Lockdown-Lyrik 118: »Allein: Ich« von Hellmuth Opitz

»Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung von Gedichten, die sich mit der Corona-Krise befassen. Es darf uns die Sprache nicht verschlagen! In loser Folge erscheinen neue Episoden der von Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer und Fritz Deppert herausgegebenen Anthologie.

Hellmuth Opitz
Allein: Ich
zu sagen in diesen Tagen,
als betrete man ein großes Gebäude
mit einem Codewort oder
sei gar das Gebäude selbst,
überdimensioniert wie es ist,
grau, verstaubt, die Fenster blind.

Es hat schon bessere Tage gesehen,
es herrschte reger Betrieb. Jetzt
hallen die Schritte nach im Foyer,
die Stimme eingerostet,
selbst das Lachen klingt,
als falle ein Blecheimer
eine Marmortreppe hinab.

Draußen der Maskenball
der Passanten, weggewischt
Mund und Nase, auf Halbmast
geflaggte Gesichter, niemand mehr
zu erkennen, schon bei der leichtesten
Hebung einer Augenbraue
grüße ich rücksichtslos zurück.

Ansonsten leere Räume, ungenutzte
Gelegenheiten, nur ein einziger
Prunksaal noch: mein Gedächtnis,
ein flackernder Kamin. Früher habe
ich mal gesagt, dafür lege ich meine
Hand ins Feuer. Jetzt schau dir
meine Finger an: reine Holzkohle.

© Hellmuth Opitz, Bielefeld
[ Dieses Gedicht gefällt der Berliner Dichterin Katharina Körting, die auch mehrfach mit eigenen Beiträgen in der Lockdown-Lyrik vertreten ist, so ausnehmend gut, dass sie es spontan eingelesen hat. Wir waren vom Ergebnis sofort richtig angetan, und der Poet selbst, Hellmuth Opitz, war es nicht minder. Hier gibt’s also nun seit dem 16. Mai zusätzlich auch diesen Hörgenuss, Hellmuth Opitz’ »Allein: Ich«, gelesen von Katharina Körting: ]

Zu dieser Reihe: »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung zu den aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise. Wir wollen im Gespräch bleiben, während wir Infektionsketten unterbrechen. Wir wollen die Erfahrung der Vereinzelung miteinander teilen. Wir wollen virtuelle Brücken bauen. Wir wollen das tun, was wir können: dichten, die Welt – und auch die aktuelle Situation – poetisch erfassen.

Unser Anliegen ist es in jedem Fall, zu einem Mehr an Besonnenheit beizutragen, zu versöhnen statt zu spalten. Mit Sorge sehen wir überharte Diskussionen, wie sie derzeit online, aber auch offline zu häufig geführt werden. Klar ist uns: Es gehört zu einer Demokratie dazu, Konflikte auszutragen. Aber wir insistieren auch hierauf: Es ist ebenso unerlässlich, sich des Gemeinsamen, Verbindenden bewusst zu sein und zu werden sowie respektvoll miteinander umzugehen.

Uns ist bewusst, dass bereits der Ansatz, zur Corona-Pandemie eine Lyrik-Online-Anthologie herauszugeben, ihre Auswirkungen zeitnah lyrisch zu behandeln, und dies aus verschiedenen Perspektiven sowie in unterschiedlichen Tonlagen, als Provokation aufgefasst werden kann. So ist diese Sammlung keineswegs gemeint. Ihr Thema an sich ist jedoch eben hochemotional besetzt. Für uns, die Herausgeber der Reihe, bleibt trotzdem und gerade deshalb wichtig: Wir wollen Brücken bauen, Perspektiven weiten, der ungewohnten Situation mit poetischen Mitteln und im gemeinschaftlichen Sinne begegnen.

Bleiben Sie gesund!

Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer, Fritz Deppert
 
PS: Alle bereits geposteten Folgen von »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« finden Sie hier. In loser, jedoch zügiger Folge wird die Sammlung erweitert.

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