
Einen wunderbaren Leser- und Kollegenbrief haben wir in der DAS GEDICHT-Redaktion vom schon länger mit unserem Hause verbundenen Dichter Christian Engelken aus Hannover erhalten, und zwar zu der von Anton G. Leitner frisch bei Reclam herausgegebenen Lyrikanthologie »Jede Jahreszeit ist schön – Gedichte für Frühling, Sommer, Herbst und Winter«. Ihn möchten wir nun, selbstredend mit Einverständnis des Verfassers, nachfolgend gerne wiedergeben. Zudem möchten wir noch einmal auf die anstehende München-Premiere des Bandes hinweisen, sie gibt’s an diesem Freitag, 25. April 2025, ab 20 Uhr im Zuge der Reihe »Lyrik im Caveau«:
Lieber Anton,
nach bereits vollbrachter Lektüre der »Jahreszeiten« dachte ich mir, dass eine kurze Rückmeldung vielleicht erfreut, trotz der zu vermutenden Reichweite des Bandes. Man hört ja tendenziell immer zu wenig …
Tatsächlich ist dieses »Reclam-Heftchen« im untypischen Prachtformat ein Genuss in jeder Hinsicht, zumal in inhaltlicher! Ein rundes Ganzes ist, wie versprochen, entstanden, von geübter Hand »komponiert«. Vielen Aspekten scheint Rechnung getragen, selbst der nicht unbewanderte Lyrikleser kann Entdeckungen machen, Bekanntes kommt trotzdem nicht zu kurz und findet sich immer wieder wie Landmarken eingestreut. Gelegentlicher Wiedererkennungswert, der über den Namen hinausgeht, erhöht den Reiz. Aber auch umgekehrt.
Für mich waren eine besondere Entdeckung die Damen der Jahrhundertwende (1900), die Bedeutung und Originalität der Kästner-Kaléko-Familie wurde wieder einmal eindrucksvoll bestätigt, schön und interessant zu lesen waren auch die Verse der Leitner-Familie (Leitner, Trinckler, Hornauer u. a.).
Als der Band durchstudiert war, hatte ich das Gefühl, gleich wieder von vorne anfangen zu können oder sogar zu müssen, um all das mutmaßlich Überlesene und nicht Aufgenommene unverzüglich nachzuholen. Aber dann kam rechtzeitig der vermutlich glückliche Gedanke, dass der Leser einer Anthologie – genau wie der Anthologist selbst – den Mut zur Lücke braucht: Zweitlektüre folgt also später.
Früher hätte man vielleicht kritische Töne vermisst, die den Bogen von der Natur zur Umwelt spannen, sprich: insbesondere den Bezug zum Klimawandel herstellen. Nach meinem Dafürhalten ist inzwischen allerdings ein Stadium erreicht, dass der belastete und sowieso schon überspannte Mensch der Jetztzeit dankbar ist für eine Oase in der Wüste all der schlechten Nachrichten und Meldungen, die (wieder) ohne diese Töne auskommt. Ist es nicht gerade wieder viel zu trocken? Die Menschen sprechen nicht (mehr) darüber … Mit anderen Worten: Die »Beschränkung« auf die Zeitlosigkeit dürfte als Wohltat empfunden werden. Insofern ist der Band auch ein Therapeutikum.
Wie bei einem guten Gedicht werden mir die meisten kunstfertigen Kniffe trotz allem entgangen sein, die, soviel ist mir bekannt, immer das Privatgeheimnis des Schöpfers – in diesem Fall des Herausgebers – bleiben und die sogar ihm oft genug nicht bewusst sind (»das Werk weiß mehr als der Künstler«).
Soweit in unvollkommenen Worten für heute. Herzliche Grüße!
Dein Christian