Gedichte für Kinder – Folge 101: Fünf unveröffentlichte Gedichte von Meike Harms

Uwe-Michael Gutzschhahn präsentiert jeweils am 10. eines Monats auf DAS GEDICHT blog faszinierende Kindergedicht-Autoren mit ihren vielfältigen Spielarten der Kinderpoesie. Denn das Kindergedicht soll lebendig bleiben – damit aus jungen Gedichtlesern neugierige Erwachsene werden, die sich an die Klänge und Bilder der Poesie erinnern, statt an die Last der didaktischen Lyrikinterpretation.

 

Süßwarenmitgefühl oder Süßwaren mit Gefühl

Ich wär nicht gern ein Gummibär,
denn die trifft‘s häufig doppelt schwer.
Erst eingepfercht mit den Kumpanen
in viel zu engen Plastikplanen,
dann in Rucksack oder Arbeitstasche
gedisst von einer Wasserflasche,
zerknautscht bis zur Unkenntlichkeit,
bevor man sie zum Fraß befreit

Ob Grünes, Gelbes oder Rotes,
im Angesicht des nahen Todes,
man höre und man staune,
vergeht selbst Lachgummis die Laune.
Es bleibt dem Bärchen, so erbost
nur ein erbärmlich letzter Trost:
sich seinem zähen Schicksal fügen
und zentnerschwer im Magen liegen.

 

 

Die Bartagame
(ein Raptil-Poem)

Bartagame ist mein Name,
Bartagame ist mein Name,
meine Art fällt aus dem Rahmen,
weil wir Bart im Namen tragen,
aber gar kein Barthaar haben.
Ganz schön hart als Bartagame
ohne Haar trotz Bart im Namen,
weil so oft schon Fragen kamen.
Ob wir uns als Bartagamen
für den Namen denn nicht schämen,
wie wir auf den Namen kämen?
Sei doch alles voll gelogen
und schon lange aufgeflogen.
Bart sei mehr so Kammanlage
wie beim Hahn oder Waranen
und dem Kinn von Pelikanen.
Also stellt sich jetzt die Frage,
in den sauren Apfel beißen
und dann Kammagame heißen?
Bartagame sagt: »Ich weiß nicht.«
Bartagame mag den Quatsch nicht.
Bartagame heißt jetzt Carmen,
Carmen Bartagame.
Amen.

 

 

Von Fliegen, Ziegen und Flöhen

Wenn Fliegen hinter Fliegen fliegen,
fliegen Fliegen Fliegen nach.

Kennt man ja.

Und wenn Fliegen mit dem Flieger fliegen,
können Fliegen im Fliegen hinter Fliegen liegen.

Denkt darüber mal nach.

Und wenn Fliegen sich an Ziegen schmiegen,
riechen Fliegen ziemlich zügig ziegig
und zwar zügiger als für die Fliegen üblich.
Lediglich die Ziegen finden das vergnüglich.

Wenn Fliegen mit den Ziegen lachend Flöhe falten,
gibt es sehr bald viele flache Flöhe.
Wenn Fliegen diese Flöhe in die Höhe halten,
wäre das für viele Flöhe echt die Höhe.
Wenn die viel zu flachen Flöhe in der Höhe an ‘ne Böe prallten,
schmerzten diesen Flöhen vom Böenaufprall ganz bestimmt die Pöe.

Und käme dann die Ziege, sagte, Meike, Pöe sagt man nicht,
dann rief ich: „Ziege, zügle deine Zunge und verzupf dich, das ist mein Gedicht!“

 

 

Der Chor der Natur

Hörst du, wie die Wälder seufzen, immer wenn es regnet?
Wurzeln schlagen Purzelbäume, wenn ihnen Wasser begegnet.
Hörst du wie die Bäche gluckern,
Hummeln über Wiesen tuckern?
Mit ihrem dicken Ranzen
summend Blütenbummel tanzen?
Hörst du wie die Würmer husten,
Erdkrustenbraten knusperpusten?
Asseln mit den Panzern rasseln
Amseln ganztags schnabelquasseln?
Wie die Gangsterkäfer rappen,
über Blätterdächer steppen?
Hörst du, wie der Wind
sausebraus beschwingt
durch die Äste pfeift und swingt?

Das ist der Chor der Natur,
alles große Kunst.
Wir mögen ihn und er mag uns
und wir sind eine Stimme mittendrin.
Wollen wir gemeinsam singen?

(Das Gedicht ist zum lauten Vorlesen gedacht. Das Publikum darf als Chor der Natur mit den dickgedruckten Geräuschen das Gedicht begleiten.)

 

 

Das Morgenmufflon

Morgenmufflon reckt sich und streckt sich.
Diese Aufsteherei schon am Morgen – entsetzlich!
Alles ziept, alles gähnt, alles drückt.
Der Kopf dröhnt und er rödelt wie verrückt,
denn es quatscht und es matscht in der Birne.
Nicht auf Zack diese Mufflongehirne.
Alles muht, alles mäht:
„Immer zu bist du zu spät!“
Schwere Arme, schwere Beine,
Morgenmufflon sehr alleine,
denn um es rum schreit alles: „Jaaa,
der neue Tag ist wieder da.“

Morgenmufflon knufft sein Kissen,
denn es wird es schwer vermissen.
Verlässt das Bett, macht sich Espresso,
fährt langsam hoch auf Tages-Stressflow,
verwirft gleich wieder alle Pläne,
kämmt sich konform zur Quarantäne
nicht die Mufflonstrubbelmähne
und putzt sich nicht die Mufflonmüffelzähne.
Denn, ob es aufstehen mag, juckt eh kein Schwein.
So wird es trotzig heute und auch morgen Mufflon sein.

 

 

Kinderrechte Artikel 19
Das Recht auf Schutz vor Ausbeutung und Gewalt

Jedes Kind, egal wie alt,
hat das Recht auf Schutz vor Gewalt.
Das heißt, liebes Kind, niemand, wirklich niemand darf es wagen,
dich zu schlagen,
dir mit Schmerzen zu drohen
oder deinem Herzen wehzutun.

Und es ist meine Erwachsenenpflicht, dich zu beschützen
und dich, wo ich kann mit aller Kraft zu unterstützen.
Dann leih ich dir mein Ohr, komm zu mir, du kannst mir erzählen,
wenn dich Sorgen oder Ängste quälen.
Wenn dich jemand ärgert,
nehm ich dich in den Arm und sag, dass ich dich lieb hab,
denn so ein Schild aus Liebe hält jeden bösen Hieb ab.
Dann leg ich meine große Hand auf deine kleine,
damit du spürst, du bist nicht alleine.
Und ich bring dir bei, wie wichtig es ist,
dass auch du anderen Kindern ein Freund und Beschützer bist.

Wie das geht?
Spielt miteinander, schließt niemanden aus und teilt eure Gummibärchen,
erlebt bauchkitzelnde Nestschaukelabenteuer und erzählt euch wilde Märchen.
Verteidigt eure Sandburg vor Krokodilen und Schmetterlingsdrachen
und vergesst bloß nicht, gemeinsam ganz viel zu lachen.

Und beizeiten,
da kann man auch mal streiten.
Solange man sich nicht schlägt,
sondern zuhört und redet, damit man sich verträgt.

Denn Frieden ist dort, wo niemand Angst haben muss, dass man ihm weh tut.
Frieden ist dort, wo man morgens aufsteht und weiß, der Tag, der wird eh gut,
weil ich in den Kindergarten oder in die Schule geh’
und dort meine Freundinnen und Freunde seh.
Und dann spielen wir Frieden,
weil Krieg spielen schon so viele von den Großen
und vergessen dabei,
dass sie damit vor allem gegen die Rechte der Kinder verstoßen.

 

 

© Meike Harms

 

 

Meike Harms lebt mit ihren beiden Kindern im Südwesten Münchens. Sie ist Performance-Poetin und Poesiepädagogin. Ihre meist lyrisch-rhythmischen Texte schreibt sie vor allem für den Vortrag auf der Bühne. Sie liebt es, wenn Buchstaben und Wörter, in Gestik und Mimik lebendig, von Schall getragen werden und fliegen dürfen. Gerne auch hin und her zwischen Dichterin und Publikum. Besonders, wenn sie Texte für Kinder vorträgt, ist es ihr wichtig, dass das Publikum auch eine Sprechrolle im Gedicht übernehmen darf. Als Poesiepädagogin leitet sie kreative Schreibgruppen an Schulen oder in Einrichtungen der offenen Jugendarbeit. Außerdem bildet sie Lehrkräfte und Pädagoginnen im kreativen Schreiben fort.
Auf die Frage, warum sie Gedichte – und speziell Gedichte für Kinder – schreibt, hat sie mit einem weiteren Gedicht geantwortet:

 

Ich fasse die Welt in Worte, weil ich sie begreifen möchte.
Ich drehe und wende, verstricke und webe Wortgewänder,
die ich behände an die spitzen Ohren in der Menge hänge.
Sprache ist mein Ausdruck, meine Zungenrolltreppe zur Welt, meine Identität.
Mein Beziehungsbaukasten, mein Glück, mein Spielgerät.
Wenn mich bedrückt, was Schultern nicht mehr schultern wollen
und Gedanken für sich selbst nicht mehr ertragen, muss ich schreiben;
meine Zweifel, meine Angst, meine Wut in Buchstaben kleiden.
Wenn spontane Worttornados meinem Hirn probat erscheinen,
muss ich meine Freude, Begeisterung und Zuversicht kreativ geordnet
in einem Gedicht vereinen.
Wenn Kinder meinen Texten lauschen im Wortwitzwonnekicher,
dann fühlt mein Sprachspiel sich besonders wohl und sicher.
Denn Kinder können Poesie noch einfach feiern oder fühlen,
ohne zwischen Zeilen oder metatief im Sinn des Dichtwerks rumzuwühlen.

 

Uwe-Michael Gutzschhahn

 

Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath
Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath

Uwe-Michael Gutzschhahn, Jg. 1952, lebt in München und hat an der Universität Bochum über den Lyriker Christoph Meckel promoviert. Seit 1978 hat er zahlreiche eigene Gedichtbände veröffentlicht, u. a. »Fahrradklingel« (1979), »Das Leichtsein verlieren« (1982), »Der Alltag des Fortschritts« (1996) und »Die Muße der Mäuse« (2018). Zwischen 1988 und 1991 gab er die 12-bändige Kinder-Taschenbuchreihe »RTB Gedichte« mit Texten u. a. von Ernst Jandl, Oskar Pastior, Friederike Mayröcker und Sarah Kirsch heraus. 2003 folgte die Anthologie »Ich liebe dich wie Apfelmus«, die er mit Amelie Fried zusammenstellte und die gerade in einer Neuausgabe wiederaufgelegt wurde. Sein erster eigener Kindergedichtband folgte 2012 unter dem Titel »Unsinn lässt grüßen«. Und im Herbst 2015 erschien seine große Nonsenslyrik-Anthologie »Ununterbrochen schwimmt im Meer der Hinundhering hin und her«, im Frühjahr 2018 die Anthologie »Sieben Ziegen fliegen durch die Nacht« bei dtv Junior, die aus der Reihe »Gedichte für Kinder« hervorgegangen ist.

Alle bereits erschienenen Folgen von »Gedichte für Kinder« finden Sie hier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert