Gedichte mit Tradition, Folge 295: »Der Rabe« von Jens Rohrer

»Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie«: eine fortlaufende Online-Anthologie, zusammengestellt von Jan-Eike Hornauer


Jens Rohrer

Der Rabe

Raben bleiben winters da,
doch sprach die Räbin einstmals: Krah!
Ich möchte gerne mal ans Meer
Sprach der Rabe: Bittesehr

Im Flug sagt sie: Hach, ist das schön!
Schau nur die Täler, Berge, Seen!
Was grantelst du da nur umher
Er sagt: Mich nervt der Skiverkehr

Nicht lange, dann sind sie bald da,
von fern schimmert die Adria
Im Sonnenlichte glitzert’s sehr
Es ruft die Räbin: Sieh her! Meer!

Ein Ozean ist keine Wiese,
es weht dort eine steife Brise
Sie sagt: Hier gefällt’s mir sehr!
Sprach der Rab’: Es zieht hier sehr

Bald hat er Sand zwischen den Krallen
Wem soll denn so etwas gefallen?
Das Zeug haftet an ihm wie Teer
Es geht ja kaum noch schlimmer mehr

Doch steht er an der falschen Stelle
und es erfasst ihn eine Welle
Er kämpft sich hustend aus dem Meer
Der arme Rabe bibbert sehr

Ganz langsam, sacht, fasst er sich wieder,
schüttelt das Wasser vom Gefieder
Ob er denn in Ordnung wär?
Von ihm tönt nur ein Wimmern her

Am Abend spricht sie dann im Neste:
Das war ja wohl das Allerbeste!
Gell, wir kommen noch mal her?
Sprach der Rabe: Nie mehr Meer


© Jens Rohrer, Ingolstadt

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Zu dieser Reihe: »Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie« ist eine Online-Sammlung zeitgenössischer Poeme, die zentral auf ein bedeutendes Werk referieren, ob nun ernsthaft oder humoristisch, sich verbeugend oder kritisch. Jeden zweiten Freitag erscheint eine neue Folge der von Jan-Eike Hornauer herausgegebenen Open-End-Anthologie. Alle bereits geposteten Folgen finden Sie hier.



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