Wucht, Wahrheit, Widerstand: Der Gedichtband »Amok PerVers« von Martin Piekar

rezensiert von Hellmuth Opitz

Ich glaube, man bewegt sich nicht auf dünnem Eis, wenn man den Gedichtbandtiteln von Martin Piekar eine gewisse Verbalradikalität unterstellt. »Bastard Echo« so hieß der erste Band und jetzt also »Amok Per Vers«. Ja, das klingt nach lyrischem Ausrasten mit hoher Schlagzahl, nach treibenden anarchisch-poetischen Beats per Minute, nach Gedichten, die sich mit Punk besoffen haben, jedenfalls: unberechenbar und gefährlich. Ein Kapitel des neuen Bandes zitiert auch ganz bewusst das Palindrom »Amok Koma«, das dem legendären Kult-Album der Punkband Abwärts seinen Titel gab – nur eben in umgekehrter Reihenfolge. Man merkt schon: Hier wird Widerständigkeit aufgeführt und Martin Piekar ist da ganz konsequent: Von der optischen Präsenz her könnte er ein Mitglied der britischen Gothic-Rock-Band Fields Of The Nephilim sein und auch bei seinen Lesungen kann es durchaus auch mal lauter und heftiger werden. Dennoch bleibt man als kritischer Leser bei all dieser ostentativ vorgetragenen Programmatik der Wildheit erst einmal vorsichtig. Wie oft wurde einem – um im musikalischen Gesamtbild zu bleiben – schon Slayer angekündigt und Revolverheld traten dann auf. Das aber ist, um es rundheraus zu sagen, hier nun wahrlich nicht der Fall.

Piekar thematisiert in dem Gedicht »KomaperVers« das Thema Widerstand geradezu poetologisch: »Ich bin gegen erhabene Gedichte/ Ich muss dem Gedicht genügen/ Ich bin gegen Gedichte ohne Widerstände/« heißt es dort. Es sind Bekenntnisverse, die in dem Kapitel »KomA/amoK« wie ein Mahlstrom aus Wut und Zweifel daherkommen. Sie sind klar und unverstellt, ein versgewordenes Wüten über den Zustand der Welt, die eigene politische und poetische Position, aber auch mit einem gerüttelt Maß an Selbstzweifel. Das Widerständige enthält auch das Widersprüchliche. »Im Gedicht ist kein Amok« heißt es wenig später. »Wie solln das gehen, spontane/ Gefühlsübernahme des Gedichts?/ Gedichte sind Arbeit und Überarbeit/ Und selbst wenn ich jetzt/Spontan anfange zu schreiben/jetzt/ Ist das Gedicht dann Raserei?« In den unverstellten Strophen der Gedichte in diesem Kapitel kann man auch, wenn man böswillig ist, die klassischen Frontlinien eines aufrechten Linken ausmachen, die politischen Konventionen, die man wie ein Grüßaugust abschreitet, gegen das Aufflammen rechter Gesinnung, gegen Homophobie, gegen Populisten, gegen das gesunde Volksempfinden. Aber so einfach ist es eben nicht. Misstrauisch ist Piekar gegenüber einer Wut, die allein vom guten Willen oder der guten Absicht gespeist wird, einem Zorn, den man Gassi führt, um alles anzukläffen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Raserei kann man nicht auflegen wie Rouge, um glaubwürdig zu sein. Das ist das Gute an Piekars Gedichten: Sie sind auch rücksichtslos zu sich selbst. »Vielleicht kann ich ja Gedichte/ Pervertieren/ Spontane Rage drüberlegen/ Tollwut ist eine Krankheit/ Die Kontrolle über das Gehirn übernimmt/ Man handelt/ Wollen ist keine Option/ Drang und Dringlichkeit nicht dasselbe«.

Nein, diese Verse machen es sich in keinerlei Hinsicht einfach, nur ständig den Begriff Freiheit im Munde zu führen, reicht eben nicht. In dem Gedicht »An die Phalanx des Widerstands (oder wer Freiheit beschwört, hat sie doch nicht mehr alle)« heißt es: »Eine Person ist keine Person ist ein Widerstand/ Komma los von/ Deinem Gleichstand, wie// Langweilig und kummerlos gehste/ Hielang, gehste dalang und bewusst nicht/ Gegen die Phalanx// Gegen meine Phalanx, los!/ Ich bin dein Wider, deine Wand/ Renn gegen mich an…«. Es gibt sie nicht, die Freiheit, die man ohne Kampf quasi im Schlafwagen erreicht. Piekar bringt es programmatisch auf den Punkt: »Wer also Freiheit will,/ Will Entpackung, will Hämatom/ will Spielplatz, will Rock’n’Roll/ Wenndealso Freiheit willst/ Willste Widerstand.«

Apropos Rock’n’Roll: Bei allem Selbstzweifel und Sichhinterfragen geben sich viele Gedichte betont lässig, Piekar geht es auch um den Rock’n’Roll-Gestus, den lässigen, breitbeinig dastehenden Satz, der dem Leser den ausgestreckten Mittelfinger entgegen hält: »Den 52 daughters of the revolution/ Lecken wir die Fotzen, und schmecken schwach/ Die alten und die kranken Festivalduschen/ : wir wollen Helden sein und fürchten Krach« reimt er etwas unbeholfen. Ja, da darf es auch gern mal etwas Rock’n’Roll-Posing sein. Aber das sind bürgerliche Anmerkungen. Denn was kümmert Rock schon ein penibles Versmaß? Wir sind hier schließlich nicht beim Rasenkantenschneiden. Obwohl: Zu breitbeinig dürfen die Sätze auch nicht dastehen, das wäre dann doch ein wenig zu viel Machomachismo. »Wir wollen kein Superheld sein, Männer/ Weil wir uns vor Dildoman fürchten« heißt es in dem Gedicht »Dildoman«, in dem auch die alles entscheidenden Fragen auftauchen: »Können Männer auch am Penis verenden? Und die Moral von dem Geschlecht?« Diese Fragen müssen leider offen bleiben. Offen wie … aber lassen wir das. Auffällig ist, dass Piekar Metaphern aus der Digitalwelt liebt. Da wird entpackt, gerebooted, gehashtagt, »scripted virtuality« nennt es Piekar an einer Stelle als zutiefst zeitgenössischer Dichter. Selbst die Liebesgedichte – unmittelbar, rau und schön – werden von der Kapitelüberschrift »Ich bin kein Elitepartner« zusammengehalten, also dem lyrischen Hinweis auf eine digitale Kennenlern-Plattform. Aber um noch ein letztes Mal auf das diesem Band inhärent innewohnende Prinzip des Widerstands zurück zu kommen. Martin Piekar meint damit auch formale und inhaltliche Widerstände, die das Gedicht einem allzu reibungslosen Verständnis entgegensetzen muss. Solche Gedichte gegen spontane Zugänglichkeit finden sich passenderweise im letzten Kapitel »Tollhaus«. Jedes dieser Gedichte ist einem Dichter/einer Dichterin gewidmet, der/die das Feld »schwieriger« Gedicht gleichfalls beackert. Insofern auch ein Grüßen nach allen Seiten. Das Gedicht »Der vertikale Trakt« – Charlotte Werndt gewidmet – beginnt so: »die Dislokation ist kein Modell/ Sondern eine Lotwenigkeit, deren Navigation als soziales Netzwerk, Tra-/Bantenwohnungen, die Miete wird hier in Abwesenheit/ Bezahlt, sesshaft sein, heißt gleich, zu wissen, wel-/ Chem Ort man auf längere Zeit fort bleibt«. Für meinen Geschmack etwas zu plakativ ins Schwierige gebrochen, das Ganze, zu sehr mit geschwollenen Stirnadern in Form gebracht.

Abgesehen davon lohnt sich die Lektüre des Bandes aber unbedingt. Man hat einen Parforceritt durch unterschiedlichste Formen und Inhalte vor sich, ein wuchtiges Manifest des Ungebärdigen, Wilden; das Lesen wird zu einer Stunde der echten Empfindung. Fast jedes dieser Gedichte enthält zumindest einen wahren Satz und das ist mehr, als man von den meisten Gedichtbänden behaupten kann.
 

Martin Piekar
Amok PerVers

Gedichte
Verlagshaus Berlin, Berlin 2018
140 Seiten, Softcover
ISBN 978-3-945832-25-7

 

Hellmuth Opitz (Foto: Isabel Opitz)
Hellmuth Opitz (Foto: Isabel Opitz)

Hellmuth Opitz wurde 1959 in Bielefeld geboren, wo er auch heute lebt. Er gilt inzwischen als einer der besten deutschen Liebeslyriker. Nach seinen Anfängen als Rock- und Folkmusiker interviewte er für überregionale Musik-Magazine wie »Musikexpress« oder »Rolling Stone« u. a. Aerosmith, Bad Religion und Wim Wenders. Zusammen mit Matthias Politycki und Steffen Jacobs tourte er mit dem Poesieprogramm »Frauen. Naja. Schwierig«, das auch auf CD vorliegt, durch Deutschland. Bislang erschienen von ihm neun Gedichtbände, zuletzt »Die Dunkelheit knistert wie Kandis« (2011) sowie »Aufgegebene Plätze. Verlorene Posten« (Künstlerbuch, 2013) sowie »In diesen leuchtenden Bernsteinmomenten« (2017). Auszeichnungen unter anderem: Postpoetry-Preis des Landes NRW 2012, Menantes-Preis für erotische Dichtung 2016, Writer in Residence im Brecht-Hus, Svendborg Dänemark 2010/2016..

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