Sinnliche Lyrik, Folge 9: »Leuchtspur im Nacken«-Gedichte von Sophie Reyer

Die Reihe »Sinnliche Lyrik« vereint zeitgenössische Gedichte, die mit einem sinnlichen Sprachgebrauch spielen, die in ihrer Körperlichkeit klingen und wirken. Jeden zweiten Monat, jeweils am 25., stellt Sophia Lunra Schnack eine weitere Kostprobe vor – und mit ihr einen neuen Dichter oder eine neue Dichterin.


Sophie Reyer

Klimaerwärmung

Es ist Sommer
ich friere im Kopf

in der möblierten
Wohnung des Todes

verbring ich
die Tage, Wochen

Jahre
jedes Wort

hat sich längst
in sich selbst

zurückgezogen
doch es ist

immer Sommer
und ich lebe noch

ich friere im Kopf

* * *

Gott war einmal
ein Gott der Kinder

Bis der Schmerz dir ein Gesicht gab
hast du in allem geatmet

dein Herz ein Vogel
Leuchtspur im Nacken

hörtest du auf
wo du anfingst immer

verlorengegangen:
Gott war einmal

* * *


Die Fenster deines Hauses
haben sehen gelernt

wenn du abends die Lichter
anknipst fängt ihr Tag an

wird dein Körper wortlos
schlafend kehrt er

ins Tier zurück sich endlich
zu vergessen

jedes Nichts
bedeutet Erleichterung du

nimmst dich endlich
aus dem Spiel

heraus die Fenster deines Hauses
haben sehen gelernt

© für alle drei Gedichte: Sophie Reyer, Wien (Österreich)

Zur Autorin:
Sophie Reyer wurde 1984 in Wien geboren, wo sie auch heute als Autorin und Komponistin lebt. Nach drei Studiengängen (an der Uni Wien Germanistik; an der Musikhochschule Graz Komposition für Musiktheater, in Graz auch über uniT Kurse und Workshops im Szenischen Schreiben; dann Studium an der Kunsthochschule für Medien Köln) nahm sie in ihrer Geburtsstadt eine Promotion in Philosophie auf, die sie 2017 abschloss. Seit 2009 ist sie Redakteurin der Literaturzeitschrift Lichtungen, sie stand 2021 mit »1431« (Czernin) auf der Longlist und 2019 mit »Mutter brennt« (Edition Keiper) auf der Shortlist für den österreichischen Buchpreis.

Den Literaturförderpreis der Stadt Graz erhielt Reyer 2013 sowie 2010 und die »Nah dran!«-Auszeichnung des deutschen Kinder- und Jugendtheaterzentrums 2013 für das Kindertheaterstück »Anna und der Wulian«. Neben dem eigenen künstlerischen Schaffen gibt sie Lehrgänge für Film-, Medien- und Theaterwissenschaft an der Uni Wien und der Pädagogischen Hochschule Baden. Seit 2005 hat sie bislang mehr als 100 Bücher verfasst, zuletzt erschienen sind etwa (alle 2024): die Romane »Rapunzel« und »Bluten« (beide Königshausen und Neumann) sowie die Gedichtbände »Blumen blühten aus meinem Mund« (Moloko Print), »Durch die Liebe erzählt« und »Falten hat die Zeit« (beide Löcker).

SophieReyer.com


Sophia Lunra Schnack (Foto: Walter Pobaschnig)

Zur Herausgeberin:
Sophia Lunra Schnack ist selbst Lyrikerin und zudem Prosaautorin, sie schreibt auf Deutsch und Französisch. Geboren wurde sie 1990 in Wien, wo sie derzeit auch lebt. Studium der Französischen, Italienischen und Deutschen Philologie in Wien, Mulhouse und Bologna. Bisher Veröffentlichungen u. a. in manuskripte, Poesiegalerie, Das Gedicht und Signaturen. Dazu erhielt Schnack 2022 den Rotahorn-Förderpreis.

Ihr Debütroman »feuchtes holz« ist 2023 erschienen, ihr erste Kurzprosasammlung folgte in diesem Jahr mit »Worte wie Mandelblüte« (beide bei Otto Müller). Derzeit arbeitet sie am zweisprachigen Lyrikzyklus »wimpern piniengrün – cils vert de pins«.

www.SophiaLunraSchnack.com



Alle bereits erschienenen Folgen von »Sinnliche Lyrik« finden Sie hier.



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