Melanie am Letzten – Folge 19: Finstere Zeiten

Es ist ein Wahnsinn, ein Irrsinn und nicht selten ein Blödsinn: So geht es zu im Tollhaus Welt. Der Mensch neigt zu seltsamen Verhaltensweisen, die schockieren, alarmieren oder amüsieren können. Was hilft zu guter Letzt? Die Poesie. Nicht ärgern, stänkern oder meckern, sondern dichten – meint die schwarzhumorige Poetin Melanie Arzenheimer und kommentiert die Deadlines des Lebens jeweils am Monatsende auf DAS GEDICHT blog.

 

So schlimm alles. Schrecklich. Man weiß nicht genau warum, aber alles ist schlimm. Kennen Sie auch so einen Menschen, der einem ständig das Gefühl gibt, man lebe in den finstersten Zeiten, die die Welt je gesehen hat? Für einige Gebiete auf der Erde trifft das sicherlich zu. Aber die gut aussehende Mitvierzigerin, deren Gatte ein nicht unerhebliches Einkommen hat und die zur örtlichen High Society gehört, muss weder um ihr Leben fürchten noch vor religiösen oder politischen Fanatikern fliehen. Und doch ist alles schlimm. Weil es schick ist, alles schlimm zu finden.

Lebensfreude ist hierzulande genauso verdächtig wie positives Denken – nicht nur in der Kunst. Dabei braucht man und vor allem frau nur zurück blicken, um zu erkennen, dass es hierzulande schon richtig finstere Zeiten gab. Und es waren nicht nur menschenverachtende Diktatoren, die Angst und Schrecken verbreiteten. Noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts – und man möchte meinen, dass die Vernunft längst Einzug gehalten hätte – wurden Menschen wegen vermeintlicher Hexerei verurteilt und hingerichtet. Da reichte schon rotes Haar, ein Single-Dasein oder die Tatsache, dass der Nachbar schlichtweg scharf auf das Grundstück der/des Beschuldigten war. Das waren wahrhaft schreckliche Zeiten.

Es ist keineswegs schrecklich, wenn sich im 21. Jahrhundert das Goldblond allmählich aus dem Haupthaar verabschiedet und der Starfriseur nicht umgehend Zeit hat, um das sich anbahnende Drama zu verhindern. Seien wir dankbar, dass der Friseur wegen seiner offenen Homosexualität nicht um sein Dasein fürchten muss. Man müsste Zeitreisen anbieten können. Zu Therapiezwecken. Um das Wort »schrecklich« wieder richtig definieren zu können. Und um über eine Zeit zu spotten, die nie wieder zu kommen braucht.
 

Bewerbungsgespräch
17. Jahrhundert
,

Interessen?
Geständnisse pressen.

Werdegang?
Gift und Strang.

Routine?
Bis zur Guillotine.

Kompetenz?
Hohe Schlagfrequenz.

Was ihn an diesem Job so reizt?
Die Folterkammer ist beheizt.
 

© Melanie Arzenheimer, Eichstätt

 

Melanie Arzenheimer. Foto: Volker Derlath
Melanie Arzenheimer. Foto: Volker Derlath

»Melanie am Letzten« wird Ihnen von Melanie Arzenheimer präsentiert. Sie wurde 1972 in Eichstätt / Bayern geboren, wo sie heute noch wohnt. Melanie Arzenheimer arbeitet als Chefredakteurin bei der espresso Mediengruppe Ingolstadt, sowie als freiberufliche Hörfunkmoderatorin.
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Alle bereits erschienenen Folgen von »Melanie am Letzten« finden Sie hier.

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