Humor in der Lyrik – Folge 10: Peter Paul Althaus (1892–1965): »In der Traumstadt ist ein Lächeln stehn geblieben …«

Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.

 

Peter Paul Althaus
Peter Paul Althaus
PPA – gesprochen Pe-Pe-A – in Münster geboren, sollte eigentlich Apotheker werden, wurde aber zum Glück Schauspieler, Dramaturg, Hörspielautor und Dichter. 1921 kam er erstmals nach München, das seine Wahlheimat wurde. Hier fand er, im Kreis von Freunden und Verehrern Resonanz und Zustimmung. PPA musste an zwei Kriegen teilnehmen, am ersten Weltkrieg als Offizier, am zweiten degradiert, da er sich durch die Veröffentlichung des Gedichtbändchens »Das Vierte Reich« Goebbels Kritik zugezogen hatte.

Nach 1945 gründete PPA Stammtischrunden mit malenden und schreibenden Schwabingern, traf sich mit ihnen in der »Schwabinger Laterne«, im »Monopteros« und in der »Seerose«. Er trat im Künstlerlokal »Simplicissimus« auf und erhob Schwabing zu einer »Traumstadt«, die er auch in seinen Gedichten verewigte. Er ernannte sich selbst zum Traumstadtbürgermeister, hielt »Bürgerversammlungen« ab und wurde vom echten Münchner Oberbürgermeister Hans Jochen Vogel als Kollege begrüßt. Er vergab Ehrentitel. So ernannte er OB Vogel zum »Ehren-Ober-Trambahnschaffner«, Ludwig Kusche zum »Generalmusikdirektor der Traumstadt« und Marietta di Monaco zur »Schlossherrin des grünen Schlosses der Traumstadt«. Andere wurden »Traumstadtmusikalissimus« oder »Tirilator« tituliert.

Er setzte sich für den Erhalt des echten Schwabing ein und protestierte gegen die Unrast dieser immer mehr zum reinen Vergnügungsviertel herunterkommenden Gegend. Hier entstanden jene Gedichtbände – »In der Traumstadt«, »Dr. Enzian«, »Seelenwandertouren«, »Flower Tales« und »Wir sanften Irren« –, die seinen Ruhm begründeten.

WIR SANFTEN IRREN SPIELEN MANCHMAL POLITIK.
Die einen haben Karten und die andren Schachfiguren;
die mit den Schachfiguren rufen: »Trumpf!!« –
die mit den Karten rufen: »Schach dem König!!!«
So spielen wir, die sanften Irren Politik – –
mit Karten gegen Schachfiguren.
Und zwischen den Politikern da draußen und uns sanften Irren
der Unterschied – – – der Unterschied ist gar nicht groß.
Das Gute ist nur dies: Wir sanften Irren spielen bloß.

Die kleinen versponnenen und verspielten Texte mit Anklängen an Morgenstern und Ringelnatz sind voll skurrilen Humors mit ganz eigener Prägung und haben hohen poetischen Reiz. Der Komponist Ludwig Kusche bezeichnete PPAs Lyrik »von Haus aus als musikalisch … Deine künstlerischen Spielereien mit Vokalen und Konsonanten, vor allem die Art Deiner Reime, sie kommen vom Wortklang her, und man sollte Deine Gedichte immer laut lesen, auch wenn man sie nur für sich alleine liest. Das Musikalischste an Deinen Gedichten sind aber die ständig variierenden Rhythmen Deiner Verszeilen, die … vom Rhythmus ständig wechselnder Taktarten diktiert werden … Man sollte Dich eigentlich gar nicht Althaus, sondern vielmehr ›Abendstern‹ nennen, ich meine im Gegensatz zu ›Morgenstern‹, denn Du bist einer der letzten Sterne am Himmel jener deutschen Dichtung, die jene Feuchtigkeit des wirklichen Humors besitzt.« Hans Reiman unterstreicht diese Ansicht in einem Urteil über PPA‘s Versgeschöpfe: »Hier waltet ein Wortmusikus, der auch dann so dichten würde, wenn Morgenstern nicht gewesen wäre.«

Ein Tunichtgut und ein Tuböse

Ein Tunichtgut und ein Tuböse,
die schlugen (im Streit, wer der Bessere sei)
mit grimmigen Fäusten und viel Getöse
sich sämtliche Knochen im Leibe entzwei.

Und als sie die Knochen zusammengelesen,
da standen sie auf, als sei nichts gewesen.

Sie hatten jedoch, und das merkten sie jetzt,
ihre Knochen nicht richtig zusammengesetzt.
Aus dem Plan, sich gegenseitig zu morden,
war ein Tugut und ein Tunichtböse geworden.

Die letzten Lebensjahre verbrachte PPA, von Krankheit gezeichnet, in seiner Schwabinger Wohnung in der Trautenwolfstraße, die er nur noch selten verließ. Aber bis zuletzt verlor er nicht das Lächeln des Weisen. Im Alter von 73 Jahren starb er in seiner »Schwabinger Höhle« am 16. September 1965, wie er sich das auch in seinem Gedicht »September« gewünscht hatte:

September

September ist der schönste Monat zum Sterben.
Die Ernte ist nun eingebracht.
Die Spechte noch nach müden Borkenkäfern kerben,
die aber wittern schon die lange Winternacht.
Die Wälder sich ganz mählich färben;
in Norden warten schon die herben
Oktoberlüfte, eh´ sie bitter gerben.

Dies sagt ein alter Mann,
der allzu oft gewacht
und über allzuvieles nachgedacht:
September ist der schönste Monat zum Sterben.

Am Donnerstag, den 17. September 2015 um 20 Uhr gibt es im Gräfelfinger Bürgerhaus am Bahnhofsplatz 1 zum 50. Todestag PPA´s einen Abend für diesen Mythos Schwabings mit PPA´s Neffen Dr. Hans Althaus, den GRÄGS, den Autoren Johannes Glötzner und Alfons Schweiggert und mit vielen Texten von PPA, wie folgendem Klassiker:

In der Traumstadt

In der Traumstadt ist ein Lächeln stehn geblieben;
niemand weiß, wem es gehört.
Und ein Polizist hat es schon dreimal aufgeschrieben,
weil es den Verkehr, dort wo es stehn geblieben, stört.

Und das Lächeln weiß auch nicht, wem es gegolten;
immer müder lächelnd steht es da,
kaum beachtet, und gescholten
und geschupst und weggedrängt, wenn ja.

Langsam schleicht es sich von hinnen;
doch auf einmal wird es licht verklärt;
und dann geht es ganz nach innen –
und du weißt, wem es gegolten und gehört.

 

Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München

»Humor in der Lyrik« wird Ihnen von Alfons Schweiggert präsentiert. Der Münchner Schriftsteller veröffentlichte neben Erzählungen und seinem Roman »Das Buch« mehrere Lyrikbände, Biographien und Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München ist er seit 2010 freischaffender Autor. Schweiggert ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Turmschreiber und Vorstand der »Karl Valentin-Gesellschaft«.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.

Ein Kommentar

  1. Bin zufällig hier gelandet (mit großer Freude). Habe das Gedicht “Lächeln” von PPA während der Autofahrt am vergangenen Donnerstag im WDR5 gehört. War “angefixt” , dachte an einen zeitgenössischen Verfasser und finde dann alle erstaunlichen Hintergrundinformationen und dann noch diese Seite. Wie schön! DANKE sagt BPK (Brunhilde Pflüger-Kirchhoven)

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