten nicht nur geträumt hatte – und ob sich nicht noch weitere Entdeckungen in seinen Wortschnitzereien machen ließen.
Ich verbrachte den 4. Januar 2012 fast nur mit Tranströmergedichten auf dem Sofa. Ich las Ted Hughes »Etwas muss bleiben« im Garten des Frühlings 2011, während mir zahllose Käfer über den Handrücken krochen und das regennasse Gartenmobiliar eine herbe, fahle Note in der Erinnerung an diese wunderbare Lektüre zurückgelassen hat. Mit Rilkes Stundenbuch lag ich lange und atemlos auf dem Teppich im Wohnzimmer, es war 2009 und die erste Erfahrung dieser Art mit einem Gedichtband. Adam Zagajewski hielt mich im November 2012 immerhin 4 Stunden bis in den frühen Morgen hinein wach, während ich innerlich und äußerlich leicht zitterte und durch Notizen und Zitate all die Gegenden zu kartographieren versuchte, in die seine Gedichte mich geführt hatten, voller Angst, einzuschlafen und am nächsten Morgen nie wieder dorthin zu finden.
Bücher öffnen sich und die Weite des Ausblicks kannst du vor der Lektüre nicht ahnen und wenn du das Buch dann doch irgendwann schließen musst, ist das, trotz allen Möglichkeiten des Widerlesens, das Ende einer Reise, die nicht mehr in völlig unbekannte Weiten angetreten werden wird, zumindest nicht in den Gegenden dieses Gedichtbandes.
Ich dachte schon, dass es vielleicht nie mehr geschehen würde; dass die Zeit vorbei sei, in der Gedichtbände mich so vollendet fesseln und mit dem funkenschlagenden Prozess der Faszination unwiderstehlich verbinden könnten. Von wegen! Die Lektüre der Collected Poems des britischen Schriftstellers Thomas Hardy hat mich eines besseren belehrt und mich an eine Erfahrung erinnert, die mir unendlich kostbar ist und mich auf eine Art lebendig werden lässt, die mir gänzlich unerklärlich und dennoch höchstwillkommen ist: Die Erfahrung, dass Lyrik, dass Gedichte, dir für einige Moment alles bedeuten können. Wirklich alles.
Die »Poesie. Meditationen« werden Ihnen von Timo Brandt (Jahrgang 1992) präsentiert. Er studiert derzeit an der Universität für angewandte Kunst in Wien, am Institut für Sprachkunst. Er schreibt Lyrik und Essays, außerdem veröffentlicht er Literatur-Rezensionen auf seinem Blog lyrikpoemversgedicht.wordpress.com, Babelsprech.org und Amazon. 2013 war er Preisträger beim Treffen junger Autoren.
Alle bereits erschienenen Folgen der »Poesie. Meditationen« finden Sie hier.
wunderbar geschrieben. man findet sich wieder. ich finde mich wieder. bleibt: danke zu sagen!