Berührende Erinnerungen: Anton G. Leitner hat eine Hommage an den Vater verfasst – anekdotenreich, tiefgründig, erschütternd und saukomisch  

Anton G. Leitner am Weßlinger See mit seinem neuen Buch »Vater, unser See wartet auf dich«, in dem er seinem vor zwei Jahren verstorbenen Vater Anton Josef Leitner ein literarisches Denkmal setzt. – Foto: Maren Martell

eine Buchvorstellung von Jan-Eike Hornauer

Der Vater fehlt. Er wird weiter geliebt. Es gab immer eine große Nähe zu ihm – und deshalb freilich auch so manche Reibung. Die durchaus auch mal zu Funken führen konnte und – wenn es so etwas gibt – kleineren Flächenbränden. Gerade in der Jugend des Autors. Die wiederum ist schon eine gute Weile her, der Sohn, Anton G. Leitner, hat die 60 inzwischen knapp überschritten. Doch – wer kennt das nicht? – gerade die frühen Ereignisse prägen, gerade die frühen Erinnurungen bleiben immer präsent.

Heute vor zwei Jahren ist dann der Vater im Alter von 82 Jahren gestorben, Anton Josef Leitner, begeisterter Altphilologe und Humanist sowie Gründungsdirektor des Carl-Spitzweg-Gymnasiums (CSG) in Germering, dem er dann auch fast ein Vierteljahrhundert vorstand. Nachvollziehbar: ein ungeheurer Verlust.

Umso mehr, lässt sich vermuten, da Sohn und Vater sich bis zum Schluss ein Grundstück teilten (freilich zusammen mit ihren Ehepartnerinnen Felizitas und Ingrid) – weit herumgekommen ist der Dichter Leitner, wie man weiß und wie er selbst auch gerne freudestrahlend proklamiert, ja hauptsächlich im Geiste. Ja, sein Verlag befindet sich sogar auf demselben Grundstück und die Hausarztpraxis seiner Ehefrau auch. Verwurzelter geht es kaum.

Erinnerungsfetzen, Momentaufnahmen, Reflexionen

Wie damit umgehen, wenn dann der Vater nicht mehr ist? Der Sohn Anton hat seinen Weg gefunden. Er hat Erinnerungsfetzen, Momentaufnahmen, Reflexionen zusammengetragen, gut ein Jahr lang vom Todestag des Vaters an (einige davon hat er auch hier im Blog als »Vers der Woche« veröffentlicht). Für sein Buch »Vater, unser See wartet auf dich«, das heute, zum zweiten Todestag des Vaters erscheint, hat er alle Texte nochmals durchgesehen und feingeschliffen, angeordnet und um Fotos ergänzt.

Herausgekommen ist ein intimes Buch, ein ehrlicher Einblick, eine große Hommage. Prosanahe Skizzen, die als kompakte Textstelen gesetzt sind, dominieren dabei, doch auch typische Leitner-Gedichte, solche mit zweifellos lyrischer Optik und eng getakteten Zeilenumbrüchen, sind zu finden. Es ist zu verfolgen, wie der Dichter den Verlust des Vaters verarbeitet, denn die Gedichte, die lyrischen Texte sind nach ihrem Entstehungsdatum angeordnet. Inhaltlich sind dabei zwei große Schwerpunkte auszumachen: Kindheits- und Jugenderinnerungen und das Lebensende des Vaters sowie die Momente danach.

Es geht ums zutiefst Menschliche – und so verweisen die Texte über sich hinaus

Anekdoten und Schlüsselmomente, zutiefst menschliche Macken und Kanten sind hier ganz konkret gezeigt, so dass es wirklich um diese spezifischen Leben geht, um die Menschen Anton und Anton, je unverwechselbar und geprägt von grandioser Dickschädeligkeit, von herrlichem Geltungsdrang – sowie Verletzlichkeit, Mitgefühl und einem unerschütterlichen humanistischen Grundgerüst.

Da werden sich schon mal die Fäuste blutig und wird die Tür eingeschlagen, und wie ein Rachegott stürmt der Vater herein, als Kleinanton ihn beim Zeitungsreinholen im Morgenmantel in die Kälte ausgesperrt hat, doch dann sitzt man auch wieder friedlich beieinander, genießt einvernehmlich das Rauchwerk, Vater und Sohn (die Mutter darf nichts wissen!). Da wird erst die Rock-Musik des Buben verurteilt – und dann, versöhnlich und angetan, doch anerkannt. Um Familienurlaube geht es, um den Ort Weßling, der ohne den hier flanierenden oder die Gemeinde via Fahrrad beehrenden und quasi jeden huldvoll und freundlich grüßenden Vater gar nie vorstellbar war. Und um den Abschied, den langsamen erst: Anton sen. wird alt, er kann und tut nicht mehr alles wie früher, auch wenn er viel beibehält (etwa unterrichtet er bis zum Schluss, er gibt Nachhilfe). Der Sohn bemerkt das, macht sich seine Gedanken. Und auch die Kräfteverhältnisse zwischen den beiden verschieben sich, klar: Nun muss der Vater nicht mehr vom Sockel gestoßen, nun muss er unterstützt werden. Und schließlich geht’s um den schnellen, ja, den plötzlichen Abschied: Ein Treppensturz passiert, wohl ausgelöst durch einen Schlaganfall. Rapide geht es bergab, wenige Tage danach stirbt der Vater. Dabei kommt es zu dramatischen Szenen, etwa wenn der Sohn im Krankenhaus größte Mühe hat, zum Sterbenden vorgelassen zu werden – wegen Corona.

Der Blick des Dichters auf den Vater: immer liebevoll, nie unkritisch

Sehr berührend sind die Texte, von existentieller Verzweiflung, aber auch saukomisch, dem Anekdotenhaften verpflichtet, doch nicht beliebig und ihre Figuren sowie die Leserinnen und Leser stets ernst nehmend. Sie sind eine Verbeugung vor dem Vater – und dabei gerade deswegen gelungen, weil sie ihn nicht verklären, sondern ihn in seiner Großartigkeit und Fehlbarkeit, weil sie ihn mitsamt seinen Widersprüchen zeigen. Der Blick des Dichters ist dabei stets liebevoll, aber eben niemals unkritisch. Dabei verweisen die Erinnerungstexte über sich hinaus, zeigen mehr als nur die Beziehung zweier Menschen, sie sagen etwas aus auch über die Zeiten, in denen sich all dies abspielte (die langen Autofahrten nach Italien im vollgepfropften Kleinwagen etwa kann man ja durchaus als kollektive bundesrepublikanische Erinnerung werten, ebenso den musikalischen Konflikt zwischen Vater und Sohn). Und sie sagen etwas aus über Kind-Eltern-Beziehungen allgemein. Um nur zwei Ansatzpunkte zu nennen.

Anton G. Leitner legt mit »Vater, unser See wartet auf dich« ein Buch vor, das anekdotenreich, tiefgründig, erschütternd und saukomisch ist; es liest sich, im besten Sinne, einfach weg. Und nach der Lektüre ist man bereichert sowie – und das ist wichtig – angenehm beseelt. Empfindsam wird hier Abschied genommen und dabei das Leben, der Mensch Anton Josef Leitner gefeiert.

Die ersten Male aus seinem neuen Buch liest Anton G. Leitner am 9. Mai in Berlin (Buchpremiere) und am 14. Mai in Schleswig (auf der Duo-Lesung mit Manfred Schlüter).


Eckdaten zum Buch

Anton G. Leitner
Vater, unser See wartet auf dich
Erinnerungsstücke und nachgerufenen Verse

Mit einem Vorwort von Ulrich Johannes Beil
Mit 17 Fotos aus dem Privatarchiv von Anton G. Leitner
Hardcover mit Lesebändchen

112 Seiten, 12,5 x 21,0 cm
€ 20,00 [D]
ISBN 978-3-929433-39-5


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