Tobias Burghardt flaniert jeweils am 5. eines Monats auf DAS GEDICHT blog durch die südlichen Gefilde der Weltpoesie. In der Rubrik »Im babylonischen Süden der Lyrik« werden Sprachgemarkungen überschritten und aktuelle Räume der poetischen Peripherien, die innovative Mittelpunkte bilden, vorgestellt.
Alpha, Beta, Delta, Omikron — und kein Ende der Pandemie in Sicht.
Selbst in der Wüste schneit es bisweilen.
Sogar im Zweistromland oder Mesopotamien – zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris – verbessert sich indes scheinbar die Lage. Die sonst klandestinen Symphoniker um Karim Wasfi spielen in Bagdad wieder auf.
Der babylonische Dichter Muwafaq Mohammed tingelt. Buchtaufen, Lesungen, Interviews, Signierstunden. Von Stadt zu Stadt. Durch seine schwärende Heimat, das Mutterland der Zivilisationen, siehe auch »Im babylonischen Süden der Lyrik« Folge 11.
Tobias Burghardt
JASMINWASSER
für Muwafaq Mohammed
Der Tisch, schneegedeckt,
deine Sandalen mit Sand,
sonnenfingrig ummantelt
ein Schweigen die Worte
der Wüste, nah und fern,
nichts Neues im Orient –
im roten Casino am Ufer
versinken die Kontinente
langsam, lautlos im Fluss,
doch ein Rettendes weilt,
Palmharz der Erinnerung,
Jasminwasser –
vielleicht
in den Schatten der Erde,
sagt manchmal der Wind.
© Tobias Burghardt
#WE_ALL_ARE_BABYLONIANS – #كلنا_بابليون.
»Jasminwasser« in:
»Das Gedächtnis des Wassers (Werkauswahl 1991-2021)«
von Tobias Burghardt bei Edition Delta
Tobias Burghardt (Jahrgang 1961) ist Lyriker, Übersetzer und Verleger der Stuttgarter Edition Delta (www.edition-delta.de). Er veröffentlichte mehrere Lyrikbände, darunter seine Fluss-Trilogie sowie »Septembererde & August-Alphabet«. Zuletzt erschien seine Werkauswahl »Mitlesebuch 117« (Aphaia Verlag, Berlin/München 2018) und sein aktueller Gedichtband »Die Elemente der See«. 2020 erhielt er den Internationalen Poesiepreis »Città del Galateo – Antonio de Ferrariis« in Rom, Italien. Seine Gedichte wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und Einzeltitel erschienen in Argentinien, im Irak, in Japan, Kolumbien, Portugal, Serbien, Schweden, Uruguay und Venezuela. Er ist Mitbegründer und Koordinator des »Babylon Festivals für Internationale Kulturen & Künste«, das seit 2012 jährlich in Babylon und Bagdad stattfindet. Mit seiner Frau Juana Burghardt überträgt er lateinamerikanische Lyrik, katalanische Poesie, lusophone Lyrik und spanische Poesie. Sie sind Herausgeber und Übersetzer der Werkreihe von Miquel Martí i Pol, aus der Pep Guardiola im Sommer 2015 im Literaturhaus München las, und seit Herbst 2014 der Stuttgarter Juarroz-Werkausgabe, dem wir das GEDICHT-Motto »Ein Gedicht rettet einen Tag« (Roberto Juarroz) verdanken. Im Frühjahr 2017 wurden beide für ihr jeweiliges poetisches Werk und ihr gemeinsames literarisches Engagement zwischen den Kulturen und Sprachen mit dem »Internationalen KATHAK-Literaturpreis« in der südasiatischen Metropole Dhaka, Bangladesch, und als Verlagsteam der Edition Delta mit dem »Deutschen Verlagspreis 2021« des Kulturstaatsministeriums, Berlin, ausgezeichnet. Tobias Burghardt war GEDICHT-Redakteur der ersten Stunde und organisierte immer wieder wunderbare Sonderteile mit lateinamerikanischer Poesie für unsere Zeitschrift DAS GEDICHT.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Im babylonischen Süden der Lyrik« finden Sie hier.