Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.
Seinen Ruf als »Kasperlgraf« verdankt Pocci – gesprochen »Potschi« – seinen über 40 Puppenkomödien, in denen die Figur des »Kasperl Larifari« die Hauptrolle spielt. Dieser Kasperl ist ein ganz besonderes Wesen. Er hat keine Eltern, sondern wurde von einem Zauberer in ein goldenes Ei hineingezaubert und einer Henne zum Ausbrüten gegeben. Demzufolge wuchs er auch nicht in einer normalen Familie auf und ist als Erwachsener nichts anderes als ein großes eigenwilliges Kind, das sich mit seinen nicht immer ganz braven Kasperliaden durch´s Leben trickst.
Pocci, Sohn eines italienischen Offiziers und einer Baronin aus Dresden kam in München zur Welt und wurde nach dem Studium der Rechtswissenschaften bereits im Alter von 23 Jahren Zeremonienmeister König Ludwigs I. von Bayern. Unter ihm und danach unter Maximilian II. und Ludwig II. erlebte er die großen Umwälzungen der Zeit. Ludwig I. berief den hochmusikalischen Grafen 1847 zum Hofmusikintendanten und König Ludwig II. ernannte ihn 1864 sogar zum königlich-bayerischen Oberstkämmerer. Über 40 Jahre lang versah er seinen Dienst am bayerischen Hof. Auf Grund seiner Erfahrungen in diesem Amt karikierte er den typisch bayerischen Beamten, dem er mit der Figur des »Staatshämorrhoidarius« ein unauslöschliches Denkmal setzte. Seinem Kasperl Larifari, den er in dem Stück »Das Eulenschloss« Minister werden lässt, legt er folgendes Geständnis in den Mund: »Ich darf es gestehen: Ich leite mein Ministerium mit Umsicht, Vorsicht, Nachsicht, Durchsicht, Einsicht, Kurzsicht und noch verschiedenen anderen Sichten. Weiß ich nichts und fallt mir nichts ein, was eigentlich immer der Fall ist, so darf ich nur meine Ministerzauberfeder hinters Ohr stecken oder ins Tintenfaß eintauchen und meine Beschlüsse sind von salomonischer Weisheit.«
In dem Stück »Kasperl bei den Menschenfressern« singen die Kannibalen:
Spissi spassi Casperladi – Hicki hacki Carbonadi
Trenschi transchi Appetiti – Fressi frassi fetti fitti
Schlicki schlucki Casperluki – Dricki drucki mameluki
Michi machi Casperlores – Spissi spassi tschu capores.
Der vielseitig begabte Pocci versah alle Ämter stets gewissenhaft, widmete sich in seiner Freizeit aber seiner großen Leidenschaft, den freien Künsten. Als Maler und Karikaturist, als Dichter und Komponist schuf er zahllose humorvolle Werke. An die 600 Musikstücke, darunter auch die Melodie des berühmten Liedes »Wenn ich ein Vöglein wär«, stammen aus seiner Feder. Obwohl er ein melancholischer und von Migräne geplagter Mann war, schuf er neben köstlichen Karikaturen und Bildsatiren – unter anderem für die »Fliegenden Blätter« – auch Scherenschnitte, sogenannte Klecksographien, sowie viele bezaubernde Landschafts- und Architekturzeichnungen, in denen er vor allem seine Heimat am Starnberger See porträtierte. Auch Kinderbücher und Dramen verfasste er und nicht zuletzt auch etliche köstliche Gedichte. Alle seine Arbeiten sind reichlich mit Humor, Ironie und Witz gewürzt. Und alles wurde ihm zur Poesie.
Hans Teuerlich
Mich dünkt, es war ganz neuerlich
ein Wirt, der hieß Hans Teuerlich;
sein Braten war nicht käuerlich,
sein Wein war etwas säuerlich.
Drei Wandrer traten da herein,
die riefen: »Wirt, nun schenk uns ein!
Wir wurden müd im Sonnenschein,
drum gib uns echten guten Wein!«
Hans Teuerlich lief schlau und fein
zum Keller mit dem Krug von Stein;
dort stand ein Fass mit saurem Wein
und neben floss der tiefe Rhein.
Bedachtsam wie eine Nuss
Zapft er vom Weine mit Verdruss.
Lässt dann herein in vollem Schuss
Den hochberühmten klaren Fluss.
Er bringt den Wein den Gästen dar
und schwört bei seiner Ehr fürwahr,
dass Wein so rein und hell und klar
noch nie in einem Fasse war.
Die durst’gen Drei, die freuen sich,
sie danken erst Hans Teuerlich
und trinken drauf ganz feierlich
den Wein, so matt und säuerlich!
Wohl werfen sie die Becher fort,
doch schwört der Wirt bei seinem Wort,
der Wein sei von der besten Sort’,
ein wahrer, echter Niblungshort.
Und schenket dann noch einmal ein
Den Gästen von dem klaren Wein.
Doch sieh! Drei Fischlein, nett und klein,
die hüpfen aus dem Krug herein.
Die drehen gar behendiglich
Im Becher dort inwendig sich;
es ward darum elendiglich
der Wirt verlacht beständiglich.
Sie zahlten ihm den Wein nicht schlecht,
auf dass er stets der Fisch gedächt’;
er tat’s nicht mehr, doch hör ich recht,
dann ist gar groß des Wirts Geschlecht.
Auch sich selbst nahm Pocci gern auf dem Arm und karikierte sich als spindeldürren, hoch aufgeschossenen »Monsieur le Maigre«. In den letzten Lebensjahren zog er sich mehr und mehr aus der Stadt in sein Schloss Ammerland am Starnberger See zurück. Als 50-Jähriger notierte er folgende selbstkritische Bilanz: »Ich war zumeist zersplittert und ließ vieles, was ich mit Begeisterung erfaßt habe, bald wieder liegen […] Hätte ich mich einer systematischen Kunstbildung unterworfen, so empfände ich jetzt nicht das bittere Bewußtsein der Unvollkommenheit meiner künstlerischen Leistung; allein die Phantasie hatte sich meiner wie ein Dämon bemächtigt; ich übersprudelte an malerischen und musikalischen Ideen, deren keine die andere zur vollen Entwicklung und Geltung kommen lassen wollte […]«
Das Krokodil
Ich bin ein altes Krokodil
und leb dahin ganz ruhig und still,
bald in dem Wasser, bald zu Land
am Ufer hier im warmen Sand.
Gemütlich ist mein Lebenslauf,
was mir in Weg kommt, freß ich auf,
und mir ist es ganz einerlei,
in meinem Magen wird´s zu Brei.
Schon hundert Jahre leb ich jetzt,
und wenn ich sterben muß zuletzt,
leg ich mich ruhig ins Schilf hinein
und sterb im Abendsonnenschein.
Im Alter von 69 Jahren schloss Franz Graf von Pocci die Augen für immer. In München erinnert die Poccistraße an diesen genialen Künstler, den Einheimischen vor allem durch das dort gelegene Kreisverwaltungsreferat bekannt.
»Humor in der Lyrik« wird Ihnen von Alfons Schweiggert präsentiert. Der Münchner Schriftsteller veröffentlichte neben Erzählungen und seinem Roman »Das Buch« mehrere Lyrikbände, Biographien und Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München ist er seit 2010 freischaffender Autor. Schweiggert ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Turmschreiber und Vorstand der »Karl Valentin-Gesellschaft«.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.