Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.
Schon früh wurde er wegen »fahrlässiger Majestätsbeleidigung« zu zwei Monaten Festungshaft verurteilt. In einem Vortrag hatte er sich über »Monarchen, die keine Zeit haben« lustig gemacht, was für eine Verurteilung reichte, denn einen preußisch-deutschen Kaiser verspottet man nicht. Dabei entstammte der in Landshut geborene Hanns Freiherr von Gumppenberg selbst einem bayerischen Ur-Adelsgeschlecht von Reichsfreiherren. Doch empfand er sich, wie er gestand, nicht für Adelskreise tauglich, sondern fühlte sich wohler in bürgerlichen Kreisen, vor allem dort, wo gesungen und gefeiert wurde. Wohl deshalb hatte er in München auch sein Studium der Philosophie, Literaturgeschichte und Juristerei abgebrochen, um freier Schriftsteller und Journalist zu werden. Im Café Stefanie in der Theresienstraße, auch »Café Größenwahn« genannt, diesem legendären Treffpunkt der Münchner Bohème, war Gumppenberg gerne zu Gast. Dort traf er auch auf Gleichgesinnte wie Frank Wedekind, Erich Mühsam, Leonhard Frank und Heinrich Mann. Hier brillierte er mit kongenialen Parodien auf Verse bekannter Dichter aus unterschiedlichen Epochen, die er meisterhaft vortrug, so etwa
»Das Oadelwoass« nach einer
»oberbairischen« Dialektdichterin
O Berg – euch liab’ ich allezoat,
Ja selbscht im Winta,
wenn es schnoat!
Ich grüaß´ den roanen Sunnenschoan,
Und stoag´ ins stoale G´wänd hinoan:
Da wer´n miar wohl die Woadel hoaß,
Doch grüaßt mich z´letzt oan Oadelwoaß,
Oan Oadelwoaß!
O Liad, gediachtet still dahoam,
Wie g´froat von diar mich jeda Roam!
Jetzt kling´ von Berg zu Bergen woat,
Zum Proas der Alpenherrlichkoat!
Und singt dich d´Senn´rin hoch am Oas,
Dann bist auch du oan Oadelwoaß,
Oan Oadelwoaß!
Selbst gute Bekannte verschonte er nicht mit seinen Verballhornungen, was diese oft nicht ganz so lustig fanden. Während er selbst mit seinen Weltanschauungs- und Ideendramen erfolglos blieb, kamen seine Spaßdichtungen bestens an. Sein humoristisches Schaffen krönte er mit der bekannten Grotesken- und Parodiensammlung »Das teutsche Dichterross: in allen Gangarten vorgeritten (1901)«, das bis 1929 stolze 14 Auflagen erlebte. 1901 wirkte er auch bei der Gründung des Münchner Kabaretts »Die Elf Scharfrichter« mit und trat dort unter dem Pseudonym »Jodok« mit Lyrik- und Dramenparodien, sogenannten »Überdramen« auf. Außerdem betätigte er sich als Autor und Lektor bei der Zeitschrift »Jugend« und als Übersetzer schwedischer Dichtung. Unter dem Pseudonym »Prof. Immanuel Tiefbohrer« fabrizierte er launige Geschichten und immer wieder Gedichte wie:
Das Zigarrenlied
Der Mensch ist wie eine Zigarre,
Gewickelt als Wickelkind,
Sortiert und gepreßt mit viel andern
In ein Titelkistchen geschwind!
Und ist er dann trocken unfraglich
Und gelagert die übliche Frist:
Dann kauft und verpafft ihn behaglich
Ein beliebiger Kapitalist.
Der Mensch ist wie eine Zigarre,
Das Deckblatt entscheidet den Wert:
Ist′s glatt, elegant, appetitlich,
So wird er geliebt und geehrt;
Exemplare mit fehlfarbner Hülle
Bieten oft zwar besondern Genuß –
Doch sind sie für Kenner, für stille,
Und ,pour la noblesse′ sind sie »Schuß«.
Der Mensch ist wie eine Zigarre,
Befriedigt nicht jeden egal:
Man findet zu stark und zu scharf ihn,
Man schilt ihn zu leicht und zu schal!
Am beliebtesten ist noch die Mischung
Von Tabaken drei, vier oder sechs –
Doch der Kenner, der holt sich Erfrischung
Bei dem einfach reinen Gewächs.
Der Mensch ist wie eine Zigarre,
Er lebt nur, solang er noch glüht,
Solange verlangend tiefinnen
Die Sehnsucht noch zündet und sprüht!
Und muß es ihn zärtlich verzehren,
Dies Glühen so prächtig und rot –
Auf allen Lebensaltären
Loht feuriger, freudiger Tod!
Der Mensch ist wie eine Zigarre,
Kommt manchmal nur mühsam in Zug,
Oft, weil er zu schief ist gewickelt,
Und oft, weil nicht locker genug!
Doch brennt er nun schwach oder feste,
Verknistert er früh oder spat:
Blauer Dunst ist am Menschen das Beste,
Und Asche das Resultat.
Als ihn die Münchner Neuesten Nachrichten als Theaterkritiker engagierten, hatte Gumppenberg plötzlich ehemalige Autorenkollegen zu beurteilen, was zur Häufung von Zerwürfnissen zwischen ihm und den Kritisierten beitrug. Zu Gefälligkeitsbesprechungen wollte er sich jedenfalls nicht hergeben. Mit seinen unverblümten Äußerungen etwa zu Wedekinds »Büchse der Pandora« oder Gorkis »Nachtasyl« provozierte er gehar¬nischte Widersprüche und manche Freundschaften gingen in die Brüche. Bis 1909 betätigte er sich als Kritiker, dann gab er die literarische Wochenschrift »Licht und Schatten« heraus.
Nachdem ihn der Erste Weltkrieg und die Inflation in finanzielle Nöte gestürzt hatten, starb Hanns von Gumppenberg 1928 in München an einem Herzleiden. Unvergesslich geblieben sind bis heute seine parodistischen Gedichte, wie das folgende, in dem er sich etwa über die Marotte des Dichterkollegen Otto Julius Bierbaum, immer längere Wortungetüme in Texten unterzubringen, lustig macht:
Sommermädchenküssetauschellächelbeichte
An der Murmelrieselplauderplätscherquelle
Saß ich sehnsuchtstränentröpfeltrauerbang:
Trat herzu ein Augenblinzeljunggeselle
In verweg’nem Hüfteschwingeschlendergang,
Zog mit Schäkerehrfurchtsbittegrußverbeugung
Seinen Federbaumelriesenkrämpenhut –
Gleich verspürt’ ich Liebeszauberkeimeneigung,
War ihm zitterjubelschauderherzensgut!
Nahm er Platz mit Spitzbubglücketückekichern,
Schlang um mich den Eisenklammermuskelarm:
Vor dem Griff, dem grausegruselsiegesichern,
Wurde mir so zappelseligsiedewarm!
Und er rief: »Mein Zuckerschnuckelputzelkindchen,
Welch ein Schmiegeschwatzeschwelgehochgenuß!«
Gab mir auf mein Schmachteschmollerosenmündchen
Einen Schnurrbartstachelkitzelkosekuß.
Da durchfuhr mich Wonneloderflackerfeuer –
Ach, das war so überwinderwundervoll.
Küßt’ ich selbst das Stachelkitzelungeheuer,
Sommersonnenrauschverwirrungsrasetoll!
Schilt nicht, Hüstelkeifewackeltrampeltante,
Wenn dein Nichtchen jetzt nicht knickeknirschekniet,
Denn der Plauderplätscherquellenunbekannte
Küßte wirklich wetterbombenexquisit!!
Und aus dem volkstümlich-beliebten Gedicht »Ungeduld« von Wilhelm Müller (1794-1827): »Ich schnitt es gern in alle Rinden ein, / Ich grüb’ es gern in jeden Kieselstein, / Ich möcht’ es sä’n auf jedes frische Beet / Mit Kressensamen, der es schnell verrät, …« wird in der »Bearbeitung« Gumppenbergs folgendes daraus:
Liebesjubel
Ich ritzt’ es gern in alle Rüben ein,
ich stampft’ es gern in jeden Pflasterstein,
ich biss’ es gern in jeden Apfel rot,
ich strich’ es gern auf jedes Butterbrot,
auf Wand, Tisch, Boden, Fenster möcht’ ich’s schreiben:
Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben!
Ich schör’ es gern in jede Taxusheck,
graviert’ es gern in jedes Essbesteck,
ich sät’ es gern als lecker grüne Saat
ins Gartenbeet mit Kohlkopf und Salat,
in alle Marzipane möcht’ ich’s drücken
und spicken gern in alle Hasenrücken
und zuckerzäh auf alle Torten treiben:
Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben!
Ich möcht’ mir ziehn ein junges Känguruh,
bis dass es spräch’ die Worte immerzu;
zehn junge Kälbchen sollen froh sie brüllen;
hell wiehern hundert buntgescheckte Füllen;
trompeten eine Elefantenherde –
ja, was nur kreucht und fleucht auf dieser Erde,
das soll sie schmettern, pfeifen, quaken, bellen,
bis dass es dröhnt in allen Trommelfellen
mit einem Lärm, der gar nicht zu beschreiben
Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben!!!
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.