Für eine neue Netz-Anthologie hat sich das Online-Forum der Zeitschrift DAS GEDICHT, www.dasgedichtblog.de, auf die Suche nach dem Schönen gemacht. Schließlich ist die Kunst seit Jahrhunderten auch eine Instanz der Ästhetik.
Und wenngleich seit längerem eine gewisse Scheu vor dem Schönen im modernen Kunstbetrieb herrscht und Schönheit heute oft reduziert wird auf den schönen Schein, auf das Streben nach Idylle oder die Anbetung getrimmter Körper – möchte die neue Netzanthologie von Redakteurin Sandra Blume der Schönheit in der Kunst einen besonderen Platz einräumen.
Über 40 Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben mehr als 100 Gedichte zum Thema »Das flüchtige Schöne einfangen« eingereicht. 16 ausgewählte Texte werden jeden Mittwoch zum Lesen und Hören auf DASGEDICHTblog veröffentlicht und laden dazu ein, jener Schönheit, die beim Betrachter Freude, Trost und Glück – wenigstens für kurze Augenblicke – auszulösen vermag, auf die Spur zu kommen.
Sandra Blume liest: »Fensterbilder« von Johanna Ruano
Johanna Ruano
Fensterbilder
I
falls es uns gibt in diesem novemberlicht
sind wir zugvögel hinter milchglas weiden
auf ausgebeulten mienen hauchen häuser
auf glas in die wir einziehen gelöst
und puderleicht dinge verschwimmen
vor neben in uns bis blicke sie greifen:
vom körper getrennt und kaum noch
berührt teilvorstellungen schieben sich
zwischen luftschichten vom fenster her
im aufwind tröpfeln sie hinter unsre augen
II
vor dem fenster sagen streichholzäste
wind sagen schneebehangen
möglichkeiten auf die sich in augäpfel
legen ins kalenderblatt du malst dich
in schleifen ins bild fieberhaft
reiben finger abdrücke in deinen
atem aus asphalt die welt rutscht
zwischen wimpern auf und ab
fast verhaucht schaust du in sie hinaus
bedeckt vom schnee der dinge
III
ab und zu trifft man sich zwischen
aushöhlungen und ritzen ausgelegt
mit fernen fenstern gleicht unser
gang knisterndem glas ganz illusion
über dem bürgersteig kreiseln wir
pendeln uns ein zwischen wortfarbe
und gedankenrand legen konturen
in die bäume darin können
wir uns aufspannen in eine
gänsehaut die uns besser kennt
© Johanna Ruano, Bottrop
Sandra Blume (Jahrgang 1976) hat Geschichte, Kulturwissenschaften und Journalistik studiert. Sie arbeitet seit 2005 als freie Texterin, PR-Beraterin und Theaterdramaturgin. Seit 2013 ist sie Pressesprecherin des Wartburgkreises in Thüringen. Sie hat bei zahlreichen Lese-, Radio- und Theaterveranstaltungen mit einer »lyrischen Zärtlichkeit des Lauschens und Staunens« dem Publikum so manches Gedicht neu eröffnet. 2017 hat sie auf DAS GEDICHT blog bereits die Online-Anthologie »Lyrik rettet den Montag« herausgegeben und hörbar gemacht. Gedichte der Autorin sind in diversen Anthologien zu finden, 2018 hat sie im Landstreicher Verlag den Wandkalender „Beginnende Tage“ mit Texten und Fotografien veröffentlicht.