Gedichte mit Tradition, Folge 257: »Weidenrehlein« von Michael Hüttenberger

»Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie«: eine fortlaufende Online-Anthologie, zusammengestellt von Jan-Eike Hornauer


Michael Hüttenberger

Weidenrehlein

Sah ein Wolf ein Rehlein steh’n,
Rehlein auf der Weide,
War so jung und war so schön
Appetitlich anzuseh’n.
Sah’s mit sehr viel Freude.
Rehlein, Rehlein, bist bald tot,
Rehlein auf der Weide.

Wolf sprach: »Reh, ich fresse dich,
Rehlein auf der Weiden.
Ich bin hungrig, du bist frisch!«
Sagt, ist das nicht fürchterlich?
Wie könnt’ man’s vermeiden?
Rehlein, Rehlein ist bald tot,
Rehlein auf der Weiden.

Kommt ein Jägersmann und sieht
Beide auf der Weiden.
Ahnt ihr schon, was jetzt geschieht?
Peng! Ein Schuss! – Der Wolf, er flieht
Fort von dieser Weiden.
Und das Rehlein? Es ist tot,
Musst’ zum Glück nicht leiden.

Die Moral von der Geschicht’
Vom Rehlein auf der Weide:
Traue Wolf und Jäger nicht!
Beide üben nicht Verzicht,
Töten wollen beide.
Beide wollten nur den Tod
Vom Rehlein auf der Weide.


© Michael Hüttenberger, Michelstadt im Odenwald

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Zu dieser Reihe: »Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie« ist eine Online-Sammlung zeitgenössischer Poeme, die zentral auf ein bedeutendes Werk referieren, ob nun ernsthaft oder humoristisch, sich verbeugend oder kritisch. Jeden zweiten Freitag erscheint eine neue Folge der von Jan-Eike Hornauer herausgegebenen Open-End-Anthologie. Alle bereits geposteten Folgen finden Sie hier.



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