Neugelesen – Folge 50: »Wilde Magneten« von Sabine Bergk

Literatur ist vergänglich, trotz ihrer Materialität. Denn allmählich entschwinden Bücher in Archivbibliotheken und verlassen unseren Erfahrungshorizont. David Westphal möchte in Nachfolge an die Kolumne »Wiedergelesen« dagegen anschreiben. Er stellt an jedem 15. des Monats Vergessenes und Neugelesenes in seiner Rubrik »Neugelesen« vor (in memoriam Erich Jooß, † 2017).

 

Sabine Bergk: Wilde Magneten

Gedruckte Texte haben einen Anstrich von Objektivität. Wie ein Medium, das Botschaften aus einer übergeordneten Welt mit sich führt. Das ist freilich ein Benutzerfehler: Was wir aus Texten machen, ist nämlich das Gegenteil – höchst subjektiv. Um diesen Gedanken weiter auszubauen, möchte ich über Sabine Bergks Wilde Magneten aus dem Dittrich Verlag schreiben. Denn es hat sich die seltene Gelegenheit aufgetan, verfasste Leseeindrücke von einem Freund zu bekommen: von Anton G. Leitner. Vermutlich muss ich zu seiner Person auf DasGedichtBlog wenig sagen. Er jedenfalls hat ein Vorwort zu Bergks Gedichten geschrieben und ich finde es sehr spannend, wie unterschiedlich wir die identischen Texte lesen.

Aber was sind eigentlich die wilden Magneten von Sabine Bergk? Ohne Wenn und Aber sind ihre Gedichte der Liebeslyrik zuzuordnen. Der Verlag schreibt zwar, es ginge um die „vielfältigen Facetten einer Reise in das eigene Herz – schonungslos, hingebungsvoll und radikal ehrlich“, ich würde jedoch sagen, es geht um weit weniger. Thema ist die übliche, partnerschaftliche Liebe von ihren hellsten und offensichtlichsten Seiten. Anton und ich sind uns darin einig, dass hier nicht akademisch geschwurbelt wird. Die Sprache ist klar, unverfänglich und insgesamt vielseitig. Reime spielen eine untergeordnete Rolle, die Rhythmen sind frei, oft auch nicht entscheidend. Die Gedichte haben zwar viele Spielfelder der Liebe ausgemacht, es dominieren wiederum wenige, bekannte Motive und Begriffe: das Herz, die Liebe, die aufgehenden Knospen und Blumen, Täler und Gipfel, Schatten und Licht. Anton bewertet das folgendermaßen: „manchmal kommen Mann oder Frau um solch direkte Benennungen der Dinge beim Namen auch einfach nicht herum“. Das ist wahr und wichtig. Aber müssen deshalb ungefähr 100 Gedichte Offenbares offenbaren?

Sie erhalten Klischees aufrecht. Das muss man nicht negativ bewerten und darf man genießen, Abenteuer und Wildheit finde ich in dem Gedichtband eher nicht. Worauf ich mich jedoch sehr freue, ist eine leidenschaftliche Diskussion über Gedichte mit Anton. Vielleicht finden Sie ja auch jemanden, mit dem Sie über Bergks Liebeslyrik diskutieren können – kaum etwas eignet sich mehr dazu. Denn was für die einen Amors Pfeil in Textform, ist für die anderen ein Kalenderblatt.

 

"Wilde Magneten. Gedichte" von Sabine Bergk
Buchcover-Abbildung (Dittrich-Verlag)

 

 

 

 

Bergk, Sabine
Wilde Magneten. Gedichte
Dittrich Verlag, Weilerswist-Metternich 2023
172 Seiten, Hardcover
ISBN: 978-3-947373-98-7

 

 

 

David Westphal. Foto: Volker Derlath
David Westphal. Foto: Volker Derlath

David Westphal, geboren 1989 in München, wo er auch lebt. Studium der Philosophie, Germanistik, Literatur- und Kulturtheorie zu Gießen und Tübingen. Gedichtveröffentlichungen in verschiedenen Anthologien.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Neugelesen« finden Sie hier.

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