Neugelesen – Folge 48: »Ooooooooo-pus« von Katalin Ladik

Literatur ist vergänglich, trotz ihrer Materialität. Denn allmählich entschwinden Bücher in Archivbibliotheken und verlassen unseren Erfahrungshorizont. David Westphal möchte in Nachfolge an die Kolumne »Wiedergelesen« dagegen anschreiben. Er stellt an jedem 15. des Monats Vergessenes und Neugelesenes in seiner Rubrik »Neugelesen« vor (in memoriam Erich Jooß, † 2017).

 

Katalin Ladik: Ooooooooo-pus

Ooooooooo-pus
Spitze den Mund, spreche neun Mal das O, halte kurz inne und betone leise die Silbe pus.

So heißt die Ausstellung von Katalin Ladik im Haus der Kunst München ihre Besucher willkommen. Katalin Ladik ist eine 1942 geborene, jugoslawisch-ungarische, multimediale Poetin, Performerin, Künstlerin. Derzeit sind viele ihrer Gedichte im Haus der Kunst in München ausgestellt. Denn ihre Poesie ist visuell und klangvoll und damit viel besser in Ausstellungsräumen, als in einem Buch festgehalten. Oder man deutet es um: ein begeh- und erlebbarer Poesieband. Neben Foto-Performances, experimentellem Film und Objekten findet man insbesondere im ersten Raum ihre Laut- und visuelle Poesie.

Wie schon einige Male in dieser Kolumne frage ich mich, wie man über etwas sprechen soll, dass sich mit voller Absicht dem diskursiven Sinn unserer Sprache widersetzt. Ein Versuch. Ich beginne bei ihrer visuellen Poesie, die – schon dem Namen nach – zum Anschauen geschaffen wurde. Ist das noch Lesen oder etwas anderes? Visuelle Poesie setzt Sprachbausteine optisch in Szene. Sprachbausteine müssen dabei nicht zwingend Sätze, Worte oder Buchstaben sein, das zeigt Ladik sehr eindrücklich. Ihre visuelle Poesie wird mit Partituren aus der Musik verglichen. Sie collagiert darin häufig Notenzeilen, laut Ausstellungstext handelt es sich dabei zumeist um Folklore. Dann bezieht sie andere Materialien mit ein, wie etwa alte Schnittmuster zum Nähen. Mit den vielen Linien und Kommentaren auf den Mustern ergeben sie eine eigentümliche Einheit mit den Noten, die auch aus Symbolen, Linien und Kommentaren bestehen. Ihre visuelle Poesie driftet manchmal weit in die Gefilde der bildenden Kunst. Ihre Reihe Jakob macht einen wichtigen Fakt bewusst: es bleibt Poesie. Und zwar als Notation für ihre Lautpoesie. Unter jedem der Werke von Jakob, die in bestimmter Weise angeordnete Schnittmuster sind, steht explizit: „Sound-Movement“.

Verweilt man an verschiedenen Orten in dieser Ausstellung, hört man unterschiedliche Klangkunst von Ladik. Verzerrte Vokale und Laute, klar hörbar als menschliche Stimme, oft nah dem Gesang, aber weit entfernt davon, diskursive Sprache zu sein. Auch keine Musik. Oder: auch Musik. Es bleibt wage, nur eines steht fest: Es geht um Klang und Klangbeziehungen der Laute und Klangerzeuger. Es lohnt sich, sich darauf einzulassen und sich neue Weisen des Vortragens von Lyrik vorzustellen. Ihre Stimme wirkt geschult für genau die Zwecke der Lautpoesie und die Interpretation ihrer ganz eigenen Partituren. Wenn man möchte, ist die Ausstellung auch eine Einladung dazu, sich über die Visualität von Musik Gedanken zu machen. Mit Blick auf alte Platinen, die sie ebenfalls wie Partituren behandelt, ein außergewöhnlicher Rahmen für diese Fragestellung. Neben dem poetischen Komplex sind auch andere Teile ihres Werkes vorgestellt und sogar einige Werke extra für diese Ausstellung entstanden.

Nach der Ausstellung wollte ich mir unbedingt ein Buch von ihr im Buchladen im Haus der Kunst besorgen. Im ersten Moment war ich enttäuscht, dass es keine gab. Der Buchhändler versicherte mir, dass es so gut wie keine gebe, weshalb sie auch keine anböten. Nach der Enttäuschung kam die Erkenntnis, dass es konsequent und gut sei.

 

Ladik, Katalin: Ooooooooo-pus
Ausstellung im Haus der Kunst, München
3.3. – 10.9.2023

Youtube-Kanal des Hauses der Kunst:


 

David Westphal. Foto: Volker Derlath
David Westphal. Foto: Volker Derlath

David Westphal, geboren 1989 in München, wo er auch lebt. Studium der Philosophie, Germanistik, Literatur- und Kulturtheorie zu Gießen und Tübingen. Gedichtveröffentlichungen in verschiedenen Anthologien.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Neugelesen« finden Sie hier.

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