Rainer Maria Rilke
Der Panther
Im Jardin des Plantes, Paris
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.
Anmerkung: »Der Panther« von Rilke war ohnehin schon mit klarem Abstand das am häufigsten genutzte Vorlagen-Gedicht dieser Reihe. Popularität und Angebot an vor allem inhaltlichen, jedoch auch formalen Anknüpfungspunkten sind hier zwei entscheidende Kriterien: Das Rilke-Raubtier gilt vielen meiner Dichterkollegen (sogar dann, wenn sie ihn einmal weniger zart weiterverarbeitet haben sollten!) wie auch mir als eines der besten deutschen Gedichte überhaupt; sie kennen es gut, tragen es im Geiste immer mit sich und beschäftigen sich gerne mit ihm. Und es lässt sich in vierlei Hinsicht uminterpretieren sowie thematisch (hinsichtlich unterschiedlichster Aspekte von Leben und Gesellschaft), auf die Zeit bezogen sowie auch formal und sprachlich wahlweise gut originalnah nutzen oder auch neu denken.
Aus der ohnehin großen Präsenz des Rilke-Panthers in »Gedichte mit Tradition« ergab sich der Gedanke, die »Panther«-Nachfolgegedichte quasi als kleine Sammlung innerhalb der Reihe leicht zugänglich zu machen sowie auch die Panther-Familie noch weiter zu stärken. Entsprechend rufe ich seitdem, in öffentlichen Beiträgen wie diesem hier und im persönlichen Kontakt mit Dichterinnen und Dichtern, dazu auf, weitere »Panther«-Lyrik zu verfassen bzw. auch bereits bestehende einzusenden. Das hat bereits zu einer überaus erfreulichen Resonanz geführt und auch dazu, dass zahlreiche Panther-Poeme neu entstanden bzw. erstmals veröffentlicht wurden. Wunderbar und überaus erfreulich!
Das jüngste Beispiel: Barbara Weinzierls Corona-Panther, der leicht erkennbar noch ganz jung ist. Übrigens ist dies nicht das einzige Corona-Gedicht, das die Münchner Kabarettistin hier auf »DAS GEDICHT blog« veröffentlicht hat, weitere finden sich in der Reihe Lockdown-Lyrik, und über den folgenden Link gelangt man ganz leicht zu ihnen: https://www.dasgedichtblog.de/tag/barbara-weinzierl/
Die »Reihe in der Reihe« soll auch weiter fortgesetzt werden, über entsprechende Zusendungen freue ich mich. Viele, teils sehr namhafte und in jedem Fall von mir sehr geschätzte Vers-Dompteure haben bereits jetzt extra für diese Mini-Serie gezüchtet oder ihre schon lange umherstreifenden poetischen Großkatzentiere bei ihr in Obhut gegeben: Helmut Krausser, Uwe-Michael Gutzschhahn, Alex Dreppec, Karsten Paul, Patricia Falkenburg, Volker Maaßen, Michael Hüttenberger, Gabriele Trinckler, Jan Causa, Hans-Werner Kube, Jochen Stüsser-Simpson, Thomas Glatz. Und auch ich selbst habe natürlich einen Panther großgezogen und entlassen.
Damit alle bisherigen und künftigen »Panther«-Gedichte mit nur einem Klick übersichtlich zugänglich sind, wurden die entsprechenden Folgen mit dem Tag »Der Panther« versehen; entweder unten auf den Tag klicken oder hier auf den nachfolgenden Link, und schon steht die ganze »Panther«-Familie versammelt da: https://www.dasgedichtblog.de/tag/der-panther/