Das Abschreiten von Natur und Jahreszeiten
„Ein Rest von Blau“ – der neue Gedichtband von Friedrich Hirschl
von Hellmuth Opitz
Friedrich Hirschl ist ein Augenblickswahrnehmer, einer, der den Moment mit Worten festhält wie mit einer Stecknadel. Dabei sind es nicht unbedingt bedeutende Momente im herkömmlichen Sinne. Es sind die unscheinbaren, kleinen Wahrnehmungen, die ihn interessieren, Momente, die wir alle kennen, wiederkehrende Rituale in Natur und Landschaft, stille Augenblicke, in denen man die besagte Stecknadel auch oft genug fallen hört. Dabei gelingt es ihm, selbst bekannten lyrischen Szenarien wie dem abendlichen Spaziergang noch neue poetische Facetten abzutrotzen wie in dem auf dem Cover abgedruckten Gedicht „Die Häuser dort“:
Die Häuser dort
dunkle Würfel
Die Nacht
hat Lust
auf ein Spiel
Ich
bin dabei
Schon leuchten
viele Augen auf
Gewiss, eine sehr alltägliche Wahrnehmung, aus der Friedrich Hirschl aber den Funken eines unverhofften poetischen Spiels schlägt. Die aufleuchtenden Augen beleben die eigentlich tote Materie verbauten Betons, indem sie subtil darauf hinweisen, dass darin Menschen wohnen.
Wer wie der Poet aus Passau die Linsen seines Blicks detailgenau scharfstellt, will keine flüchtigen, disruptiven Raves und Poesiesplitter zum Besten geben. Sondern Kohärenz herstellen. Viele seiner Gedichte bewegen sich homogen in einer Bildwelt, sie beschränken sich darauf und sind entsprechend kurz, weil Hirschl eine Metapher nicht und bedingt bis ans bittere Ende jeder möglichen Bildparallele melken will. Manchmal aber tut er genau das. Wie etwa in dem Gedicht „Ausgespielt.“ Auch hier wird eine klassische saisonale Wahrnehmung wie das Fallen herbstlicher Blätter mit der Bildwelt „Spiel“ verbunden:
Nun ist auch
das letzte Blatt
ausgespielt
Der Wind
hat aufgehört
Die Bäume kahl
Das Spiel vorbei
Gewinner gibt
es keinen
Auf ein neues
im nächsten Jahr
Hier funktioniert es im Gegensatz zu obigem Gedicht eben nicht. Da ist einzig die Doppeldeutigkeit des Wortes Blatt, das für ein Kartenspiel ebenso relevant sein kann wie für einen Baum – darauf fußt die ganze Allegorie des Gedichtes. Das ist – mit Verlaub – doch recht konventionell und überraschungsarm und geht über die üblichen Leser-Herbstgedichte in Tageszeitungen kaum hinaus. Man würde Friedrich Hirschl doch gern etwas mehr Mut zum verblüffenden Bild, zum gewagten metaphorischen Vergleich gönnen. Gottfried Benn hat mal sinngemäß gesagt, jedes Gedicht brauche „eine Stelle, wo es hinübergeht.“ Er meint damit weit mehr als eine handelsübliche Metapher oder die Verknüpfung zu einem anderen Bild, es geht um mehr: eine Wahrnehmungsverschiebung, einen Bruch, eine neue Bewusstseinsebene oder sogar Transzendenz. Dazu sind die Gedichte von Hirschl oft zu harmonisch eingebettet in die Idylle und Melancholie eines abendlichen Spazierganges oder den wiederkehrenden Kreislauf der Jahreszeiten. Sie schreiten Natur, Landschaft und jahreszeitliche Veränderungen regelrecht ab: Alle vollständig angetreten.
Etwas mehr als 140 Gedichte verteilt auf 11 Kapitel enthält dieser schön aufgemachte 190-Seiten-Hardcover-Band und dann blitzen hier und da doch wieder Bilder auf, die einen neuen Blick ermöglichen wie in dem Gedicht „Neujahr“ mit den „bunten Lichtblumensträußen am Nachthimmel“ und die so im wahrsten Sinne des Wortes einleuchten.
Friedrich Hirschl
Ein Rest von Blau
edition lichtung
192 S., 19,90 €