Jubiläumsblog. Ein Vierteljahrhundert DAS GEDICHT
Folge 34: Josef Brustmann – Der Mensch hinter dem Dichter

Seit 25 Jahren begleitet die Zeitschrift DAS GEDICHT kontinuierlich die Entwicklung der zeitgenössischen Lyrik. Bis heute ediert sie ihr Gründer und Verleger Anton G. Leitner mit wechselnden Mitherausgebern wie Friedrich Ani, Kerstin Hensel, Fitzgerald Kusz und Matthias Politycki. Am 25. Oktober 2017 lädt DAS GEDICHT zu einer öffentlichen Geburtstagslesung mit 60 Poeten aus vier Generationen und zwölf Nationen ins Literaturhaus München ein. In ihrer Porträtreihe stellt Jubiläumsbloggerin Franziska Röchter jeden Tag die Teilnehmer dieser Veranstaltung vor.

Josef Brustmann wurde 1954 in Teisendorf als das achte von neun Kindern einer mährischen Flüchtlingsfamilie geboren. Er wurde bekannt als Mitglied der Kabarettmusikgruppe »Bairisch Diatonischer Jodelwahnsinn« (1991 bis 2001) sowie der Gruppe »MonacoBagage«. Seit August 2004 ist er auch als Solokabarettist unterwegs, u. a. mit einem eigenen Programm bei der »Münchner Lach- und Schießgesellschaft«. 2010 entwickelte er die CD »Sterbelieder fürs Leben« zusammen mit Marianne Sägebrecht und Andy Arnold. Seit 2010 widmet er sich zusätzlich intensiv der Lyrik. Sein erster Gedichtband »Zinkleim« erschien im Schweizer Verlag »SchwarzHandPresse«. 2011 verlegte der österreichische Thurnhof-Verlag weitere Gedichte mit Illustrationen einer Wiener Künstlerin. Brustmann wurde für seine Arbeit vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Sonderpreis des Deutschen Kabarett-Preises für das Jahr 2015.

Seit Josef Brustmann 2015 den Deutschen Kabarettpreis gewann, hat er noch mehr zu tun. Deshalb gibt er sogar nachts Interviews – wie dieses hier. Er sprach mit Franziska Röchter über sein ›Heimatgefühl‹, seine Vorliebe für Österreicher und was ihn am Gedichteschreiben fasziniert.

im innersten bin ich ein weißer heimatloser landkartenfleck

Lieber Josef Brustmann, wenn man sich Ihren Lebenslauf so anschaut, scheint er durchzogen von abrupten Brüchen: Bruch mit dem ersten Beruf als Lehrer, Bruch mit der ersten Ehe, Bruch nach sieben Jahren Mitgliedschaft mit der Monaco Bagage. Eine ständige Neu- oder Selbsterfindung, meist ziemlich erfolgreich, wie Ihre diversen Auszeichnungen wie der Paulaner Solo-Kabarett-Preis, der Sonderpreis des Deutschen Kabarettpreises 2015 und weitere, beweisen. Sind Sie jetzt angekommen oder wird es weitere Überraschungen geben?

mein leben geht neben mir her wie eine soziale plastik. ich kratze und mache ständig an ihr herum, und so verändert sich immer alles.
gerade schreib ich an einem roman, zum ersten mal, ganz schön schwer, aber sehr spannend.

Als Sie anfingen, vom Lehrerberuf ins Kabarettfach zu wechseln: War das ein Sprung ins kalte Wasser? Oder waren Sie durch den Beruf als Pädagoge schon gut vorbereitet, vor einer größeren Gruppe den Unterhalter zu geben?

ein schöner kalter erfrischender sprung.
ja, schüler wollen auch gut unterhalten werden, zu recht.

Als vor einigen Jahren die sogenannte Flüchtlingswelle über viele Städte und Gemeinden hereinbrach, wie haben Sie das persönlich empfunden? Sie selbst bezeichneten die Umstände Ihrer Kindheit ja einmal denen in einem Flüchtlingslager nicht unähnlich. Ihre eigentlichen Wurzeln oder die Ihrer Eltern liegen aber mehr im Österreichischen?

meine frau unterrichtet gerade afghanische flüchtlinge, die sind in großer not.
da war die flucht meiner eltern aus südmähren doch etwas einfacher, weil sprache und religion vertraut waren.
die bayern haben uns gut aufgenommen damals, warum sollten wir es jetzt anders machen.

das heimatlose ist traurig, aber man ist auch freier für die weite welt.

 

Josef Brustmann. Foto: Volker Derlath
Josef Brustmann. Foto: Volker Derlath
 

Bezeichnen Sie Bayern als Ihre Heimat oder tun Sie sich schwer damit?

bayern ist meine heimat, und wie schön es hier ist.
im innersten aber bin ich ein weißer heimatloser landkartenfleck.
das entwurzelte, das heimatverlorene der eltern, man spürt das als kind unbewusst auf und übernimmt es auch.
das heimatlose ist traurig, aber man ist auch freier für die weite welt.

man sieht konkret, was der dialekt alles leistet, wie farbig der ist und wie originell und witzig und musikalisch.

Denken und träumen Sie auf Bairisch? Oder schreiben Sie Ihre Texte zunächst auf Hochdeutsch?

meine träume sind meist stummfilme,
meine gedichte kann ich nur hochdeutsch,
die kabarettexte entwerfe ich hochdeutsch,
für die bühne übersetze ich sie dann in den dialekt,
ein interessantes unterfangen, weil man konkret sieht,
was der dialekt alles leistet, wie farbig der ist und wie originell und witzig und musikalisch.

wir waren sehr arm, aber dafür sehr reich.

Künstlerisches Talent scheinen in Ihrer Familie in die Wiege gelegt. Eine Ihrer Schwestern ist beispielsweise Sopranistin. Gibt es noch weitere Verwandte oder gar die eigenen Kinder, die musikalisch tätig sind?

von 8 geschwistern sind mir 6 geblieben.
alle singen, alle spielen mehrere instrumente.
wir waren sehr arm, aber dafür sehr reich.

Sie sollen ja schon in den 70er- oder 80er-Jahren im Rahmen des »Bairischen Bilder- und Notenbüchels« im Fernsehen zu sehen gewesen sein, mit ganz langen Haaren. Gibt es davon Videoaufnahmen oder hätten Sie vielleicht ein Foto für uns?

wenn ich eins finde …

 

Collage Josef Brustmann mit Bilder aus dem privaten Archiv. Gestaltung: Franziska Röchter
Collage Josef Brustmann mit Bilder aus dem privaten Archiv. Gestaltung: Franziska Röchter

 

wenn einem etwas einfallen soll, dann muss man sehr faul sein.

2015 wurde Ihnen der Sonderpreis beim Deutschen Kabarettpreis verliehen. Was hat sich seitdem für Sie verändert? Haben Sie überhaupt noch Freizeit oder jagt ein Auftritt den nächsten?

ich zwitschere wild herum im deutschsprachigen raum.
das ist manchmal very anstrengend, aber immer wunderschön.

wenn einem etwas einfallen soll, dann muss man sehr faul sein.
wenn ich faul bin, fällt mir sofort etwas ein.
dann bin ich sofort wieder fleißig.

Im November 2016 gewannen Sie den zweiten Preis beim Kufsteiner Kleinkunst Preis DAS SALZFASSL. Im Line-up waren auch Poetry Slam-Stars wie Jaromir Konecny. Ist das Ansporn?

konecny hat mir sehr gefallen.
wir haben bücher getauscht.
sein buch ist sehr unanständiger als das meine.

Wann, glauben Sie, sind die Grenzen des guten Geschmacks im Kabarett überschritten? Was darf Kabarett und was sollte es lieber nicht tun?

es gibt geschmacksabsprachen, was noch nichts heißt.
der eine schmeckt mehr, der andere weniger.
jeder hat den besten geschmack.
wems nicht schmeckt, der geht einfach heim.
über frische tote witze zu machen, funktioniert nie, ich habs ausprobiert.
dabei fand ich die faz-story zum tode von helmut schmidt sehr schön übertitelt:
friede seiner asche.

ich mag die österreicher so gern.

Was genau unterscheidet den Vortrag einer humorvollen Geschichte oder eines witzigen bzw. satirischen Gedichtes oder eines Poetry Slam-Beitrags vom Kabarett?

ich mag die österreicher so gern, ernst jandl, h.c. artmann, gerhard rühm. große dichter, die alle auch fürs kabarett geschrieben haben. die waren immer anspruchsvoll, im ernsten wie im lustigen, und haben gesponnen und geträumt und waren altmodisch und aktuell, politisch und zeitlos.
jandl war ein astreiner slammer, ein rock`n roller.
josef hader hätte denen auch gefallen, auch ein österreicher, oder georg kreisler.
das leben ist keine generalprobe, man sollte sich nicht verplempern, und das leben lässt sich nicht aufteilen oder auseinanderschneiden.

Seit ungefähr 2010 widmen Sie sich verstärkt der Lyrik. Wie kamen Sie auf die Idee, nach der Hochschule für Musik, nach zehn Jahren Lehrertätigkeit, nach diversen Betätigungen im Bereich Theater- und Filmmusik und nach autodidaktischen Abstechern in den Bereich der Bildenden Kunst, es nun auch noch mit dem Schreiben bzw. Dichten versuchen zu wollen?

das gedichteschreiben ist so praktisch und platzsparend.
ein bleistift, ein blatt papier.
außerdem spart man heizkosten, mir wird inwendig immer so warm dabei.

 

An dich

Nur langsam nimmt die Zeit ab
Mit zärtlicher Berührung weist sie mich
in eine andere Richtung, die ich
nur als Kind schon erfunden habe.
Im Vorwärtsgehen und im Rückwärtsschauen
fangen die Außenspiegel das späte Sonnenlicht
Nur in engen Kurven bleibt
ein blinder Winkel,
der meinem stummen Munde
leise Grußworte auferlegt
Grußworte an den Baum
an das Haus
an die Sonne
und an dich

 

© Josef Brustmann, Icking

 

taube ohne wintermantel

wer trennte
die seele
ab
von unserem verstand
und ließ sie
frei
wie eine taube
ohne
wintermantel
 

© Josef Brustmann, Icking
 

Lieber Josef Brustmann, ganz herzlichen Dank.

 
Josef Brustmann / Käthe Schönle
Gedichte eines Schlafwandlers

Oxohyph 2011-3
Edition Thurnhof, Horn 2011
36 Seiten, Paperback
ISBN 978-3-900678-14-2

 

Franziska Röchter. Foto: Volker Derlath

Unser »Jubiläumsblog #25« wird Ihnen von Franziska Röchter präsentiert. Die deutsche Autorin mit österreichischen Wurzeln arbeitet in den Bereichen Poesie, Prosa und Kulturjournalismus. Daneben organisiert sie Lesungen und Veranstaltungen. Im Jahr 2012 gründete Röchter den chiliverlag in Verl (NRW). Von ihr erschienen mehrere Gedichtbände, u. a. »hummeln im hintern«. Ihr letzer Lyrikband mit dem Titel »am puls« erschien 2015 im Geest-Verlag. 2011 gewann sie den Lyrikpreis »Hochstadter Stier«. Sie war außerdem Finalistin bei diversen Poetry-Slams und ist im Vorstand der Gesellschaft für
zeitgenössische Lyrik. Franziska Röchter betreute bereits 2012 an dieser Stelle den Jubiläumsblog anlässlich des »Internationalen Gipfeltreffens der Poesie« zum 20. Geburtstag von DAS GEDICHT.


Die »Internationale Jubiläumslesung mit 60 Poetinnen und Poeten« zur Premiere des 25. Jahrgangs von DAS GEDICHT (»Religion im Gedicht«) ist eine Veranstaltung von Anton G. Leitner Verlag | DAS GEDICHT in Zusammenarbeit mit dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München. Mit Unterstützung der Stiftung Literaturhaus. Medienpartner: Bayern 2.

DAS GEDICHT Logo

 

Literaturhaus München


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert