Neugelesen – Folge 51: »Treue und Edle Nacht« von Louise Glück

Literatur ist vergänglich, trotz ihrer Materialität. Denn allmählich entschwinden Bücher in Archivbibliotheken und verlassen unseren Erfahrungshorizont. David Westphal möchte in Nachfolge an die Kolumne »Wiedergelesen« dagegen anschreiben. Er stellt an jedem 15. des Monats Vergessenes und Neugelesenes in seiner Rubrik »Neugelesen« vor (in memoriam Erich Jooß, † 2017).

 

Louise Glück: Treue und Edle Nacht

Normalerweise interessiere ich mich nicht sehr für den Nobelpreis respektive den Literatur-Nobelpreis. Preise bedeuten nicht notwendigerweise gute Literatur, wenngleich sie sie auch nicht ausschließen. Normalerweise bekomme ich trotzdem auf irgendeinem Kanal mit, wer aus welchem Grund den Literaturnobelpreis erhalten hat. Umso überraschender, dass 2020 von mir unbemerkt eine Lyrikerin zu den Preisträgerinnen hinzugekommen ist: Louise Glück, amerikanische Literaturwissenschaftlerin, Essayistin und eben auch Lyrikerin. Vermutlich ein Zeitraum, in dem ich keine Nachrichten mehr lesen konnte, aber das ist ein anderes Thema. Eher zufällig hielt ich vor wenigen Tagen Treue und Edle Nacht mit dem Aufkleber „Nobelpreis für Literatur 2020“ in Händen und begann zu lesen.

Alltagsthemen bestimmen ihre Gedichte durchwegs. Man könnte sie in diesem Sinne durchaus realpoetisch nennen. Sie halten biographische Züge, ohne zwangsläufig mit der Biographie der Autorin übereinzustimmen. Sie werden als intim, existenziell und schön beschrieben. Schön? Oder vielleicht doch kitschig? Die Sprache gleitet für meinen Geschmack allzu oft in etwas altertümlichen Duktus hinein, der zwar irgendwie schön ist, aber auch nicht so richtig zeitgemäß. Wiederum macht sie das, ohne übertriebene Schnörkel, was wieder sehr eindrücklich scheint. Und so hadere ich zwischen den Seiten hin und her – ebenso wie viele ihrer Charaktere, die sie erschafft und die oft nicht so genau wissen, was ihnen begegnet oder was sie denken. Das sind ganz großartige Momente der Unsicherheit, die sie mit klarer und einfacher Sprache verfasst. Dahinter stehen große Fragen: Was ist ein Menschenleben? Was bedeuten meine Träume? Was heißt es, ein Körper zu sein und in die Vergänglichkeit zu schlittern? Das macht, wie es in der Nobelpreisbegründung heißt, die Einzelschicksale in den Gedichten zu Universalien des Menschseins. Allerdings, entgegen dieser großen Worte, halte ich das Zweifeln der vielen lyrischen Ichs aus Louise Glücks Gedichtband für überraschend leise. Das darf einen positiv oder negativ überraschen. Zudem ist das Sujet immer das behütete bürgerliche Leben, beinahe unangetastet vom geistigen, körperlichen oder sozialen Prekariat. Das Randständige ist ihren Gedichten sehr fern, insoweit möchte ich die soeben ausgerufene Universalität auch gleich wieder bestreiten. Dadurch wirkt ihr Ton oft großmütterlich erzählerisch.

Was Louise Glück nun zu „einer der größten amerikanischen Lyrikerin der Gegenwart“ macht, weiß ich nicht. Das scheint mir eher eine Kategorie aus der Marketingabteilung, statt einer poetischen Kategorie. Ich lasse mich nun nicht auf das Wortspiel des New York Times Book Review ein, diesen Band in Händen zu halten sei großes Glück. Aber zweifellos haben sie etwas für sich in ihrer Menschlichkeit. Ihnen fehlt aber auch etwas Risiko und Gegenwartsbezug. Um es mit Versen aus ihrem Gedicht Das Schwert im Stein zu versinnbildlichen: „wir Künstler / sind nur Kinder bei unseren Spielen.“ oder: „Das Glas war leer; es ließ keine Spur auf dem Tischtuch.“

 

"Treue und Edle Nacht" von Louise Glück
Buchcover-Abbildung (Verlag Luchterhand)

 

 

 

 

Glück, Louise: Treue und Edle Nacht
Luchterhand, München 2023
157 Seiten, Hardcover
ISBN: 978-3-630-87699-3

 

 

 

David Westphal. Foto: Volker Derlath
David Westphal. Foto: Volker Derlath

David Westphal, geboren 1989 in München, wo er auch lebt. Studium der Philosophie, Germanistik, Literatur- und Kulturtheorie zu Gießen und Tübingen. Gedichtveröffentlichungen in verschiedenen Anthologien.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Neugelesen« finden Sie hier.

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