»Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie«: eine fortlaufende Online-Anthologie, zusammengestellt von Jan-Eike Hornauer
Volker Maaßen
Nach Afghanistan
Dienst im Ausland – nein, kein Krieg
der deutschen Bundesrepublik.
Ein Orden und ein kurzer Tusch,
das war’s für mich am Hindukusch.
Ihr habt mir nicht gedankt, stattdessen
habt ihr mich einfach nur vergessen.
Beim Einsatz hieß es eben noch:
»Im Minenfeld geh du voran!«
Zu Hause sagt man mir jedoch:
»Nun stell dich wieder hinten an.«
Wie soll ich mich am Riemen reißen,
wenn mich die Höllenhunde beißen?
Kaum hör ich einen lauten Ton,
trifft mich das posttraumatische Syndrom.
»Habt keine Angst«, so heißt es, doch
ich pfeif schon aus dem letzten Loch.
Ich beiß die Zähne fest zusammen,
wenn Flashbacks mich zu Boden rammen.
Ja, kürzer treten. Aber wie?
Mein rechtes Bein reicht bis zum Knie.
Der Minenknall hallt nach im Ohr,
doch Weiteres kam sonst nicht vor.
Stube gereinigt und gelüftet.
Keine besonderen Vorkommnisse.
© Volker Maaßen, Hamburg
+ Das Original
Matthias Claudius
Kriegslied
’s ist Krieg! ’s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede du darein!
’s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!
Was sollt’ ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?
Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten, und mir fluchten
In ihrer Todesnot?
Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?
Wenn Hunger, böse Seuch’ und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammleten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?
Was hülf’ mir Kron’ und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
’s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!
Neben diesem berühmten, vor 240 Jahren entstandenen und zeitlos gültigen Anti-Kriegsgedicht, das die zentrale Insprirationsquelle für Volker Maaßens »Nach Afghanistan« bildet, sind hier selbstredend auch weitere Einflüsse aus dem weiten Feld der kritischen Kunst zum Thema Krieg vorhanden. Schwer zu übersehen ist etwa die Nähe der prosaischen Schlussverse (sowie der allgemeinen Gedichthaltung) zu Erich Maria Remarques Welt- und Stellungskriegsroman »Im Westen nichts Neues«.
+ Zum Autor
Volker Maaßen wurde 1943 in Breslau geboren. Er lebt heute als Arzt und Autor in Hamburg. Seine literarischen Schaffensschwerpunkte sind: komische Gedichte und Kurzgeschichten. Lyrisch baut er auf der Neuen Frankfurter Schule auf, zu deren Vertretern F. K. Wächter und Robert Gernhardt er in seiner Zeit in Berlin Kontakt hatte. Zuletzt erschienen sind von ihm die Gedichtbände »Lyrik mit Gänsefüßchen« (Karina Verlag 2018; besprochen hier auf DAS GEDICHT blog von Sabine Zaplin) und »Lyrik auf Rezept« (Seemann Publishing 2017) sowie die Kurzgeschichtensammlung »Querschläger« (Karina Verlag 2018) und der satirische Thriller »Tödliche Transaktionen« (Mohland 2014).
»Gedichte mit Tradition« im Archiv
Zu dieser Reihe: »Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie« ist eine Online-Sammlung zeitgenössischer Poeme, die zentral auf ein bedeutendes Werk referieren, ob nun ernsthaft oder humoristisch, sich verbeugend oder kritisch. Jeden zweiten Freitag erscheint eine neue Folge der von Jan-Eike Hornauer herausgegebenen Open-End-Anthologie. Alle bereits geposteten Folgen finden Sie hier.