Im babylonischen Süden der Lyrik – Folge 40: »DER ‚LITERATURNOBELPREIS‘ DES SPANISCHSPRACHIGEN RAUMS GEHT MIT DEM CERVANTES-PREIS 2018 AN IDA VITALE (URUGUAY)«

Tobias Burghardt flaniert jeweils am 5. eines Monats auf DAS GEDICHT blog durch die südlichen Gefilde der Weltpoesie. In der Rubrik »Im babylonischen Süden der Lyrik« werden Sprachgemarkungen überschritten und aktuelle Räume der poetischen Peripherien, die innovative Mittelpunkte bilden, vorgestellt.

 

Zuletzt berichteten wir über Uruguay, das im Oktober 2018 neugegründete »Festival Internacional de Poesía en Uruguay« und über die gefeierte uruguayische Lyrikerin und Übersetzerin Ida Vitale, siehe auch »Im babylonischen Süden der Lyrik« Folge 39.

Jona Burghardt und Ida Vitale
Jona Burghardt und Ida Vitale in Montevideo, © Tobias Burghardt

Jetzt ist Ida Vitale die höchste Auszeichnung der spanischsprachigen Welt, der Cervantes-Preis 2018, der als der dortige Literaturnobelpreis gilt, zugesprochen worden. Die Preisverleihung wird am 23. April 2019 in Alcalá de Henares stattfinden. Zu der Liste der bislang vierundvierzig Cervantes-Preisträger gehören u.a. Juan Gelman, José Emilio Pacheco und Jorge Luis Borges.

Am 24. November 2018 wurde Ida Vitale in Guadalajara zur mexikanischen Buchmesseneröffnung mit dem »Premio FIL de Literatura 2018« feierlich geehrt, den sie dankenswert annahm und Mexiko, wo sie in den dunklen Zeiten der Militärdiktatur in Uruguay ganze elf Jahre im Exil mit ihrem zweiten Ehemann, dem uruguayischen Lyriker, Übersetzer und Literaturkritiker Enrique »Quique« Fierro (1941-2016), gelebt hatte, als »eine Kooperation von Schutzengeln« bezeichnete, zu denen u.a. auch Octavio Paz, doch vor allem Quique gehörte. Nach seinem Tod zog es sie dann aus Austin, Texas, wo sie zuletzt wohnten, wieder zurück nach Montevideo, wo sie heute lebt. Wie gerne wäre Enrique »Quique« Fierro bei ihren jüngsten Preisverleihungen in Frankreich, Mexiko und Spanien dabei gewesen! An dieser Stelle eins seiner Gedichte zu ihrer Begleitung.

Handschrift von Ida Vitale
Handschrift von Ida Vitale, © Delta-Archiv Stuttgart

 

Enrique Fierro

POLIFONÍA

Incluso al borde,
límite de hora,
se ha de velar los hombres.
No olvidarse.
Son esclavos
– no tomaron por asalto el cielo –
pero – parezca incierto –
están dispuestos a reino
de amanecida antes de muerte.
Así. Y a no olvidarse. Luego
seguiremos hablando.

 

 

 

Ida Vitale und Tobias Burghardt
Ida Vitale und Tobias Burghardt in Montevideo, © Jona Burghardt

 

Enrique Fierro

POLYPHONIE

Sogar am Rande,
der Grenze der Zeit,
muss man der Menschen gedenken.
Nicht vergessen.
Es sind Sklaven,
sie stürmten nicht den Himmel,
aber, wenngleich es ungewiss scheint,
sind sie vor dem Tod zu einer Regierung
des Sonnenaufgangs bereit.
So. Und ohne Vergessen. Danach
sprechen wir weiter.

Übertragen von Juana & Tobias Burghardt

 

¡Enhorabuena, Ida Vitale! ¡Feliz Navidad!

 

Tobias Burghardt. Foto: privat
Tobias Burghardt. Foto: privat

Tobias Burghardt (Jahrgang 1961) ist Lyriker, Übersetzer und Verleger der Stuttgarter Edition Delta (www.edition-delta.de). Er veröffentlichte mehrere Lyrikbände, darunter seine Fluss-Trilogie sowie »Septembererde & August-Alphabet«. Im Februar erschien seine Werkauswahl »Mitlesebuch 117« (Aphaia Verlag, Berlin/München 2018). Seine Gedichte wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und Einzeltitel erschienen in Argentinien, im Irak, in Japan, Portugal, Serbien, Schweden, Uruguay und Venezuela. Er ist Mitbegründer und Koordinator des »Babylon Festivals für Internationale Kulturen & Künste«, das seit 2012 jährlich in Babylon und Bagdad stattfindet. Mit seiner Frau Juana Burghardt überträgt er lateinamerikanische Lyrik, katalanische Poesie, lusophone Lyrik und spanische Poesie. Sie sind Herausgeber und Übersetzer der Werkreihe von Miquel Martí i Pol, aus der Pep Guardiola im Sommer 2015 im Literaturhaus München las, und seit Herbst 2014 der Stuttgarter Juarroz-Werkausgabe, dem wir das GEDICHT-Motto »Ein Gedicht rettet einen Tag« (Roberto Juarroz) verdanken. Im Frühjahr 2017 wurden beide für ihr jeweiliges poetisches Werk und ihr gemeinsames literarisches Engagement zwischen den Kulturen und Sprachen mit dem Internationalen KATHAK-Literaturpreis in der südasiatischen Metropole Dhaka, Bangladesch, ausgezeichnet. Tobias Burghardt war GEDICHT-Redakteur der ersten Stunde und organisierte immer wieder wunderbare Sonderteile mit lateinamerikanischer Poesie für unsere Zeitschrift DAS GEDICHT.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Im babylonischen Süden der Lyrik« finden Sie hier.

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