Der Poesie-Talk – Folge 24: Franziska Röchter im Gespräch mit Bärbel Wolfmeier

Werk, Wirkung, Wirklichkeit: Am 22. fast jeden Monats unterhält sich die Dichterin, Herausgeberin und (Klein-)Verlegerin Franziska Röchter mit Schriftstellern, Literaturvermittlern und Buchmenschen über ihre Arbeit und ihr Leben.

Liebe Bärbel, du wirkst im wahrsten Sinne des Wortes wie eine Frau, mit der man Pferde stehlen kann. Pferde und Poesie passen ja gut zusammen. Was trat zuerst in dein Leben: Gedichte oder ein Pferd? Und wenn du für 1 Jahr auf eine einsame Insel müsstest, was würdest du eher mitnehmen: Gedichtbände oder ein Pferd?

Das Pferd macht das Rennen. Sowohl beim Erstkontakt und auch als Inselgefährte.

Porträt Bärbel Wolfmeier
Bärbel Wolfmeier, Foto: privat

Mit welchen 5 Adjektiven würdest du dich selbst charakterisieren?

Komme mir vor wie bei einem Bewerbungsgespräch … 😉 (Haha)
Interessiert, ungeduldig, wagemutig, stur, schweinehundüberwindungserprobt.
Für Freunde gehe ich gern die Extrameile.

Mit deinem Frauenpower-Duo Wolfmeier & Lorenzen werden aufs trefflichste die Qualitäten plattdeutschen Vortrags sowie Musik und Gesang kombiniert. Seit wann gibt es euch schon? Wie ist es zu dieser Zusammenarbeit gekommen? Welches Repertoire bedient ihr?

Der erste Auftritt mit Inge Lorenzen war im November 2015. Ich hatte eine Buchung bekommen und wurde gefragt, ob meine Lesung auch musikalisch begleitet werden kann. Also suchte ich nach einer passenden Sängerin. Über Facebook wurde ich auf Inge aufmerksam, die Lieder auf Platt singt – aber dabei nicht die Heimatschiene bedient. Sehr frisch, sehr rockig. Dabei sind Stücke von Janis Joplin, Leonard Cohen, BAP, Tote Hosen. Inge begleitet auf der Gitarre. Einfach genial. Mittlerweile singe ich Background und Inge erzählt Anekdoten aus ihrem Leben. Es ist ein fließender Übergang von Lesung, freiem Vortrag, Poesie und Gesang. Alles auf Plattdeutsch.

Wie bist du auf die Idee gekommen, neben all deinen Aktivitäten – z.B. arbeitest du ja u.a. auch als Radiomoderatorin mit eigener Sendung beim NDR – einen Verlag für plattdeutsche Literatur zu gründen?

Ja, da lag der Knüppel wieder mal beim Hund. Ich war zu stur, um Kompromisse zu machen. Für mein erstes Kinderbuch suchte ich einen Verlag, der gute Illustrationen bezahlen und das Buch trotzdem nicht überteuert auf den Markt bringen würde. Ich hatte Angebote, aber keines, das all meine Anforderungen erfüllte. Also habe ich einen eigenen Verlag gegründet und das Buch selbst verlegt. Punkt.

Zusätzlich hast du auch damit angefangen, dich in die Illustration von Kinderbüchern einzuarbeiten? Besuchst du Kurse oder bist du Autodidakt?

Ja. Um die Kosten für künftige Kinderbuchprojekte zu senken, habe ich mich in die Illustrationswelt gestürzt. Wenn man für eine Nische schreibt, muss man die Ausgaben im Auge behalten. Ich zeichne seit drei Jahren. Habe mir Bücher gekauft und buche Kurse über das Internet. Eine Kunstschule bringt sicher schneller ans Ziel, aber ich kann den Zeiteinsatz mit meiner Methode selbst bestimmen. Eigentlich war das Zeichnen wieder so eine logische Folge: Will ich weiter Kinderbücher verlegen, dann muss ich gute Zeichnungen zu günstigen Preisen bekommen. Zeichne ich selbst, habe ich kein Problem mehr mit Urheberrechten usw. Meine eigenen Zeichnungen kann ich auch auf Becher und Postkarten drucken – was ich auch bereits umgesetzt habe. Diese Freiheit ist Gold wert. Und nun komm mir nicht mit „zum Zeichnen braucht man doch Talent“. Talentlosigkeit wird oft als Ausrede benutzt, etwas gar nicht erst anzufangen. Tatsächlich ist Fleiß und Leidenschaft viel wichtiger als Talent – das sagt dir jeder Künstler.

Porträt Bärbel Wolfmeier
Bärbel Wolfmeier, Foto: Dirk Jacobs

Wie hast du die letzten eineinhalb Jahre überstanden? Hast du Rezepte oder ein Lebensmotto für Krisenzeiten?

Ich habe in mich investiert. Gelernt, experimentiert. Ich bin kein Freund des Lamentierens. Wenn etwas verloren ist, dann heule ich dem ungern hinterher. Ja, ich bin ein Kämpfer. Aber nur, solange der Ausgang offen ist. An einer aussichtslosen Sache bleibe ich nicht kleben. Im Leben ist nur eines sicher: Die Veränderung. Flexibilität ist Programm. Und auch das Scheitern kostet Mut. Momentan gibt es viele Helden.

Welche Projekte – literarischer oder anderer Natur – hast du gerade in Arbeit?

Mit Inge habe ich neue Lieder eingeübt, die wir gern in unser Programm aufnehmen möchten. Meine erste Anthologie ist in Arbeit und soll dieses Jahr noch auf den Markt kommen: Lyrik för Lütte – Lustige Tiergedichte auf Plattdeutsch mit hochdeutscher Übersetzung. Und dann ist da noch Dreamer – ein junger Wallach aus Irland, den ich mir letztes Jahr gekauft habe und weiter ausbilden möchte.

Welche 3 Bücher sollte deiner Meinung nach jeder einmal gelesen haben?

Die Bibel, Stolz und Vorurteil, Die Biene Maja – das Original.

Was war das Mutigste, das du je getan hast?

Als ich Kind war, hat meine Mutter uns eine D-Mark dafür geboten, eine rohe Zwiebel oder eine Tomate zu essen. Ich habe die Tomate gewählt, meine Schwester die Zwiebel. Ich fand immer schon, dass sie die mutigere von uns beiden ist.

Was würdest du unbedingt noch einmal in deinem Leben ausprobieren wollen?

Es gibt nichts, was ich mir für später aufhebe. Alles was ich machen möchte und machbar ist, tue ich sofort.

Gibt es überhaupt etwas, wovor du Halt machen würdest?

Oha! Da gibt es vieles! Alles, was mir oder anderen schaden würde. Meine Freiheit endet, wo dein Recht anfängt. Meine Freiheit wird gerahmt vom vollkommenen Gesetz.
„Wer aber in das vollkommene Gesetz, das Freiheit bringt, hineinschaut und dabei bleibt, ist kein Mensch, der etwas hört und es dann wieder vergisst, sondern einer, der danach lebt. Und das, was er tut, wird ihn glücklich machen.“ Jakobus 1:25

Liebe Bärbel, herzlichen Dank für deine Lippenbekenntnisse und viel Erfolg bei allem!

"Lütte Bagaluten" von Bärbel Wolfmeier
Buchcover-Abbildung (diekschoop-verlag)

 
 
 
 
 
 
 
 
 
Bärbel Wolfmeier, Lütte Bagaluten
62 Seiten, gebundene Ausgabe, Format: 15,7 x 1,2 x 21,7 cm,
durchgehend farbig illustriert
Hochdeutsch: ISBN 978-3964436672
Plattdeutsch: ISBN 978-3964435200
Preis: 9,90 Euro
Erschienen im Juli 2019 im diekschoop-verlag!
 
 
Vita Bärbel Wolfmeier
Bärbel Wolfmeier wurde 1966 in Flensburg als zweites von vier Kindern geboren und verbrachte die Kindheit in der Schleswigschen Geest. Ihre Muttersprache ist Hochdeutsch, obwohl der Vater auch gern mal auf Platt plauderte. Die fünffache Mutter schreibt Lyrik und Kurzprosa bzw. Slam-Texte. Veröffentlicht wurden ihre Texte bisher in vielen Anthologien, darunter in „Das Gedicht“ vom Anton G. Leitner Verlag. Ihre Plattdeutschen Wurzeln grub sie nach dreißig Jahren wieder aus und kultiviert sie seitdem täglich. 2014 belegte sie den 2. Platz beim Landschreiber Literaturpreis und wurde Finalistin bei den Poetry-Slam Landesmeisterschaften in Schleswig-Holstein. Seit November 2014 ist sie Autorin der Sendereihe „Hör mal ´n beten to“ vom NDR1. Folgende eigene Bücher sind bisher im Quickborn-Verlag erschienen: „Diekschoop in Overkneestielettosteveln“ (2015).

„Laat di nich piesacken“ (2018) im eigenen Verlag: Lütte Bagaluten (2019).
 
 
© Franziska Röchter für dasgedichtblog, 08/2021
 
 
Die Rubrik »Der Poesie-Talk« wurde in Zusammenarbeit mit Timo Brandt gegründet, der die ersten fünf Folgen betreute. Alle bereits erschienenen Folgen von »Der Poesie-Talk« finden Sie hier.

Franziska Röchter

Franziska Röchter, (*1959), kam als Österreicherin auf die Welt und lebt derzeit mit deutscher Staatszugehörigkeit in Verl. Sie schreibt seit vielen Jahren Lyrik, Prosa, kulturjournalistische Beiträge, Rezensionen und mehr. Jahrelang verfasste sie für den mittlerweile eingestellten bekannten Blog der Poetryslamszene, Myslam, Beiträge, Rezensionen, Interviews und trat etliche Jahre (erstmalig mit 50) als Poetry Slammerin in Erscheinung. Sie organisiert(e) Lesungsveranstaltungen in Gütersloh und Bielefeld und betreibt seit 2011 den chiliverlag.
Franziska Röchter war mehrmals Jubiläumsbloggerin für die Zeitschrift DAS GEDICHT (2012 und 2017), führte Interviews und schrieb Features über annähernd 100 bekannte Persönlichkeiten der Literaturszene.
1. Preis Hochstadter Stier (jetzt: Lyrikstier) 2011, seit 2015 Vorstandsmitglied der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik e.V. mit Sitz in Leipzig, Mitglied im VS NRW.
Sie ist seit vielen Jahren regelmäßig in bekannten Literaturorganen wie DAS GEDICHT (Anton G. Leitner), in Vers_netze (Axel Kutsch), im Poesiealbum neu (Ralph Grüneberger), bis zu seiner Einstellung (2014) in Der Deutsche Lyrikkalender (Shafiq Naz) vertreten. Unzählige Veröffentlichungen in anderen Printmedien, Anthologien, Zeitschriften (u.a. bei dtv, in Flandziu, Halbjahresblätter für Literatur der Moderne, in Signum, Blätter für Literatur und Kritik u.v.m.). Etliche eigenständige Veröffentlichungen (Bücher, CDs), zuletzt das Projekt Fernreise. Philipp Röchter singt und spielt Gedichte von Franziska Röchter, 2017. Darüber hinaus ist Franziska Röchter Rundum-Betreuerin ihrer stark pflegebedürftigen Tochter.

© Franziska Röchter, 12/2018

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