Lockdown-Lyrik 6: »Ganz ungewohnte Rolle« von Barbara Weinzierl

»Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung von Gedichten, die sich mit der Corona-Krise befassen. Es darf uns die Sprache nicht verschlagen! In loser Folge erscheinen neue Episoden der von Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer und Fritz Deppert herausgegebenen Anthologie.

 

Barbara Weinzierl

Ganz ungewohnte Rolle

Bei Vater, Mutter und auch bei den Kindern:
Du schmiegst dich sanft an jeden Hintern.
Du bist das Gold in dieser Krisenzeit.
Und stehst entsprechend nicht mehr griffbereit:
All die Regale – gähnend leer!
Kein Blättchen ist zu finden mehr.
Der Mensch, als braves Herdentier,
Der sammelt dich, du heilig’s Klopapier.
Er hortet dich in seinem Haus,
Die Rollen quell’n beim Fenster raus,
Und selbst in Kleiderschrank und Bett,
Da liegst du sanft und sicher und kokett.
Der Mensch will aller Welt beweisen:
Wer zu viel frisst, muss auch viel scheißen.

Man spricht von Dir, von Oslo bis Verona
Selbst im TV. Du bist ein Star! Dank’ nur Corona,
Denn ungeachtet aufgehängt
Hat man dich sonst, benutzt und dann versenkt …

 

© Barbara Weinzierl, München
 

[ Anmerkung d. Red.: Dazu gibt’s übrigens auch ein kleines Video, denn die Künstlerin selbst hat den Text spontan daheim mit Gitarrenbegleitung performed. Sozusagen ein wahres Stücklein Quaräntekunst ist so insgesamt entstanden: https://www.youtube.com/watch?v=ralKQ0JLwHw ]

 

 

Zu dieser Reihe: »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung zu den aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise. Wir wollen im Gespräch bleiben, während wir Infektionsketten unterbrechen. Wir wollen die Erfahrung der Vereinzelung miteinander teilen. Wir wollen virtuelle Brücken bauen. Wir wollen das tun, was wir können: dichten, die Welt – und auch die aktuelle Situation – poetisch erfassen.

Unser Anliegen ist es in jedem Fall, zu einem Mehr an Besonnenheit beizutragen, zu versöhnen statt zu spalten. Mit Sorge sehen wir überharte Diskussionen, wie sie derzeit online, aber auch offline zu häufig geführt werden. Klar ist uns: Es gehört zu einer Demokratie dazu, Konflikte auszutragen. Aber wir insistieren auch hierauf: Es ist ebenso unerlässlich, sich des Gemeinsamen, Verbindenden bewusst zu sein und zu werden sowie respektvoll miteinander umzugehen.

Uns ist bewusst, dass bereits der Ansatz, zur Corona-Pandemie eine Lyrik-Online-Anthologie herauszugeben, ihre Auswirkungen zeitnah lyrisch zu behandeln, und dies aus verschiedenen Perspektiven sowie in unterschiedlichen Tonlagen, als Provokation aufgefasst werden kann. So ist diese Sammlung keineswegs gemeint. Ihr Thema an sich ist jedoch eben hochemotional besetzt. Für uns, die Herausgeber der Reihe, bleibt trotzdem und gerade deshalb wichtig: Wir wollen Brücken bauen, Perspektiven weiten, der ungewohnten Situation mit poetischen Mitteln und im gemeinschaftlichen Sinne begegnen.

Bleiben Sie gesund!

Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer, Fritz Deppert
 
PS: Alle bereits geposteten Folgen von »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« finden Sie hier. In loser, jedoch zügiger Folge wird die Sammlung erweitert.

 

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