Eingestreute Kritik: Arne Rautenberg »vier kerzen drei könige zwei augen ein stern«

 

Schokoladenengel zum Einschmelzen
Neue Weihnachtsgedichte von Arne Rautenberg

Weihnachtsbücher gibt es wirklich zuhauf. Und in den meisten finden sich auch da und dort Weihnachtsgedichte. Leider sind es fast immer dieselben, alte Schätze aus längst vergangenen Tagen. Nur ganz selten verliert sich ein nagelneues Kindergedicht in die endlosen und mutlosen Sammlungen. Doch in diesem Jahr macht der engagierte Peter Hammer Verlag eine beachtliche Ausnahme.

Seit langem veröffentlicht der Verlag Kinderbücher des Lyrikers Arne Rautenberg. Drei seiner Kindergedichtbände und ein Bilderbuch in Versen sind bisher in regelmäßigen Abständen erschienen. Kein anderer deutscher Verlag der Kinderbuchszene engagiert sich so sehr für einen Lyriker wie Hammer. Das erfolgreichste Buch war bisher der Band „unterm bett liegt ein skelett“, der – großartig gespenstermäßig illustriert von Nadia Budde – seit 2016 besonders zu Halloween viele Käufer anlockt.

Nun wagen sich Autor und Verlag erneut an ein Themenbuch und das Thema ist Weihnachten. 24 Gedichte zum großen Fest stecken in dem schmalen Pappband mit dem Titel „vier kerzen drei könige zwei augen ein stern“. Will man das haben? Wollen Kinder jeden Morgen ein weiteres Gedicht aus den Buchdeckeln herausholen, als wären es Schokoladenstücke? Ja, Kinder wollen das und Eltern sollten unbedingt diesen wunderbaren Gedichtband des wohl bekanntesten deutschsprachigen Kinderlyrikers unserer Tage kaufen, der hoffentlich in seinem kräftigen Weihnachtsrot in jedem Buchladen auf dem Weihnachtsbüchertisch liegt. Allein die Aufmachung des Buches mit dem stilisierten Adventskranz, den die Illustratorin Katrin Stangl in Blau- und Schwarztönen (und nicht im erwartbaren Grün) gestaltet hat, springt einem angenehm zwischen all den gleich aussehenden Büchern zum Fest ins Auge. Ein Kind schaut vom oberen Rand des Buchs mit staunenden Augen auf diesen Kranz. Und so werden auch die Kinder im Buch staunend ganz neue Geschichten über den Weihnachtsmann erfahren. Rautenbergs spielerische Leichtigkeit kommt auch in diesem Buch zum Tragen. Selbst da, wo ein wenig Moral aufzublitzen scheint, kippt der Dichter sie jedes Mal aus ihrer Bräsigkeit, die kein Kind mehr hören will. Und doch macht Rautenberg das Weihnachtsfest niemals runter, er gibt ihm nur einen völlig neuen und unbekannten Schwung:

 

freue dich mit den kundschafterwichteln,
sie werden dem weihnachtsmann alles berichteln
wie du dich auf dem schulweg für einen schwachen haust
deinem kleinen bruder über die schulter schaust
wie du dein taschengeld zu geschenken machst
und nach zehn superrollen beim turnen lachst
da kannst du wirklich fröhlich gesichteln
freue dich mit den kundschafterwichteln

 

heißt es gleich im ersten Gedicht des Buches, nachdem in der ersten Strophe zunächst mal die kleinen Lässlichkeiten des Kinderalltags (bummeln, schummeln, Turnbeutel verlieren und Taschengeld für Nichtigkeiten spendieren) ausgekundschaftet werden. Allein der Einsatz von Kundschafterwichteln statt einem Nikolaus oder Knecht Ruprecht (mit Rute) ist ein ganz frischer Ansatz und durch die verwandelten Reimwörter „berichteln“ und „gesichteln“ entsteht ein völlig anderer Ton. Da ist die Angst vor dem Weihnachtsmann (oder Nikolaus) schon mal wohlmeinend gekippt.

Schön auch, was die Waldtiere, die ja zum allgemeinen Weihnachtsgeschichten-Bestand gehören wie Zimtsterne und Pfefferkuchenherzen, plötzlich ganz anderen Weihnachtsschmuck für den Christbaum herbeischaffen:

 

dann kommt die winzig waldmaus an
und hängt ein schneckenhaus mit dran
kaninchen ganz vom tragen müde
legt an den baum ne zuckerrübe
der hirsch bringt noch was großes bei
er hängt hinein sein alt geweih

 

Die Zuckerrübe, das Hirschgeweih, das ist alles irgendwie zum Lachen und komisch und doch verwendet der Autor gerade in diesem Gedicht oft einen alten, leicht getragenen Ton, der, dem Rhythmus geschuldet, die alte Zaubersprache weihnachtlicher Geschichten anklingen lässt: „er hängt hinein sein alt geweih“.

Immer wieder verknüpft Rautenberg alten Ton mit neuen Bildern oder alte Bilder mit neuem Ton. Da wird das ganze Schokoladenarsenal des Weihnachtsfestes im Mund des seligen Kindes eingeschmolzen (sofort klingt da ein anderes Einschmelzen von Schoko-Weihnachtsmännern mit). Und auch, dass es den Weihnachtsmann doch gar nicht gibt, wird thematisiert, jedoch sofort mit dem Sehnen nach ihm verbunden:

„doch / einer muss den weißen rauschebart haben / einer muss den roten mantel umschlagen / einer muss wissen was kinder wollen / einer muss die wunschlisten entrollen / … / einer muss klobige stiefel tragen / einer muss da sein zum weitersagen / einer muss machen die kinder froh / einer muss brummen hohoho“

Rentier Rudolf hat einen Zwillingsbruder Ludolf, der das Fest mit viel Schwung in Gefahr bringt, doch zum Glück übernimmt Bruder Rudolf am Ende wieder die Führung „und das ist auch gut, denn er bringt die geschenke“.

Rautenberg wechselt immer wieder zwischen lauten und leisen Tönen, er lässt Flöhe an Schneeflocken in den Himmel emporklettern, um dem Weihnachtsmann Kinderwünsche ins Ohr zu flüstern, oder erzählt von Esel und Ochs im Stall, die gemeinsam mit einer Katze das Christkind wärmen („miau macht es im krippenwind / ne katz rollt sich / zum jesuskind“). Und am Heiligabend spätnachts unterhalten sich Teddybär und Eisenbahn erschöpft und müde unter dem gelöschten Tannenbaum.

Das alles hat einen wunderbaren Schwung und ist mit großer Liebe zu Kindern geschrieben. Wie die einfachen, reduzierten zweifarbigen Zeichnungen von Katrin Stangl, so reduziert auch Rautenberg alles Weihnachtsüberladene in seinen Gedichten und lässt dafür gern mal etwas Doppeldeutiges anklingen, das auch Eltern beim Wieder- und Wiedervorlesen Spaß machen dürfte. Vielleicht das schönste und zugleich poetischste Weihnachtsbuch, das sich in diesem Jahr verschenken lässt (nicht nur von Eltern an Kinder, sondern unbedingt auch von Erwachsenen an Freunde).

 

© alle Zitate Arne Rautenberg

 

Uwe-Michael Gutzschhahn

 

"vier kerzen drei könige zwei augen ein stern" von Arne Rautenberg
Buchcover-Abbildung (Peter Hammer Verlag)

 

 

 

 

 

Arne Rautenberg
vier kerzen drei könige zwei augen ein stern
24 Weihnachtsgedichte
Mit Bildern von Katrin Stangl
Wuppertal: Peter Hammer Verlag, 2019
32 S., 14,00 €

 

 

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