»Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie«: eine fortlaufende Online-Anthologie, zusammengestellt von Jan-Eike Hornauer
Esther Ackermann
Abendphantasie
Für den Abend
Bring etwas zum Ausruhen
Die Geschäftigen haben
1 Bank
1 Herd
1 Abendglocke
1 Laube
1 Hafen
Bring einfach was du kannst
Ich habe schon
1 Stachel in der Brust
1 Rose am Abendhimmel
1 törichte Bitte
1 zu viel begehrendes Herz
1 Alter
Wohin denn ich?
Wie immer bin ich –
Komm du nun!
Du kennst mich ja
Bring einfach was du kannst
Vielleicht einen Wadenwickel
© Esther Ackermann, Liebefeld (bei Bern)
+ Das Original
Friedrich Hölderlin
Abendphantasie
Vor seiner Hütte ruhig im Schatten sitzt
Der Pflüger, dem Genügsamen raucht sein Herd.
Gastfreundlich tönt dem Wanderer im
Friedlichen Dorfe die Abendglocke.
Wohl kehren itzt die Schiffer zum Hafen auch,
In fernen Städten, fröhlich verrauscht des Markts
Geschäftger Lärm; in stiller Laube
Glänzt das gesellige Mahl den Freunden.
Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen
Von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh’ und Ruh
Ist alles freudig; warum schläft denn
Nimmer nur mir in der Brust der Stachel?
Am Abendhimmel blühet ein Frühling auf;
Unzählig blühn die Rosen und ruhig scheint
Die goldne Welt; o dorthin nimmt mich,
Purpurne Wolken! und möge droben
In Licht und Luft zerrinnen mir Lieb’ und Leid! –
Doch, wie verscheucht von töriger Bitte, flieht
Der Zauber; dunkel wirds und einsam
Unter dem Himmel, wie immer, bin ich –
Komm du nun, sanfter Schlummer! zu viel begehrt
Das Herz; doch endlich, Jugend! verglühst du ja,
Du ruhelose, träumerische!
Friedlich und heiter ist dann das Alter.
+ Zur Autorin
Esther Ackermann, geboren 1962 in Thun, genauer im »Heim für gefallene Mädchen« im Stadtteil Hohmad, lebt heute in Liebefeld bei Bern. Sie ist Germanistin und Theaterwissenschaftlerin (lic. phil.), hat zudem auch einige Zeit Kunstgeschichte und Pädagogik studiert. Nach zahlreichen handwerklichen Jobs als Werkstudentin arbeitete sie als Dramaturgin, Verlagslektorin, Rezensentin, Sekretärin einer kommunalen Präsidialabteilung (Worb) und als Koordinatorin und Dokumentalistin des Schweizerischen Literaturarchivs in Bern. Es folgten, begleitend zur Angehörigenpflege, freies Lektorat und Korrektorat.
Als Leserin schon ein Leben lang der Lyrik verbunden, kam Ackermann selbst erst spät zum Schreiben und Publizieren, doch seit rund zehn Jahren sind Gedichte und auch kurze Prosastücke von ihr in etlichen Literaturzeitschriften und Anthologien zu finden (u. a. in den Periodika »Jahrbuch der Lyrik«, »Das Gedicht« und »Poesie Agenda« sowie in »Wenn Liebe schwant«, hg. v. Jan-Eike Hornauer, muc Verlag 2017). Esther Ackermann ist Jurymitglied beim Kurt-Marti-Literaturpreis. 2016 erschien mit »Die Hand hinein« (orte Verlag) ihr erster Gedichtband.
»Gedichte mit Tradition« im Archiv
Zu dieser Reihe: »Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie« ist eine Online-Sammlung zeitgenössischer Poeme, die zentral auf ein bedeutendes Werk referieren, ob nun ernsthaft oder humoristisch, sich verbeugend oder kritisch. Jeden zweiten Freitag erscheint eine neue Folge der von Jan-Eike Hornauer herausgegebenen Open-End-Anthologie. Alle bereits geposteten Folgen finden Sie hier.