»Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie«: eine fortlaufende Online-Anthologie, zusammengestellt von Jan-Eike Hornauer
Frank Klötgen
Der Krüss’sche Tantenmörder
Es hatte Herr Frank Wedekind
Verwie?, Verwo?, Verwandte –
Doch dezimierte deren Zahl
Sein Raubmord an der Tante.
Die alte Dame war ja schon
Ganz schwi, ganz schwa, ganz schwächlich!
Dass dennoch ihr am Leben lag,
War hier dann nebensächlich.
Denn insgeheim war diese Frau
Vermuh!, vermäh!, vermögend.
Und ihr Geschnaufe in der Nacht
War einfach nervensögend!
Da schlachtete der Fränkieboy
Die Ton, die Tun, die Tante
Er hieb so tief in ihren Leib,
Dass sie massivst entspannte.
Ins schwache Fleisch der Neffe stieß
Sein Muss, sein Miss, sein Messer
Und dachte dabei mitleidslos:
»Nun geht’s doch allen besser!«
Des Leichnams Schwere zerrt’ er in
Den Kill!, den Kall!, den Keller.
Vom Tiefgang ähnlich wie ein Grab –
Nur geht es so viel schneller!
Ja, so beerbt man vor der Zeit
Verwie?, Verwo?, Verwandte:
Man taucht ganz einfach seinen Dolch
Ins Bauchfleisch einer Tante.
Wenn ihr mich nun verurteil’n wollt,
Herr Ruch, Herr Rach, Herr Richter,
Legt bei der Strophe Versmaß an –
Ich bin doch nur ein Dichter!
© Frank Klötgen, München
+ Zu den Originalen
Die Vorbilder für Frank Klötgens »Der Krüss’sche Tantenmörder« sind, wie unschwer zu erkennen ist und ja schon der Titel deutlich macht, »Der Tantenmörder« von Frank Wedekind und ein Poem von James Krüss, genauer ist es »Der Zauberer Korinthe«, was sich in den Strophen schnell offenbart. Beide Texte gehören fest zum Kanon der deutschen Literatur und sind gar regelmäßig Schullektüre – wenn auch in unterschiedlichen Altersstufen. Das lockere Reimschema und vor allem die freudig-naiv anmutende Sprachspielerei hat Klötgen vom Krüss-Text übernommen und damit seine Tantenmörder-Nachdichtung – die wie ja schon Wedekinds Original vom Widerstreit zwischen dem ungeheuerlichen Inhalt und dem lapidaren Vortrag lebt – noch weiter schwungvoll grotesk aufgeladen.
Nachfolgend steht hier das Wedekind-Original. Und zum Krüss-Gedicht führt folgender Link, der den Text direkt beim Klett-Verlag, dem Rechteinhaber, als PDF abruft: https://www2.klett.de/sixcms/media.php/229/OA_313811_S167_qd36fk_Gedichtvortrag.pdf
Frank Wedekind
Der Tantenmörder
Ich hab meine Tante geschlachtet,
Meine Tante war alt und schwach;
Ich hatte bei ihr übernachtet
Und grub in den Kisten-Kasten nach.
Da fand ich goldene Haufen,
Fand auch an Papieren gar viel
Und hörte die alte Tante schnaufen
Ohn Mitleid und Zartgefühl.
Was nutzt es, daß sie sich noch härme –
Nacht war es rings um mich her –
Ich stieß ihr den Dolch in die Därme,
Die Tante schnaufte nicht mehr.
Das Geld war schwer zu tragen,
Viel schwerer die Tante noch.
Ich faßte sie bebend am Kragen
Und stieß sie ins tiefe Kellerloch. –
Ich hab meine Tante geschlachtet,
Meine Tante war alt und schwach;
Ihr aber, o Richter, ihr trachtet
Meiner blühenden Jugend-Jugend nach.
+ Zum Autor
Frank Klötgen wurde 1968 in Essen geboren, studierte Kommunikationswissenschaften, Anglistik und Marketing und lebt als Slam-Poet, Netz-Literat, Kolumnist sowie Sänger und Texter der Band »Marylin’s Army« in München. Seit 2020 gehört er zum Ensemble der legendären Münchner »Lach- und Schießgesellschaft«. Er ist Mitglied der Lesebühnen »Die Stützen der Gesellschaft« und »Poetry & Parade« (München) sowie »Spree vom Weizen« (Berlin), dazu Veranstalter zahlreicher Poetry-Slams (u. a. National Slam 2007 und 2010).
Zahlreiche Auszeichnungen, darunter: Stipendium der Cafe Royal Kulturstiftung Hamburg 2008 und Writer in Residence in Innsbruck 2011. Touren u. a. mit Goethe-Institut und Robert-Bosch-Stiftung u. a. nach Ägypten, Bulgarien, Dänemark und in die Vereinigten Arabischen Emirate. Mit seiner Band hat er in gut 30 Jahren 16 CDs veröffentlicht. Zuletzt von ihm als Autor erschienen: »Lebhaft im Abgang. Tödliches & Tröstliches in 200 Gedichten« sowie »Slammed! 1 Jahr, 149 Poetry Slams zwischen Hawaii und Madagaskar« (beide Satyr, 2021 bzw. 2017). www.Hirnpoma.de
»Gedichte mit Tradition« im Archiv
Zu dieser Reihe: »Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie« ist eine Online-Sammlung zeitgenössischer Poeme, die zentral auf ein bedeutendes Werk referieren, ob nun ernsthaft oder humoristisch, sich verbeugend oder kritisch. Jeden zweiten Freitag erscheint eine neue Folge der von Jan-Eike Hornauer herausgegebenen Open-End-Anthologie. Alle bereits geposteten Folgen finden Sie hier.