Die Reihe »Sinnliche Lyrik« vereint zeitgenössische Gedichte, die mit einem sinnlichen Sprachgebrauch spielen, die in ihrer Körperlichkeit klingen und wirken. Jeden zweiten Monat, jeweils am 25., stellt Sophia Lunra Schnack eine weitere Kostprobe vor – und mit ihr einen neuen Dichter oder eine neue Dichterin.
Lorena Pircher
Vom Davor im Danach
I.
noch einmal vor den ofen knien / sehnen die holzspäne zwischen fingern: lösen sich fasernd vom körper die erinnerungen holzmale auf der haut: noch einmal holz an haut um deine hände zu spüren großmutter die leg(t)en scheit für scheit im schmalen tal erfroren: meine angst der erinnerung eines tages entwachsen zu sein: falten schlagen in
brennholz um einzulegen die erinnerungen: deine hände adernknotig / von dir gekommen / zu dir gegangen: noch einmal vor den winter knien / deine stimme
großmutter in meiner: deine stimme noch einmal holz an haut um bewegung zu streifen die deine hände gemacht / unzählige male: eisfarn am fenster holzsehnen deine hand auf meiner /
noch einmal vor den ofen knien erde gras asche wischen von waldarmen im bewusstsein
flüchtigen berührens deiner
II.
all die male die ihr mich besucht habt / in meinen träumen / gaben mir die
erinnerungen zurück: an die momente der letzten umarmungen / und eure stimmen
gegenläufig eins: eure sprachen großmutter eure sprachen großvater die ich noch lernen /
wenn die bäume sich wieder häuten und ich suchen werde wieder: kohlen eure sommer in
einer anderen zeit / will nichts verlieren von damals / als ich noch nicht war / will nichts
verlieren um zu verstehen vom verloschenen / wenn sie den winter ernten eure stimmen eure
sprachen großmutter großvater die mir erzählen vom meer wie schnee / eure stimmen eure sprachen gegenläufig eins / ich werde sie lernen bis die bäume sich wieder
häuten: um nichts zu verlieren von damals als ich noch nicht war / eure sprachen eure
stimmen großmutter großvater leben weiter / in mir
III.
deine kindheit: knöchel in holzschuhen auf weißfrostigem weg / erfrorene welt sagst du / es waren weite wege und die welt sie war erfroren: im inneren der kinder im außen / sie haben in den kornkammern geschlafen zwischen den dörfern zwischen den leben der anderen / menschen du sagst die wege die habe ich erwandert: wollte sehen wollte spüren wo sie standen einst: schmale knöchel in holzschuhen sagst du weißfrostig / und im herbst als sie zurückkamen: er lag schon wieder auf den gipfeln der berge der schnee / geruch von kälte tannenzapfen und schal schien die sonne auf gesenkte köpfe / auf schmale knöchel in holzschuhen
© Lorena Pircher, Wien
Zur Autorin:
Lorena Pircher wurde 1994 in Italien geboren. Sie studierte Vergleichende Literaturwissenschaften, Englisch und Französisch in Wien und Frankreich und machte nach ihrem Abschluss eine Ausbildung zur Buchhändlerin. Sie wohnt und arbeitet in Wien, schreibt Lyrik und Kurzprosa und übersetzt aus dem Italienischen und Französischen.
Veröffentlichung eines Gedichtbands (»Irrende Welten«, Provinz 2018), mehrerer Erzählungen und einiger Gedichte in Literaturzeitschriften und Anthologien. Derzeit arbeitet sie an ihrem zweiten Lyrikband und bildet sich als Dolmetscherin im Asylbereich weiter. 2023 stand sie mit dem Text »Zungen« auf der Shortlist des fm4-Kurzgeschichtenwettbewerbs wortlaut und gewann den Lyrikpreis 2023 mit Erstsprache Deutsch der edition exil.
Zur Herausgeberin:
Sophia Lunra Schnack ist selbst Lyrikerin und zudem Prosaautorin, sie schreibt auf Deutsch und Französisch. Geboren wurde sie 1990 in Wien, wo sie derzeit auch lebt. Studium der Französischen, Italienischen und Deutschen Philologie in Wien, Mulhouse und Bologna. Bisher Veröffentlichungen u. a. in manuskripte, Poesiegalerie, Das Gedicht und Signaturen. Dazu erhielt Schnack 2022 den Rotahorn-Förderpreis.
Ihr Debütroman »feuchtes holz« ist kürzlich bei Otto Müller erschienen. Momentan Arbeit an der Kurzprosasammlung »Fliederkuss« sowie am zweisprachigen Lyrikzyklus »wimpern piniengrün – cils vert de pins«.
www.sophialunraschnack.com
Alle bereits erschienenen Folgen von »Sinnliche Lyrik« finden Sie hier.
