Lockdown-Lyrik 2.0 / 107: »Ich beschreibe dir nicht« von Christel J. Stefariel

»Lockdown-Lyrik 2.0! Quarantäne poetisch ausleuchten – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung von Gedichten, die sich mit der Corona-Krise befassen. Es darf uns weiterhin die Sprache nicht verschlagen! In loser Folge erscheinen neue Episoden der nun von Sabine Schiffner, Anton G. Leitner, Alex Dreppec und Fritz Deppert herausgegebenen Anthologie (Dank an Jan-Eike Hornauer, Mitherausgeber Folge 1-154).

 

Christel J. Stefariel
 

Ich beschreibe dir nicht

Ich beschreibe dir nicht
Das untröstliche Italien
Schwer getroffen von der Pandemie
Diese Militärkonvois die in der Nacht
Auf verwaisten Straßen Körper ohne Leben transportieren
Ich beschreibe dir nicht
Das Feldlazarett das den Central Park kreuzigt
Die Kühllastwagen, geparkt
Vor den Toren der Krankenhäuser in New York
Den unaufhörlichen Tanz der Rettungswagen
Ich beschreibe dir nicht
Die Friedhöfe unter dem offenen Himmel von Brasilien
Die Leichensäcke, deponiert vor den Türen
Der Häuser in Ecuador
Ich beschreibe dir nicht
Vervielfältigt unlösbar anhaftend bis zum Horizont
Die Verzweiflung des Planeten Erde
Auf der Suche nach einer Reproduktionszahl
Die seine Zerstörung aufhält

Ich beschreibe dir
Diese anonymen Hände
Die das Leiden der mit dem Tod Ringenden
Fortwischen
Ich beschreibe dir
Strände unter Quarantäne
Die wieder von Delfinen besucht werden
Ich beschreibe dir
Den von Paradiesvögeln
Zurückeroberten blauen Himmel
Ich beschreibe dir
Hinter der Maske
Wiedergeboren aus seiner Asche
Den Menschen beim Neuanfang
 

Je ne te raconterai pas

Je ne te raconterai pas
L’Italie éplorée
Frappée par la pandémie
Ce convoi militaire transportant de nuit
Dans les rues désertées les corps sans vie
Je ne te raconterai pas
L’hôpital de campagne crucifiant Central Parc
Les camions frigorifiques parqués
Aux portes des hôpitaux de New York
La danse incessante des ambulances
Je ne te raconterai pas
Les cimetières à ciel ouvert du Brésil
Les sacs mortuaires déposés à la porte
Des maisons de l’Equateur
Je ne te raconterai pas
Copiée collée à perte d’horizon
La détresse de la planète à terre
Scrutant un taux de reproduction
Enrayant sa destruction

Je te raconterai
Ces mains anonymes
Epongeant la souffrance
Des agonisants
Je te raconterai
Ces plages en quarantaine
Revisitées par les dauphins
Je te raconterai
le ciel bleu reconquis
Par les oiseaux au paradis
Je te raconterai
Derrière le masque
Renaissant de ses cendres
L’Homme à nouveau debout

 

© 2021 Christel J. Stefariel, Montreux (Schweiz)
(Übersetzung aus dem Französischen von Sabine Schiffner und Gabriele Trinckler; Redaktion: Sabine Schiffner und Anton G. Leitner)

 

 

Lockdown Lyrik 2.0. Wir hatten gehofft, dass es zu keinem zweiten Lockdown mehr kommen würde. Aber jetzt ist er angeordnet, der sog. »Wellenbrecher-Lockdown«. Er beginnt in Deutschland ab Montag, den 2. November 2020 – mit der Aussicht auf triste Herbst- und Wintertage. Grund genug für die Redaktion der Jahresschrift DAS GEDICHT, ihre vieldiskutierte Netz-Anthologie zur Corona-Krise vom Frühjahr 2020 wieder hochzufahren. Möge diese Online-Sammlung zur Pandemie uns allen einmal mehr dabei helfen, tief Luft zu holen und möglichst viele Aspekte der weltweiten Katastrophe mit dem Instrumentarium der Lyrik auszuleuchten, damit wir und unsere Leserinnen und Leser mental nicht unter die zweite Welle geraten!

Sabine Schiffner, Alex Dreppec, Fritz Deppert und Anton G. Leitner
 
PS: Alle bereits geposteten Folgen von »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« finden Sie hier. In loser, jedoch zügiger Folge wird die Sammlung erweitert.

 

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