GIPFELRUF
Folge 33: Knut Schaflinger

Knut Schaflinger (*1951)

  • Lyriker aus Augsburg
  • Knut Schaflinger wurde in Graz geboren, seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Bruck an der Mur. Er studierte in Wien und arbeitete anschließend bis 1995 als freier Filmemacher beim Bayerischen Fernsehen in München. Seitdem ist er als Redakteur bei den Tagesthemen in Hamburg tätig.1995 erschien Schaflingers erster Lyrikband »Drei Teile vom Licht«. Außerdem veröffentlichte er Gedichte in Anthologien, literarischen Kalendern und Literaturzeitschriften. Sein Werk wurde mit mehreren Preisen bedacht, zuletzt erhielt er 2005 den Lyrikpreis Feldkirch.Zu seinen letzten Veröffentlichungen zählen: »Schneebrand. Gedichte« (2011, Verlag Ralf Liebe), »Flüchtige Substanzen. Gedichte« (Poesie 21 bei Steinmeier, 2009) sowie »Scherben und Mosaike. Gedichte« (Edition Thaleia, 2005).

In loser Folge stellt Franziska Röchter für dasgedichtblog die Teilnehmer des »Internationalen Gipfeltreffens der Poesie« am 23.10.2012 in München vor. Sie sprach mit Gipfelteilnehmer Knut Schaflinger über Formstrenge und Banalität im Gedicht.

»Eine Art Wortarchitektur zu entwickeln, war mir ein Genuss.«
Knut Schaflinger

dasgedichtblog: Herr Schaflinger, an Ihrem jüngsten Gedichtband »Schneebrand« (Edition Poema, Verlag Liebe, 2011) fällt die konsequente Formstrenge der Gedichte auf. Jeweils fünf Strophen à drei Zeilen hat jedes Gedicht. Wie kam es dazu? Haben Sie die Gedichte von Anfang an mit dieser formalen Vorgabe verfasst oder haben Sie bereits bestehende Texte dahingehend modifiziert?

Knut Schaflinger: Zunächst: Spielerei. Und abgekupfert. Dante Alighieris Versschema der Terzine in der »Göttlichen Komödie« hat Pate gestanden. Dann: der Versuch, Gedanken in eine strenge Form zu gießen und dieses Gefäß nicht zum Überlaufen zu bringen. Also: Form und Inhalt als poetisches Gestaltungsprinzip. Bereits bestehenden Texten wolle ich diesen Zwang nicht antun. Aber die Freiheit, Silben zu zählen, eine Art Wortarchitektur zu entwickeln, war mir ein Genuss.

dasgedichtblog: Sie sind Journalist und Lyriker. Wie vertragen sich diese beide unterschiedlichen Herangehensweisen an das Schreiben?

Knut Schaflinger: Meine Arbeit als Redakteur bei den Tagesthemen und meine lyrische Betrachtung von Welt hängen wie kommunizierende Gefäße zusammen. Das Eine geht nicht ohne das Andere. Und: manchmal tut es richtig gut, meine so sehr durch Krise, Krieg, Krawall und Grusel versaute Sprache im Ätzbad der Poesie zu reinigen.

dasgedichtblog: Unter anderem verantworten Sie die Auslandsberichterstattung der Tagesthemen. An einem durchschnittlichen Tag haben Sie Zugriff auf über 200.000 Agenturmeldungen, können aber nur wenige Auslandsberichte und Nachrichten in der Sendung unterbringen. Ihr Job bringt also eine gewisse Übung mit sich, Unwesentliches von Wesentlichem zu unterscheiden. Erleichtert diese selektive Haltung Ihre lyrische Tätigkeit?

Knut Schaflinger: Eindeutig ja! Ich fahre an manchen Tagen nach zwölf, dreizehn Stunden Arbeit mit dem Rad nach Hause und habe eine große Sehnsucht nach eigenen Bildern. Jetzt, im Sommer, ist es in Hamburg gegen 23 Uhr ja noch dämmrig. Ich radle durch einen kleinen Park und öffne mich für Sätze, Beobachtungen, Bilder. Ich nenne das: »Gedichte pflücken«. Manchmal kann ich ernten.

dasgedichtblog: Als ehemaliger Dozent an der Bayerischen Akademie für Fernsehen haben Sie auch Seminare über das Thema »Texte auf Bildern« gehalten. Inwiefern unterschieden sich derartige Texte grundlegend von Gedichten?

Knut Schaflinger: Auf bestehende (Fernseh-)Bilder zu texten, erfordert eine radikale Beschränkung sprachlicher Möglichkeiten. Der Text hat sich dem Bild, um es glaubwürdig – als wessen Abbild auch immer – zu transportieren, zu ›unterwerfen‹. Gedichte zu schreiben, erlaubt uns, eigene Bilder zu finden, die erst durch Sprache zu Form, Farbe und damit Sinn kommen.

»Zur Realität gehört immer auch ihr Gegenteil!«

dasgedichtblog: Wie kommen Sie zu Ihren eigenen inneren Bildern und transportieren diese in Sprache?

Knut Schaflinger: Durch Beobachtung. Der Lyriker Schaflinger nimmt zur Kenntnis, was den Journalisten Schaflinger nicht interessiert oder nicht zu interessieren hat. Und macht aus einer Beobachtung, die keine Nachricht ist, eine Erkenntnis, wie denn wohl alles Beobachtete zusammenhängen könnte. Heißt: nach Art des »objet trouvé« entnehme ich der Wirklichkeit Details, die ich zu einer neuen Wirklichkeit zusammensetzen mag. Zur Realität gehört immer auch ihr Gegenteil!

dasgedichtblog: In Ihrem Band »Scherben und Mosaike« (Edition Thaleia, 2005) setzen Sie ein »eigenwilliges Überschriftenverfahren« ein. Jede Überschrift besteht aus zwei Teilen, ist sehr ausführlich und benennt im ersten Teil den Gegenstand der poetischen Betrachtung oder der Situation, im zweiten Teil wird der Inhalt umrissen. Was bezwecken Sie mit dieser Form?

Knut Schaflinger: Gedichte sind – zumindest mir – wie Spiegel, aus denen mir, je nach Stimmung, Tageszeit, Verfassung etc. ein und derselbe Text immer anders und neu entgegen kommt. Da das, auf meine eigenen Texte übertragen, heißt, dass sie nie eineindeutig sind, habe ich nach einem Verfahren gesucht, welches sie eindeutiger machen könnte: der zweite Titel. Er sollte eine Art Handlauf sein, der den Leser zum Ziel führt – in welcher Stimmung er auch immer ist.

dasgedichtblog: Dieses »Überschriftenverfahren« findet auch durchgängig Anwendung in Ihrem Band »Flüchtige Substanzen« (Poesie 21 bei Steinmeier, 2009). In »Schneebrand« lassen Sie von dieser ›doppelten‹ Überschrift ab. War das Ihre Entscheidung oder hat bei den Überschriften schon mal der Verleger das letzte Wort?

Knut Schaflinger: Ja, hat er. Ein bisschen zumindest. Gedichte zu veröffentlichen setzt ja Rede über diese Gedichte voraus. Ich habe mich überzeugen lassen, dass das Mehrdeutige einen Text öffnet und, trotz des ihm innewohnenden Widerspruchs, manchmal verstehbarer macht.

»Manchmal gelingt es mir, der Welt durch ein Gedicht habhaft zu werden. Das nenne ich Glück!«

dasgedichtblog: In Ihrem Band »Schneebrand« finden sich kleine Geschichten über besondere Momente und Beobachtungen des Lyrischen Ichs, die trotz der Banalität der sichtbaren Gegenstände mit Bedeutung aufgeladen sind. Man hat den Eindruck, Sie können über alles Gesehene und Erlebte etwas schreiben.

Knut Schaflinger: Auch das Banale ist einen Text wert. Für mich gibt es keine Ding- oder Gefühlswelt, die zu beschreiben sich nicht lohnte. Manchmal gelingt es mir, der Welt durch ein – auch eigenes – Gedicht habhaft zu werden. Das nenne ich Glück! Über alles schreiben können? Schön wärs!

»Texte trommeln« ist der Versuch, die Schnittmenge zwischen Poesie und Musik als Folge von Geräusch und Melodie mit allen Mitteln des Vortrags auszuloten. Die Aufnahmen entstanden 2007 im Zuge einer Programmentwicklung für eine Veranstaltungsreihe durch einige Literaturhäuser zusammen mit dem 2008 verstorbenen Journalisten Jens-Uwe Knoch, und werden eigens für dasgedichtblog zur Verfügung gestellt. Nachlesen kann man die Texte in »Scherben und Mosaike. Gedichte« (Edition Thaleia, 2005).

Audiodatei: Knut Schaflinger liest »Alter Leiterwagen auf dem Dachboden. Ein Kinderspielzeug«

Audiodatei: Knut Schaflinger liest »Wie venezianisches Glas. Ein Fundament«

Audiodatei: Knut Schaflinger liest »Verwöhnter Tiger mit Pauke. Eine Belohnung«

dasgedichtblog: Welchen Prozess durchlaufen Ihre Gedichte vom ersten Schreibimpuls bis zum fertigen Text? Und wie oft schreiben Sie überhaupt Gedichte?

Knut Schaflinger: Ganz unterschiedlich. Mein Schreiben funktioniert für mich auch als das Überbrücken einer Strecke zwischen Anfang und Ende. Ich habe eine Wahrnehmung, die ich im Kopf umforme, und dazwischen muss Sprache eine Verbindung herstellen können. Gehen mir, weil ich keinen Weg zum Ende finde, die Bilder verloren, verliere ich auch das Interesse an einem Text. Gedichte schreibe ich, so oft ich kann. Aber: nicht alles, was ich schreibe, ist ein Gedicht.

dasgedichtblog: 2006 haben Sie zusammen mit dem mittlerweile verstorbenen Journalisten Jens-Uwe Koch für eine Veranstaltungsreihe in einigen Literaturhäusern das Projekt »Texte trommeln« durchgeführt. Welche Überlegungen steckten dahinter?

Knut Schaflinger: Wenn wir akzeptieren, dass ein Gedicht unter anderem auch Rhythmus ist, dann liegt nahe, Gedichte mit Instrumenten, die nur Rhythmus sind, zu unterstützen. Das war der erste Grund. Der zweite: durch ungewöhnliche Formen der Text-Präsentation neues Publikum zu interessieren. Und der dritte: es hat einfach nur Spaß gemacht, dem eigenen Text und der eigenen Sprache noch ein weiteres Geräusch hinzuzufügen.

dasgedichtblog: Herzlichen Dank, dass Sie sich für dieses Gespräch die Zeit genommen haben, Herr Schaflinger.

Knut Schaflinger
Flüchtige Substanzen

Poesie 21 bei Steinmeier, Deiningen, 2009
70 Seiten
978-3-939777-34-2
Euro 12,80  [D]

 




Das »Internationale Gipfeltreffen der Poesie: 20 Jahre DAS GEDICHT« ist eine Veranstaltung von Anton G. Leitner Verlag | DAS GEDICHT in Zusammenarbeit mit dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München und dem Literaturhaus München. Die Veranstaltung wird vom BR für sein Fernsehprogramm BR-alpha aufgezeichnet (geplante Erstsendung: Samstag, 12. Januar 2013, 22.30 Uhr, Reihe »Denkzeit«, BR-alpha). Hugendubel.de unterstützt das »Internationale Gipfeltreffen der Poesie: 20 Jahre DAS GEDICHT« als Förderpartner.

 

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