Inspiriert ist Hans-Werner Kubes »auf zum Weihnachtsmarkt« von einem der berühmtesten und wirkungsstärksten Gedichte eines der bedeutendsten Dichter des 20. Jahrhundert, nämlich von Bertolt Brechts »An die Nachgeborenen«. Verfasst hat es Brecht im Exil – übrigens noch vor dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen, also dem Beginn des zweiten Weltkriegs. Seine zweite Strophe beginnt bekanntermaßen mit: »Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!«
Kube nun übernimmt den Anfang dieser schon zur Formel gewordenen Sentenz – kehrt die Aussage aber insofern um, als dass er das Fortführen des Normalen, des quasi Alltäglichen, ja, auch des Fröhlichseins und Feierns (so möglich) gerade fordert und eben nicht unterbinden möchte oder infrage stellt. Was beide Texte dabei eint: Sie richten sich entschieden gegen das Böse, gegen Gewalt, Töten, Unterdrückung in der Welt (also Nazi-Herrschaft bei Brecht, v. a. Russlands Krieg gegen die Ukraine und den Überfall auf Israel durch die Hamas sowie das Leid der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen bei Kube). Und sie richten sich auch entschieden dagegen, es zu ignorieren, sie wollen es beide beachten und bekämpfen – nur eben auf völlig gegenläufigen Wegen.
Dass aus dem Brecht-Vorbild, dessen Eingang die nicht minder oft zitierte Wendung »Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!« ist (etwa brachte sie vor erst gut einer Woche Uwe-Michael Gutzschhahn während seiner Moderation zur Präsentationslesung von DAS GEDICHT 31 im Lyrik Kabinett München), ausgerechnet ein Weihnachtsgedicht wurde, ist dabei ebenso naheliegend (geht es doch an Weihnachten um Licht in dunklen Zeiten, war Kube doch Gemeindepastor, erfolgte der Angriff auf Israel doch erst ganz kürzlich, befinden wir uns doch bereits in der unser Land stets prägenden Adventszeit, und steht doch nach wie vor ein Baum im metaphorischen Zentrum) wie überraschend (von Brecht zu Religion, von allgemeingültiger Aussage zu jahrezeitlichem Kontext, von einem hilflos-verzweifelten »Es darf nicht sein« zu einem hoffnungsvollen, wenngleich auch trotzigen »Es muss sein«).
»An Die Nachgeborenen« von Bertolt Brecht nachlesen und nachhören kann man etwa auf deutschelyrik.de: https://www.deutschelyrik.de/an-die-nachgeborenen.html