Gedichte mit Tradition, Folge 179: »rimbauds läusesucherinnen«

Arthur Rimbaud

Die Läusesucherinnen

Mondschwüle quält den schlafbetäubten Knaben,
von seinen Schläfen tropft es silberkühl,
da nahen sich die Schwestern dem zerwühlten Pfühl,
die Finger in des Schläfers Haar zu graben.

Sie zerren ihn zum Fenster hin und biegen
die weiße Stirn herab wie einen Ulmenmast,
auf daß sich ihrer Finger angespannte Hast
hinunterbohre, daß die Haare fliegen.

Der Knabe horcht erschrocken, wie das Klopfen
der Pulse seinen Schwestern fast den Atem nimmt;
ihm ist, als poltern große heiße Tropfen
auf seinen Hals, der wie ein Korken oben schwimmt.

Es glüht der Mond in einem rosenroten Flore,
indes die Fingerspitzen immer tiefer sich
in seinen Schopf wie Disteldornen bohren,
und Blut erbricht jedweder Stich.

Und plötzlich glühts von Küssen auf den Wangen,
und ihre Bisse schmerzen ihn. So faucht kein Katzentier.
Und was er ahnte, das ist jetzt Verlangen
und Schrei der ersten aufgestörten Gier.

Übertragen aus dem Französischen ins Deutsche von Paul Zech. Originaltitel: Les chercheuses de poux.

 

Und hier noch das französische Original in voller Länge:

Arthur Rimbaud

Les chercheuses de poux

Quand le front de l’enfant, plein de rouges tourmentes,
Implore l’essaim blanc des rêves indistincts,
Il vient près de son lit deux grandes soeurs charmantes
Avec de frêles doigts aux ongles argentins.

Elles assoient l’enfant auprès d’une croisée
Grande ouverte où l’air bleu baigne un fouillis de fleurs,
Et dans ses lourds cheveux où tombe la rosée
Promènent leurs doigts fins, terribles et charmeurs.

Il écoute chanter leurs haleines craintives
Qui fleurent de longs miels végétaux et rosés
Et qu’interrompt parfois un sifflement, salives
Reprises sur la lèvre ou désirs de baisers.

Il entend leurs cils noirs battant sous les silences
Parfumés; et leurs doigts électriques et doux
Font crépiter parmi ses grises indolences
Sous leurs ongles royaux la mort des petits poux.

Voilà que monte en lui le vin de la Paresse,
Soupirs d’harmonica qui pourrait délirer;
L’enfant se sent, selon la lenteur des caresses,
Sourdre et mourir sans cesse un désir de pleurer.

Thomas Hald, 1967 in München geboren, wo er auch heute wieder lebt. Von 1976 bis 1981 hielt er sich in Österreich (Kitzbühel) auf, es ist nach wie vor seine zweite Heimat. Von 1989 an Studium des Sozialwesens in München, seit 1994 als Diplom-Sozialpädagoge im Resozialisierungsbereich beschäftigt und seit 2007 als Bewährungshelfer beim Landgericht München tätig. Er schreibt Gedichte seit 1984, zahlreiche Publikationen in Zeitschriften (u. a. DAS GEDICHT, Konzepte, Signum, Macondo) und Anthologien (erschienen u. a. bei Reclam und dtv). Zudem liegen zwei lyrische Einzeltitel von Thomas Hald vor: »die abendsonne im glas« (2018) und »im tonfall des jungen sommers« (2011; beide erschienen in der Reihe Poesie 21, Steinmeier). Er war Mitbegründer und künstlerischer Leiter des Münchner FEEL (Forum Eklatant Erotischer Literatur). Seit 2020 ist Thomas Hald Mitglied des Innsbrucker Turmbundes, einer Gesellschaft für Kunst und Literatur.