»what is poetry?«

von Ulrike Draesner

putzen staubsaugen rotz abwischen geschürftes knie
bauch streicheln zum einschlafen oder wenn er wehtut
ein bettlied singen vorlesen die beine spreizen empfänglich
und tröstlich sein die wäsche in die trommel stopfen
schamhaare aus dem abfluß fischen zum zehnten mal
den klodeckel schließen die gesamten becher der familie
auf der spülmaschine abgestellt in die maschine räumen
fluchen aber unhörbar an die erziehung des mannes
denken jede erziehung aufgeben sich bücken den hund
füttern mensch ärgere dich nicht spielen wie ein trottel
endlich im bad tür von innen abschließen nach einer minute
riesengeschrei: rotz abputzen marmeladenbrot schmieren
marmeladenbrot vom teppich klauben badeanzüge
auswaschen selbst den ganzen tag nicht rausgekommen
hausschlüssel suchen multi-tasking bewundern
und verachten als mutti-tasking verhören toten vogel
vom fensterbrett schippen sich nicht ekeln ihn
in den garten bringen blick auf den sonnensturm
schmetterlinge das ganze zeug am tümpel
(muss auch endlich saubergemacht werden) libellen
für sekunden die spiegelung
sehen: dich selbst
halbdämmrig, klein
ein kind das die weißen
zähne zeigt, deine zähne

es ist dein körper
du weißt kein besseres wort
für das, was du siehst, lebendig
und von dir
unterschieden
weiß es mehr über dich als dir recht
sein kann es sagt: ich liebe
dich tiefer als einen wald

es sagt: dunkel ist das innere des mundes
und alles was denkt

 
© Ulrike Draesner, Berlin

3 Kommentare

  1. Jeder hat seinen Stil und ein mehr oder minder ausgeprägtes Streben nach formaler Strenge und Eingängigkeit. Aber dieses Gedicht von Frau Draesner ist eine Idee, ich kann es gut nachvollziehen und – ja – es geht auch zu Herzen. Die tumultuarische Form illustriert in diesem Fall sehr passend die permanente Überforderungssituation eines “Menschen von heute”.

  2. Es ist gut, dass Ulrike Draesner dieses geschrieben hat. Es ist gut, dass jemand wie Ulrike Draesner aufzeigt, dass der wahre Poet all das vor der Spiegelung im Tümpel Geschilderte ‚überlebt‘, ohne seine Poesie zu verlieren, dass die poetischen Momente sich ihren Weg suchen. Manchmal vielleicht auch im Traum. ‚Poesie im Alltag‘. ‚Poesie im täglichen Leben‘. Sie kämpft sich ihren Weg frei, sucht sich Zwischenräume … und lässt sich nicht verhindern.
    Ansonsten finde ich – sich das Geschriebene mit 10 potenziert vor Augen haltend – dass gerade Klodeckel, Abflüsse (verstopfte), volle Wasch- und Spülmaschinen und vor allem der Zeiträuber, der immer bei diesen Verrichtungen daneben herumlungert und höhnisch grinst: „Wenn Verse auch im Kopfe bimmeln, die Wäsche fängt schon an zu schimmeln!“ dazu angetan sein können, die Poesie irgendwann aus Versehen mit in die Waschtrommel zu stecken. Oder sie im Abfluss mit fortzuspülen.
    Liebe Männer, denkt daran, wenn eure Frauen vielleicht unzufrieden werden ob der Berge von Unordnung, Müll und überflüssigen Tätigkeiten, die ihr unter anderem hättet verhindern können, wenn die Socken vor dem Waschen nur einmal auf links gezogen worden wären (zumindest bei jedem zweiten): eure Frauen sind keine alternden Zicklein, die arbeitsscheu sind und schlecht gelaunt ob der Reminiszenzen beim Anblick ihres Spiegelbildes im Wassertümpel, nein!, sie wollten lediglich nur mal wieder ein kleines Gedicht schreiben.
    :-)

  3. Ich weiß nicht, ob es erlaubt ist, auf AGL Blog auch Kurzkommentare zu hinterlassen, die nicht den Ehrgeiz haben, längere Elaborate zu sein. Oder darf man das nur auf AGL Face? Hier bin ich gespalten. Aber vielleicht wirken sie ja belebend. Und so möchte ich diesmal nur k u r z zum Ausdruck bringen, dass ich beim Lesen des resoluten Beitrages von FR mich eines Schmunzelns, ja Lachens, nicht enthalten konnte. Aber ja doch, “wir haben verstanden”! Schon längst… (nach GS, dessen Nachfolgerin AM ja auch eine Frau ist) Das Wäsche-Epigramm füge ich meinem Zitatenschatz hinzu, ja vielleicht klaue ich es. :-P Es ist etwas leichter merkbar als das Gedicht von UD, was ja auch eine Qualität ist. Oder soll, ja darf man Gedichte nicht mehr auswendig lernen? Das wäre eine neue Diskussionsrunde wert. (Gemerkt für die Zukunft.)

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