ein Bericht von Jan-Eike Hornauer (Text und Bilder)
München. Im strahlenden Sonnenschein stand das BR-Funkhaus nahe der Hackerbrücke gestern, am Montag, 11. September 2023, und doch wurde eindrucksvoll deutlich: Dunkle Wolken sind über ihm aufgezogen, Unwetter drohen und gar existentielle Gefahren. Rund 300 Kunst- und Kulturschaffende hatten sich an der Arnulfstraße zusammengefunden, um von hier in die Herbststraße einzuziehen und dort am BR-Funkhaus gegen die Programmreform von Intendantin Katja Wildermuth zu demonstrieren. Denn diese bedeutet radikale Eingriffe in die Hörfunkwelle Bayern 2: Zahlreiche etablierte Kultursendungen, wie das Büchermagazin Diwan, das Kulturjournal oder die Kulturwelt, drohen ganz vom Sendeplan zu verschwinden. Im Schnipselverfahren sollen dafür kulturelle Beiträge in anderen Sendungen und auch zu besseren Sendezeiten untergebracht werden. Der programmatische Kahlschlag, so versichern Wildermuth und Kulturprogrammdirektor Björn Wilhelm zwar öffentlich, sei also letztlich ganz im Sinne der Kultur. Nur, so ganz wird ihnen, gelinde gesagt, eben nicht geglaubt.
Unter dem Label Störsender hatten die Demo-Initiatoren Sandra Hoffmann, Thomas von Steinaecker und Eva Mair-Holmes deswegen auch gleich zwei Protestaktionen geplant, die ineinandergriffen, um ein deutliches Zeichen zu setzen: das Verfassen eines offenen Briefes, der von über 150 Künstlerinnen und Künstlern unterzeichnet worden ist (unter ihnen Doris Dörrie, Uwe Timm und Nora Gomringer sowie freilich auch Anton G. Leitner). Und eben die gestrige Protestdemonstration, mit so knappen wie scharfen Reden von den Dichtergrößen Uwe Timm, Nora Gomringer und Jonas Lüscher. Dazu gab’s – denn so eine Demo braucht ja Lärm, und wenn schon Lärm, dann am besten auch mitreißend und schön – ordentlich musikalischen Druck von der Express Brass Band und der Hochzeitskapelle sowie weiteren Musikerinnen und Musikern. Und der offene Brief für die Intendantin wurde an Kulturprogrammdirektor Wilhelm übergeben.
Kritik zu- und Kultur wachsen lassen
»Kultur braucht Raum – und wir haben auch ein Recht darauf!«, erklärte Organisatorin Eva Mair-Holmes (Chefin des Musikverlags Trikont) in ihrer Begrüßungsworten, mit Verweis auf den Rundfunkstaatsvertrag, auf den rechtsverbindlichen Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Und sie betonte: »Kultur entwickelt sich, brodelt, drängt nach oben.« Es gehe hier nicht um die glatte Oberfläche, nicht darum, es allen recht zu machen, und es sei nicht alles im Management-Stil planbar. »Jede Kritik unter das Deckmäntelchen des Sparzwangs zu stellen, das kann nicht sein«, stellte Mair-Holmes zusammenfassend fest.
»Die ARD gibt einen Teil ihrer Kernkompetenz auf«
Anschließend verlas Schriftstellerin Sandra Hoffmann, die zusammen mit Thomas von Steinaecker den Ur-Impuls für die Störsender-Aktionen gegeben hat und hier seitdem eine engagierte Organisatorin ist, den offenen Brief (hier in voller Länge abzurufen). Sie mahnte also etwa: »Es ist ein falscher und fataler Weg – die ARD gibt einen Teil ihrer Kernkompetenz auf!« Diese Programmreform bedeute das Ende von eigenständiger, kontinuierlicher, vertiefender Kulturberichterstattung, von Debattenkultur und von kultureller Themensetzung im Programm von Bayern 2. Und sie gab weiter zu bedenken: »Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind Grundpfeiler unserer Demokratie und unverzichtbar für die Auseinandersetzung mit der Kultur.«
Hoffmann rief auch dazu auf, die Online-Petition zum Thema zu unterschreiben – sie habe zwar nichts mit Störsender und dem offenen Brief zu tun, doch seien diese und weitere Aktionen sehr zu begrüßen. »Von allen Seiten kommt Widerstand!«, erklärte Hoffmann energisch.
»Kulturelle Verzwergung«
Dass »Reformprogramm« immer »Einsparungsprogramm« bedeute, stellte Uwe Timm (Romancier, Drehbuchautor, Lyriker) klar. Und er warnte: »Es geht um eine Verflachung!« Tiefes und Ausführliches solle es nicht mehr geben, dazu solle der Blick rein aufs Bayerische verengt werden. Was Timm davon hält, formulierte er deutlich: »Das ist eine kulturelle Verzwergung.«
Weiter wies er darauf hin, dass Reichweite nicht alles sei, man eben auch auf Qualität setzen müsse, nicht nur auf Quantität – ansonsten, so spitzte er zu und erzielte damit breites Gelächter, könne man ja auch einfach Buchempfehlungen in den Verkehrsfunk einstreuen. Sparpotential machte er bei den Intendantengehältern aus und bei dem für ihn unverständlichen Vorhaben, das »exzellente Funkhaus« aufzugeben und nach Freimann in einen Neubau überzusiedeln. Letzteres sei übrigens auch nicht nur ökonomisch unsinnig: »Rundfunkanstalten gehören in die Mitte der Stadt, nicht ins Grüne!«
»Der BR war auch mal ein Sender mit Herz und mit Platz für Experimente«
»Wir sind laut für die Sendungsformate, die wir schätzen und die für Bayern und darüber hinaus unschätzbar geworden sind«, erklärte Nora Gomringer, Lyrikerin und Direktorin der Villa Concordia in Bamberg. Unverzichtbar seien sie für die Hör- und Sichtbarkeit der Künstlerinnen und Künstler. Und die Redakteurinnen und Redakteure, die Journalistinnen und Journalisten verfügten hier, im BR, über eine bedeutende Kompetenz, die es auch weiter im Sinne der Kultur und des Publikums zu nutzen gelte. Dass es auch ganz andere Wege als den derzeitigen gebe, das beweise schon ein Blick in die Vergangenheit. »Der BR war auch mal ein Sender mit Herz und mit Platz für Experimente«, betonte Gomringer und sprach hier explizit vor allem die Vertreter der Boomergeneration an. In diese Richtung zu gehen, zuzulassen statt zu begrenzen, regte Gomringer an. Vor allem aber forderte sie, an die BR-Leitung gerichtet: »Behalten Sie die Formate, für die wir heute hier stehen!«
»Sie nehmen ihr Publikum nicht für voll«
»Niederschwelliger soll das Angebot werden«, so gab Autor Jonas Lüscher, der dritte und letzte Redner, das zumindest vorgebliche Kernanliegen der Senderspitze wieder. Dazu erklärte er, es gebe hier mindestens ein dreifaches Missverständnis. Es sei anmaßend, dem Gegenüber nichts zuzutrauen. Oder deutlicher formuliert: »Sie nehmen ihr Publikum nicht für voll.« Zudem dürfe man sich nicht nur an den Zeitgeist anpassen, man dürfe nicht rein auf Geschmacksurteile setzen, sondern müsse auch Qualität und ästhetische Argumente gelten lassen. Und, so brachte Lüscher als abschließendes Argument, es sei »nicht die Aufgabe des BR-Kulturjournalismus, den Antiintellektualismus der Populisten zu reproduzieren«.