Humor in der Lyrik – Folge 44: Christian Friedrich Daniel Schubart (1739 – 1791): Rebellischer Untertan und lebensfroher Bürgerschreck

Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.

 

Das Leben der wohl schillerndsten Gestalt des 18. Jahrhunderts beginnt im Frühling 1739 im Württembergischen. Es ist das unrunde Leben eines Dichters, den heute kaum mehr wer kennt. Geboren als Sohn eines Pfarrvikars und Lehrers wächst Christian Friedrich Daniel Schubart in Aalen auf. Nach dem Gymnasium studiert er Theologie in Erlangen und führt ein lustiges Studentenleben. »Wein und Weiber«, so gesteht er später, »waren die Skylla und Charybdis, die mich wechselsweise in ihren Strudeln wirbelten.« Von den Eltern 1760 nach Aalen zurückbeordert, arbeitet der 21-jährige nun als Hilfslehrer und Hilfsprediger, erhält dann die Stelle eines Schulmeisters. Im Unterricht verwendet er auch selbstverfasste Texte, wie diese Fabel:

»In Africa ist ein Tier mit Namen Plimpplamp, von ganz wunderbarer Art. Es hat keine Galle, keinen Magen und doch einen vortrefflichen Tier-Verstand. Es arbeitet von Morgen bis zum Abend und reiniget den Wald von allem Kote, den die jungen Bestien scheissen. Wann es nun genug gearbeitet hat, so riecht es dreimal in den Wind, und lebt also würklich von der Luft. Es ist so geduldig, dass es sich ganz gelassen von allen wilden Tieren ins Gesicht pissen lässt. Es ist immer hungrig und frisst doch nichts; immer durstig und trinkt doch nichts; es arbeitet beständig und hat Dreck zum Lohne. Es hat ein gutes Gesicht und sieht doch nichts; einen scharfen Geruch und riecht doch nichts. Es ist im ganzen Wald das nützlichste Tier und wird doch von den andern Tieren für das schlechteste gehalten. Dieses arme Tier hat in seinem ganzen Leben nur einen einzigen glücklichen Tag, nämlich den Tag – wann es verreckt. Was muss das doch für ein Tier sein? Hm! Was sonst als ein verwandelter Schulmeister, wenigstens sind unsre Schulmeister die Moral zu dieser Fabel.«

Auch das folgende Anti-Kriegs-Gedicht hat er in seinem Schulmeister-Repertoire:
 

Schiessen möcht ich hören,
wann die Kugel noch Leberknöpflen wären:
gäb es doch kein Loch.
Säbel sind ein Wurst.
Mit Bratwürsten hauen
Das ist meine Lust.
Solche Krieg sind schöner
Die ergötzen uns.
 

1769 wird er als Organist und Musikdirektor an den württembergischen Hof nach Ludwigsburg berufen. Er spielt derart ausgezeichnet Klavier und Orgel, dass man ihn nach Goethes Aussage hierin für »unerreichbar« hält. Auch das Dichten kommt nicht zu kurz.

Christian Friedrich Daniel Schubart. Zeitgenössisches Porträt
Christian Friedrich Daniel Schubart. Zeitgenössisches Porträt

Sein Gedicht »Die Forelle« – von ihm 1783 verfasst – wird von seinem Beinahe-Namensvetter Franz Schubert vertont und ist bis heute eines der bekanntesten Kunstlieder des Komponisten.
 

In einem Bächlein helle,
Da schoß in froher Eil
Die launische Forelle
Vorüber, wie ein Pfeil:
Ich stand an dem Gestade
Und sah in süßer Ruh
Des muntern Fischleins Bade
Im klaren Bächlein zu.

Ein Fischer mit der Ruthe
Wohl an dem Ufer stand,
Und sah’s mit kaltem Blute,
Wie sich das Fischlein wand.
So lang dem Wasser Helle,
So dacht’ ich, nicht gebricht,
So fängt er die Forelle
Mit seiner Angel nicht.

Doch endlich ward dem Diebe
Die Zeit zu lang; er macht
Das Bächlein tückisch trübe:
Und eh’ ich es gedacht,
So zuckte seine Ruthe;
Das Fischlein zappelt dran;
Und ich, mit regem Blute,
Sah die Betrogne an.
 

Die vierte folgende Strophe des Gedichts wird von Schubert allerdings nicht vertont:
 

Ihr, die ihr noch am Quelle
Der sichern Jugend weilt,
Denkt doch an die Forelle;
Seht ihr Gefahr, so eilt!
Meist fehlt ihr nur aus Mangel
Der Klugheit; Mädchen, seht
Verführer mit der Angel –
Sonst blutet ihr zu spät.
 

Dieses beschwingt-heitere Gedicht verrät viel vom Wesen Schubarts, dessen Lebenswandel als Lebemann, Hasardeur, Schürzenjäger ihn bald berühmt und berüchtigt macht. Überall, wo er auftaucht, steht er mit seinen Geschichten im Mittelpunkt und verbreitet gute Laune. Zu großen Dramen und Romanen hat er zwar immer wieder Pläne, setzt sie aber nicht um, dazu fehlt ihm der Fleiß. Wegen seiner Trinkfestigkeit wird er bewundert und das Trinken inspiriert ihn zu manchem Text, so etwa zu dem »Branteweinlied«:
 

O Fläscherl, hübsch und fein,
Gefüllt mit Branntewein!
Du bist des Wurstels Freude,
Bist seine Schnabelweide,
Gluk gluk, gluk gluk, gluk
Gluk, gluk – – –
O goldner Branntewein,
Wie süß schlüpfst du hinein!

Trink’ ich ein Gläschen Spitz,
Krieg’ ich Verstand und Witz.
Dann tanz’ ich nach der Fiedel,
Sing’ hübsche deutsche Liedel.
Gluk, gluk – – –
Gluk – – – –
O goldner Branntewein,
Wie süß schlüpfst du hinein!
 

Stets ist Schubart nach dem letzten Schrei gekleidet. Von Sparsamkeit hält er ebenso wenig wie von einem sittlichen Lebenswandel, was die Biedermänner gegen ihn aufbringt. Vor allem Adel und Klerus verurteilen seinen mangelnden Respekt ihnen gegenüber und seine Lästerungen der Aristokratie und der Geistlichkeit. Nach vier Jahren sieht sich Herzog Carl Eugen gezwungen, ihn des Landes zu verweisen. Schubart geht nach Augsburg und gibt dort 1774 die Zeitschrift der »Deutschen Chronik« heraus, in der er gegen die Jesuiten polemisiert und den Fürsten Machtmissbrauch bescheinigt. Seine Beiträge in der »Deutschen Chronik« verfasst er, biertrinkend und Pfeife rauchend, meist im Wirtshaus. Gelesen werden sie von Dichterkollegen wie Hölderlin ebenso wie von einfachen Handwerkern und Bauern. Dazwischen verfasst Schubart immer wieder auch launige Gedichte, wie etwa den Ratschlag für einen Bierwirt.
 

Recipe für einen Bierwirth

Bruder, komm, ich rathe dir,
Braue hübsches, dünnes Bier.
Wirf, damit’s die Gäste dürste,
Handvoll Salz in deine Würste,
Halte eine schöne Magd,
Die den Gästen nichts versagt;
Und für eine kleine Freude
Schreibe doppelt mit der Kreide!
Halt’ auf deinen Vortheil fest,
Du wirst reich! – Probatum est
 

Vertrieben vom Augsburger Magistrat, der seine Respektlosigkeiten nicht mehr erträgt, begibt sich der schwäbische Bürgerschreck nach Ulm. Doch seine Kritik wird immer schärfer. Ungeniert prangert er den Menschenhandel seines Landesherrn an, der an die Engländer seine württembergischen Soldaten gegen Geld verleiht und sie im Kolonialkrieg Englands in Nordamerika sterben lässt. Doch damit nicht genug. Er verspottet auch noch Karl Eugens Mätresse Franziska von Hohenheim als »Lichtputze, die glimmt und stinkt.« Für den absolutistisch herrschenden Landesfürsten Herzog Karl Eugen war nun Schluss mit lustig. Am 23. Januar 1777 lässt er den Dichter von Ulm aus nach Blaubeuren auf württembergisches Gebiet locken, wo er verhaftet wird. Im Februar 1777 kerkert man ihn ohne Verhör, Anklage und ohne Prozess und Urteil auf der Bergfestung Hohen-Asperg nördlich von Stuttgart ein, wo er zehn Jahr einsitzt. Damit ist er einer der ersten Journalisten, der nur deshalb hinter Gitter muss, weil er die Wahrheit sagt. In seinem Turmverlies darf er keinen Besuch und keine Post empfangen und das Lesen und Schreiben wird ihm zumindest in den ersten Jahren verboten. Mit pietistischen Schriften und ständigen Belehrungen durch klerikale Personen wird er nach und nach einer religiösen Gehirnwäsche unterzogen.

Als es ihm gelingt, das radikale Gedicht »Die Fürstengruft«, das den Herrschenden das Jüngste Gericht androht, aus dem Knast zu schmuggeln, wird seine Haftzeit auf zehn Jahre ausgedehnt. Hier ein paar Ausschnitte des 105 zeiligen Schmähgedichts.
 

Die Fürstengruft

Da liegen sie, die stolzen Fürstentrümmer,
Ehmals die Götzen ihre Welt!
Da liegen sie, vom fürchterlichen Schimmer
Des blassen Tags erhellt!
Die alten Särge leuchten in der dunkeln
Verwesungsgruft, wie faules Holz;
Wie matt die großen Silberschilde funkeln,
Der Fürsten letzter Stolz! […]

Da liegen Schädel mit verloschnen Blicken,
Die ehmals hoch herabgedroht,
Der Menschheit Schrecken! – denn an ihrem Nicken
Hing Leben oder Tod.
Nun ist die Hand herabgefault zum Knochen,
Die oft mit kaltem Federzug
Den Weisen, der am Thron zu laut gesprochen,
In harte Fesseln schlug. […]

Er steht nicht auf, euch Beifall zuzulächeln,
Und wiehert keine Zoten mehr,
Damit geschminkte Zofen ihn befächeln,
Schamlos und geil, wie er.
Sie liegen nun, den eisern Schlaf zu schlafen,
Die Menschengeisseln, unbetraurt,
Im Felsengrab, verächtlicher als Sklaven,
Im Kerker eingemaurt. […]

Die Hunde nur und Pferd’ und fremde Dirnen
Mit Gnade lohnten, und Genie
Und Weisheit darben liessen; denn das Zürnen
Der Geister schreckte sie.
Die hegen nun in dieser Schauergrotte
Mit Staub und Würmern zugedeckt,
So stumm! so ruhmlos! noch von keinem Gotte
Ins Leben aufgeweckt. […]
 

Nach einem Jahr Einzelhaft bekommt Schubart in seiner feuchten Zelle Rheuma und leidet immer wieder an Erkältungen, was ihn nach und nach zermürbt. Die Bitten von Freunde in ganz Deutschland, die ihn als Freiheitshelden und Märtyrer feiern, nützen nichts. Sogar Friedrich der Große von Preußen, den Schubart als einzigen Fürsten schätzt, weil in Preußen Toleranz und Pressefreiheit herrschen und ein reformiertes Universitätswesen vorhanden ist, setzt sich für seine Freilassung ein. 1781 wird dem Dichter Friedrich Schiller erlaubt, Schubart auf dem Hohen-Asperg zu besuchen. Dessen Schicksal vor Augen flieht Schiller ein Jahr später aus Stuttgart. Schubarts Erzählung »Zur Geschichte des menschlichen Herzens« inspiriert Schiller 1781 zu seinem Drama »Die Räuber«.

Schiller soll bei seinem Besuch des Häftlings Schubart  im November 1781 geseufzt haben: »Ein gefangener Mann, ein armer Mann!« Zeitgenössische Darstellung
Schiller soll bei seinem Besuch des Häftlings Schubart im November 1781 geseufzt haben: »Ein gefangener Mann, ein armer Mann!« Zeitgenössische Darstellung

Erst nach einer Intervention von Preußens König Friedrich Wilhelm II. wird Schubart 1787 schließlich entlassen. Nach zehn Jahren Knast und Gehirnwäsche ist er politisch umerzogen. Der einst trinkfreudige Dichter ist nun gebändigt und schreibt als Hofpoet sogar Loblieder auf Württembergs Herzog Karl Eugen, der ihn ins Gefängnis gebracht hat. In den ihm noch verbleibenden vier Lebensjahren darf er sogar wieder als Musik- und Theaterdirektor am Herzogshof zu Stuttgart arbeiten.

Mit Schubarts Tod 1791 verbindet sich die Legende, er sei lebendig begraben worden. Zwölf Jahre Knast und dann auch noch als Scheintoter unter die Erde zu kommen ist schon recht bitter. Als später der Friedhof aufgelöst wird, entdeckt man, dass sein Sarg von innen völlig zerkratzt ist, worauf bei deutschen Dichtern die Angst umgeht, scheintot beerdigt zu werden.

 

Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München

»Humor in der Lyrik« wird Ihnen von Alfons Schweiggert präsentiert. Der Münchner Schriftsteller veröffentlichte neben Erzählungen und seinem Roman »Das Buch« mehrere Lyrikbände, Biographien und Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München ist er seit 2010 freischaffender Autor. Schweiggert ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Turmschreiber und Vorstand der »Karl Valentin-Gesellschaft«.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.

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