Tobias Burghardt flaniert jeweils am 5. eines Monats auf DAS GEDICHT blog durch die südlichen Gefilde der Weltpoesie. In der Rubrik »Im babylonischen Süden der Lyrik« werden Sprachgemarkungen überschritten und aktuelle Räume der poetischen Peripherien, die innovative Mittelpunkte bilden, vorgestellt.
Zum Jahreswechsel versammelten sich zahlreiche Dichter:innen am zentralen Denkmal Shaheed Minar in Dhaka, Bangladesch, um mit der Feier des 18. »Internationalen Schriftstellertages« am 31. Dezember 2019 die Poesie- & Friedensprozession »Kabitar Shanti Jattra« ins neue Jahr 2020 zu eröffnen. Initiator dieser – im Wortsinn – poetischen Bewegung ist der renommierte Dichter, Erzähler, Übersetzer, Zeitschrifteneditor und Homöopath Mohammad Nurul Huda.
Nach ersten Statements und Lyriklesungen in der Hauptstadt Dhaka startete der Omnibus mit etlichen Dichter:innen aus Argentinien, Bangladesch, Deutschland, Indien, Mexiko und Nepal in Richtung Süden zum Golf von Bengalen. Das Ziel am äußersten Südostzipfel Bangladeschs war die Küstenstadt Cox’s Bazar, der Geburtsort des engagierten Dichters Mohammad Nurul Huda. Sein innovatives medizinisches Fachgebiet ist übrigens die von ihm selbst ersonnene »Poemopathie«, eine sinnige Synergie von Poesie & Homöopathie als ganzheitlich wirksame Therapieform, die den kreativen Menschen nachhaltig anspricht. Chapeau!
Mohammad Nurul Huda
Eine Zeile schreibend
Ich möchte nur eine Zeile schreiben
auf dem Meer oder an der Küste,
wo es dich gibt –
und nichts sonst.
Übertragen von J. & T. Burghardt
»Kabitar Shanti Jattra« ist ein wunderschönes internationales Poesiefestival, das den bilateralen Austausch der auf Bangla schreibenden Dichter:innen Indiens, vor allem West-Bengalens mit der Megacity Kolkata, und eben Bangladeschs befördert, die plurikulturellen Verwurzelungen jener südasiatischen Region friedenstiftend achtet und dem globalen Dialog mit anderen Sprachen & poetischen Literaturen gegenüber aufgeschlossen ist. Koordinator ist sein Sohn, der junge Dichter und TV-Journalist Rishad Huda.
In unmittelbarer Nähe von Cox’s Bazar liegt das Flüchtlingscamp Kutupalong, aktuell das größte Zufluchtslager der Welt, in dem fast eine Millionen Rohingyas aus der benachbarten burmesischen Provinz Rakhine, Myanmar, zu überleben versuchen.
Rishad Huda
ভালবাসা ও রোহিঙ্গা
হৃদয় থেকে যে ভালবাসা
তাকে অনায়াসে চিত্ত বলা যায়
ভাষা-মা বিরোধীতা করে না
বর্মিপাহাড় বলতেই গাং
যুগের যুদ্ধের পর
শতবছরের জনপদ আজ চট্টগ্রাম
কত-শত বছরের মধুচন্দ্রিমার পর
নাফে লাশের সাঁতার প্রতিযোগিতা
লাখ রাখাইন আমার যদি
রোহিঙ্গা কেন তোমার নয়।
Rishad Huda
LOVE & ROHINGYAS
LOVE from a heart
May easyly be called
SOUL
Mother-language doesn’t oppose
Burmese hills means Gang
After the war of a decade
The century-old habitation is now
Chottogram (Chittagong)
After the honeymoon of how many centuries
Swimming competition of corpses in the Naf.
If millions of Rakhines are mine,
Why not Rohingyas yours!
Translated by Mohammad Nurul Huda
Nach der Rückfahrt von Cox’s Bazar über Ramu, Poak Khali und Chittagong fand am Dreikönigsnachmittag im Auditorium des »Science Lab« der feierliche Festivalabschluss in Dhaka statt.
Wer mehr über »Bangla Poetry« erfahren möchte, findet hierzu einige Texte, Porträts und weitere Hinweise unter »Im babylonischen Süden der Lyrik« Folge 20, Folge 24, Folge 45, Folge 48, Folge 49 und Folge 53.
Alle Fotos: Kabita Bangla, Dhaka
Tobias Burghardt (Jahrgang 1961) ist Lyriker, Übersetzer und Verleger der Stuttgarter Edition Delta (www.edition-delta.de). Er veröffentlichte mehrere Lyrikbände, darunter seine Fluss-Trilogie sowie »Septembererde & August-Alphabet«. Zuletzt erschien seine Werkauswahl »Mitlesebuch 117« (Aphaia Verlag, Berlin/München 2018) und sein aktueller Gedichtband »Die Elemente der See«. Seine Gedichte wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und Einzeltitel erschienen in Argentinien, im Irak, in Japan, Kolumbien, Portugal, Serbien, Schweden, Uruguay und Venezuela. Er ist Mitbegründer und Koordinator des »Babylon Festivals für Internationale Kulturen & Künste«, das seit 2012 jährlich in Babylon und Bagdad stattfindet. Mit seiner Frau Juana Burghardt überträgt er lateinamerikanische Lyrik, katalanische Poesie, lusophone Lyrik und spanische Poesie. Sie sind Herausgeber und Übersetzer der Werkreihe von Miquel Martí i Pol, aus der Pep Guardiola im Sommer 2015 im Literaturhaus München las, und seit Herbst 2014 der Stuttgarter Juarroz-Werkausgabe, dem wir das GEDICHT-Motto »Ein Gedicht rettet einen Tag« (Roberto Juarroz) verdanken. Im Frühjahr 2017 wurden beide für ihr jeweiliges poetisches Werk und ihr gemeinsames literarisches Engagement zwischen den Kulturen und Sprachen mit dem Internationalen KATHAK-Literaturpreis in der südasiatischen Metropole Dhaka, Bangladesch, ausgezeichnet. Tobias Burghardt war GEDICHT-Redakteur der ersten Stunde und organisierte immer wieder wunderbare Sonderteile mit lateinamerikanischer Poesie für unsere Zeitschrift DAS GEDICHT.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Im babylonischen Süden der Lyrik« finden Sie hier.