Humor in der Lyrik – Folge 56: Herzog Wilhelm IX. von Aquitanien (1071 – 1126) – Der erste Troubadour

Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.

 

„Toubadoure“ oder „Trobadore“, wie sie ab Ende des 11. und im 12. und 13. Jahrhundert hießen, waren – entsprechend der Wortbedeutung „trobar“, „finden, erfinden“ – phantasiereiche provenzalische Dichter, Sänger und Frauenverehrer, die höfische Liebeslyrik und freche Lieder produzierten und sie bei Zechgelagen und in weiblicher Gesellschaft gerne vortrugen. Der Humor kam dabei nicht zu kurz, wie folgendes Lied beweist.

 

Ein Lied aus reinem Nichts

Ich mach ein Lied aus reinem Nichts,
Von mir nicht und von keinem spricht’s,
Nicht Liebeslied, nicht jugendlich
Noch irgendwas.
Ich hab’s im Schlaf gemacht, als ich
Im Sattel saß.

Weiß nicht, wann ich geboren bin,
Von trübem oder frohem Sinn?
Nicht fremd bin ich und nicht von hier,
Noch unerwacht
Hat eine Fee zur Nachtzeit mir
Mein Los gemacht.

Ob ich jetzt schlafe, weiß ich nicht.
Ein andrer geb mir Unterricht!
Beinah schon nimmt mein Herz Reißaus
Vor lauter Qual;
Das schert mich keine Kirchenmaus
Bei Sankt Martial!

Ich zittre heiß vor Todesplagen
Und weiß das nur vom Hörensagen;
Den Arzt zu suchen, will ich eilen
Und weiß nicht wo,
Der Arzt ist gut, kann er mich heilen,
Sonst schadenfroh!

Hab eine Liebste, kenn sie nicht,
Noch nie kam sie mir zu Gesicht;
Nicht Lust noch Leid bot sie mir groß,
Mir macht’s nichts aus,
Nie kam Normanne noch Franzos
Mir in mein Haus.

Ich kenn sie nicht und lieb sie sehr,
Nicht Recht noch Schlecht tat sie mir mehr,
Seh ich sie nicht: nicht dass ich stöhn,
Da kräht kein Hahn,
Denn eine andre, doppelt schön,
Hat es mir angetan.

Ein Lied gemacht, weiß nicht auf wen,
Am besten schick ich’s jetzt an den,
Der’s weiterschickt, so weit von hier
Nach dem Anjou:
Doch schick mir der dann flink dafür
Den Gegen-Schlüssel zu.

 

Der Mann, von dem dieses Lied stammt, war Herzog Wilhelm IX. von Aquitanien, der erste Troubadour, der ein recht skurriles Leben führte.

 

Herzog Wilhelm IX. von Aquitanien
Herzog Wilhelm IX. von Aquitanien – Zeichnung: Alfons Schweiggert

 

Als er 15 Jahre alt ist, erbt er das Herzogtum Aquitanien und die Grafschaft Poitou. Bald erstrecken sich seine riesigen Ländereien von der Loire bis zu den Pyrenäen. Damit besitzt er mehr Land als der König von Frankreich, auch wenn er dessen Vasall ist. Wilhelms Verschwendungssucht ist legendär. Als begeisterter Frauenliebhaber ist er mehrfach verheiratet. Zieht er in den Krieg, ziert sein Schild das Porträt seiner gerade aktuellen Geliebten. Er will sie nicht nur im Bett neben sich haben, sondern auch in der Schlacht nach dem Motto: „Glück in der Liebe bringt mir auch Glück im Kampf.“ Mit seinem überaktiven Liebesleben, zieht der Herzog, wen wundert´s, den Zorn des Klerus auf sich. Er verstößt seine Gemahlin Philippa von Toulouse, die sich in ein Kloster zurückzieht und hält sich die schöne „Dangeirosa“, was so viel wie „Die Gefährliche“ heißt – später nennt sie sich „Maubergeonne“ – als Mätresse. Die Bischöfe sind empört und lesen ihm die Leviten, was Wilhelm aber nicht sonderlich stört. Der Aufforderung der Geistlichen, seine Geliebte davonzujagen, kommt er natürlich nicht nach. Er hat eine bessere Idee und beschließt in Niort ein Hurenkloster einzurichten, in das bekannte Damen als Liebesdienerinnen eintreten sollen. Dafür wird er vom entsetzten Papst exkommuniziert, das heißt aus der Kirche ausgestoßen, aber gleich wieder aufgenommen, als er verspricht, zur Buße einen Kreuzzug gegen die Mauren zu unternehmen.

Als rastloser Kempe ist er andauernd in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt. Häufig liegt er mit Nachbarn oder abtrünnigen Gefolgsleuten im Streit. Als sein Schwager Raimon IV. von Saint-Gilles sich auf einem Kreuzzug befindet, krallt er sich dessen Grafschaft Toulouse. Dabei stört es ihn nicht, dass dessen Besitz wegen des Kreuzzugs eigentlich unter kirchlichem Schutz steht und damit unantastbar ist. Als die Kreuzritter Jerusalem erobern, zieht 1101 auch Wilhelm mit 30.000 Rittern und in Begleitung einer ganzen Kompanie Frauen nach Palästina. Bedauerlicherweise geht dabei fast sein gesamtes Heer durch die Übermacht der Moslems zugrunde, nur er selbst entkommt mit ein paar Getreuen.

Aber nicht nur als schlagkräftiger Kreuzritter, Frauenliebhaber und -betrüger und Verschwender erregt Wilhelm überall Aufsehen, sondern auch wegen seiner höfischen Bildung. Er ist eben nicht nur draufgängerisch und großmäulig, sondern kann auch geistreich und humorvoll, charmant und gesittet sein. Außerdem schätzt man auch seine Dichtkunst, die ihn zu einem der ersten bekannten Troubadoure seiner Zeit macht, auch wenn von ihm insgesamt nur sechs Lieder, vier Kanzonen und ein Abschiedsgedicht überliefert sind. Sein schmales dichterisches Werkverzeichnis nennt folgende Titel:

  1.   Freunde, ich will ein braves Liedlein dichten
    2.   Freunde, ich kann´s nicht verhindern, dass ich mich erschreck´
    3.   Freunde, ich habe so viel Enttäuschendes erlebt …
    4.   Ich mach ein Lied aus reinem Nichts
    5.   Ich mach ein Lied, dann schlaf ich ein
    6.   Ich will, dass alle es wissen …
    7.   Da sehen wir es von Neuem blühn
    8.   Ein neues Lied, das will ich dichten
    9.   Es freut mich, wenn ich liebe
    10. Mild ist die neue Jahreszeit
    11. Ich habe Lust, ein Lied zu singen

Ein besonders fleißiger Dichter scheint Wilhelm also nicht gewesen zu sein. Das ist aber auch kein Wunder, wenn er nach jedem Lied sofort einschlief, wie er in dem folgenden Singsang gesteht:

 

Ich mach ein Lied, dann schlaf ich ein

Ich mach ein Lied, dann schlaf ich ein
und räkel mich im Sonnenschein.
Hört, wie Frauen sich über uns lustig machen
uns verspotten und wie sie über uns lachen.

Allein zog durchs Auvergner Land,
durchs Limousin ich, unerkannt,
traf Garins Frau und Frau Bernart auch.
Die grüßen mich, so wie´s der Brauch

Und eine sagt artig ihr Sprüchlein fein:
„Seid gegrüßt, Herr Pilger, Gott soll mit euch sein!
Heut laufen doch fast nur Idioten herum.
Doch nach´m Mann wie Ihr drehn wir uns um.“

Hört, was ich denen zur Antwort gab.
Nicht „oh“ noch „ah“, da fiel nichts ab,
Ich lallte und brabbelte nichts als das:
„Babariol, babariums, babarias.“

Da sprach Frau Agnes zu Frau Ermessen:
„Schwester, diesen Typen laden wir ein zum Essen,
der ist nicht nur schön, sondern auch noch stumm
und tratscht, was uns Spaß macht, nicht herum.“

Schon schleppten sie mich, unterm Mantel versteckt,
hinein in ihr Haus, ich wurde zärtlich umhegt.
Am warmen Ofen hingestreckt, ging es mir gut,
heiß wurde mir nicht nur von der Kohlenglut.

Kapaune gab es, schön fett und zart;
ich aß gleich drei, und schon kam ich in Fahrt.
Kein Koch war da, wir drei ganz allein,
leerten Krug und Krug voll köstlichem Wein.

„Was ist, wenn der Kerl sich aber verstellt?
Dann weiß morgen unser Treiben die ganze Welt.
Rasch, hol den Kater, wenn der ihn kratzt,
sehn wir, ob er stumm ist oder ob er schwatzt.“

Schon nahm sie das Teufelsvieh an die Brust,
die Augen sprühten vor böser Lust.
Es sträubte sein Fell, fuhr die Krallen heraus,
bei Gott, denk ich, mit mir ist es aus!

Das war kein Scherz. Kaum daß der Schmaus
vorüber war, hieß es: „Los, Kerl, zieh dich aus!´
Und das Biest saß mir ruckzuck im Genick,
sie zerrten´s mir runter zum Arsch und zurück.

Ich stöhnte laut auf vor Angst und Stress
„Lass gut sein, Schwester“, rief Frau Ermess,
„der Mann ist wirklich vollkommen stumm.
Komm, rein jetzt ins Bad und ins Gaudium!“

Ich ritt beide gut und war sehr vital
wohl hundertachtundachtzig Mal.
Fast riss mir mein ganzes Zaumzeug ab.
Nach dem Ritt war ich für zwei Jahre schlapp.

 

Vor bald 900 Jahren schloss Herzog Wilhelm IX. von Aquitanien, der erste Troubadour, im Alter von 56 Jahren bei der Belagerung der Burg Blaye in der Nähe von Bordeaux seine Augen für immer.

 

 

 

Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München

»Humor in der Lyrik« wird Ihnen von Alfons Schweiggert präsentiert. Der Münchner Schriftsteller veröffentlichte neben Erzählungen und seinem Roman »Das Buch« mehrere Lyrikbände, Biographien und Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München ist er seit 2010 freischaffender Autor. Schweiggert ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Turmschreiber und Vorstand der »Karl Valentin-Gesellschaft«.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.

 

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