Humor in der Lyrik – Folge 23: Verfasser Unbekannt (geb. ? – gest. ?): »In dem Grinderhunde eine Grappelpuppe …«

Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.

Der zweifellos berühmteste Autor der Welt ist »Verfasser Unbekannt« oder »Autor Unbekannt«. Allem Anschein nach muss es ein Mann sein, denn selten werden Texte von einer »Verfasserin Unbekannt« oder einer »Autorin Unbekannt« bekannt. Der »Verfasser Unbekannt« oder der »Autor Unbekannt« scheinen Wert darauf zu legen, dass das Geburtsdatum und der Geburtsort geheim bleiben. Eines steht jedoch fest, dass er von einer Frau geboren wurde und dass bei seiner Zeugung auch ein Mann seine Hand oder anderes im Spiel hatte. Ein Todesdatum von ihm ist nicht bekannt, was darauf hinweist, das er immer noch lebt. Auch Biographisches von ihm weiß man nicht. Lediglich in seinen Texten sind bisweilen Hinweise enthalten, die auf biographische Fakten oder Ereignisse schließen lassen.

Seit Menschen schriftliche Zeugnisse verfassen, ist auch »Verfasser Unbekannt« aktiv. Er ist in allen literarischen Genres bewandert, schreibt Erzählungen ebenso wie Romane, Theaterstücke und Gedichte und fällt sogar dadurch auf, dass er in bestimmten Ländern der Welt auch regimekritische Flugblätter und Schriften verfasst.

Es gibt übrigens auch unbekannte Autoren, die aber namentlich bekannt sind und nur im Literaturbetrieb noch unbekannt sind. Diese sind mit dem »Verfasser Unbekannt« natürlich nicht gemeint. Diese namentlich bekannten unbekannten Autoren können nämlich eines Tages, auch wenn sie jetzt für viele noch unbekannt sind, durchaus bekannt werden, weshalb sie mit dem »Verfasser Unbekannt«, der immer unbekannt ist, nichts zu tun haben.

Erstaunlich ist, dass der »Verfasser Unbekannt« nicht nur in einer Sprache schreibt, sondern dass Texte von ihm in allen Sprachen der Welt erscheinen, was die Vermutung zulässt, dass es sich um ein hochgebildetes Wesen handelt, das alle diese Sprachen auch bestens beherrscht, sogar solche, die heute gar nicht mehr gesprochen werden.

Unter allen lebenden Autorinnen und Autoren ist das literarische Werk des »Verfassers Unbekannt« hinsichtlich der Quantität am herausragendsten und bisweilen sogar bezüglich der Qualität. Besonderes Interesse erweckte vor einigen Jahren die Nachricht, dass ein »unbekannter Soldat«, der im zweiten Weltkrieg gefallen ist, der »Verfasser Unbekannt« einer bislang »unbekannten Geschichte« gewesen sei, nach der seit 1945 die Literaturwissenschaft deshalb fieberhaft, wenn auch vergeblich forscht.

Zitiert man den Text eines »Verfassers Unbekannt«, sollte man dies in Fußnoten, Quellenverweisen und Literaturverzeichnissen beispielsweise wie folgt tun: u. V.: Titel des Buches oder Textes, Ort, Jahr, S. xy. Manche schreiben auch o. V. was so viel wie »ohne Verfasser« bedeutet. Dies entspricht jedoch nicht der Wahrheit, da der Text oder das Buch ja nicht ohne Verfasser entstanden sein kann, weshalb u. V., also »unbekannter Verfasser« zutreffender ist. Weiß man auch nicht den Ort, wo das Buch oder der Text erschienen sind und womöglich auch nicht das Jahr, lautet die Quellenangabe: u. V: Titel des Textes, o.O., o.J. und womöglich auch o.S., wenn keine Seitenangabe feststellbar ist.

Aus dem umfangreichen Werk des »Verfassers Unbekannt« wird nicht nur hemmungslos zitiert, immer wieder werden von sogenannten Literaturwissenschaftlern einige seiner Werke namentlich bekannten Autorinnen und Autoren zugeschrieben, wogegen der »Verfasser Unbekannt« erstaunlicherweise nie Einspruch erhebt. Er lässt dies einfach so geschehen. Selbst, wenn namentlich bekannte Schriftstellerinnen und Schriftsteller seine Werke als die ihren ausgeben, regt ihn das nicht auf.

Dreiste im Internet verbreitete Gerüchte, die etwa besagen, er habe auch »alle Songtexte von Britney Spears verfasst« oder sei »für den Inhalt aller Nachrichten auf N24 verantwortlich« können ebenso wenig bestätigt wie dementiert werden. Auch die Behauptung, hinter dem »Verfasser Unbekannt« stecke womöglich »der Chefredakteur der BILDzeitung« ist bislang nicht bewiesen.

Bemerkenswert ist, dass der »Verfasser Unbekannt« auch über reichlich Humor verfügt, und diesen u.a. gerne auch in zahlreichen seiner Gedichte zeigt, wie folgende Beispiele belegen.
 

Der Unverbesserliche

Man fragte mich: »Heißt’s fragte oder frug?«
Ich sagte drauf: »Ich wähle immer fragte,
da man ja auch statt sagte nicht spräch sug,
was schlecht dem Ohr und Sprachgebrauch behagte.

Der andre sprach: »Ich werde draus nicht klug,
man sagt doch auch nicht schlagte oder tragte?«
Ich sprach: »Ausnahmen sind nur schlug und trug;
doch tug, rug, zug und wug noch keiner wagte.

Nun, wird der Zweifel, der bisher Sie nagte
und plagte – und nicht etwa gar nug und plug –
behoben sein, ob richtig frug, ob fragte?«

Der andre sprach: »Sie haben recht«, und schlug
sich an die Stirn, als ob ihm Licht nun tagte,
»verzeihen Sie, daß ich so töricht frug.«
 

Spaziergang im Walde

Zwei Löwen gingen einst selband
in einem Wald spazoren
und haben da, von Wut entbrannt
einander aufgezohren
Da kamen eines Tags daher
des Wegs zwei Leute, edel
die fanden von dem Kampf nichts mehr
als beider Löwen Wedel
Daraus gehet nun für groß und klein
die weise Lehr´ hervor:
Selbst mit dem besten Freunde dein
im Walde nie spazor!
 

Der zerstreute Barbier

Zum ersten Mal ist gestern
sie freundlich ihm genaht –
und heut muß er rasieren
den alten Kommerzienrat!

Und wie er’s Rasierzeug auspackt,
da denkt er nur an sie;
und wie er den Kunden einseift,
da wird ihm, er weiß nicht wie.

Und wie er wetzt das Messer,
da hält er es schon verkehrt;
und wie er beginnt zu schneiden,
da lächelt er still verklärt.

Und tief und tiefer schneidet
er lächelnd ins Fleisch hinein;
der alte Herr in Gedanken
denkt auch, es müsse so sein.

Da fällt ein Kopf herunter,
da sprudelt ein Brünnlein rot. –
So geht’s, wenn Barbiere lieben!
Der alte Herr war tot.
 

Wassermaus und Kröte

Eine Wassermaus und eine Kröte
stiegen eines Abends spöte
einen steilen Berg hinan.
Sprach die Wassermaus zur Kröte:
»Warum gehst du abends spöte
diesen steilen Berg hinan?«
Sprach zur Wassermaus die Kröte:
»Zum Genuß der Abendröte
geh’ ich diesen Abend spöte
diesen steilen Berg hinan.«

Dies ist ein Gedicht von Goethe
das er eines Abends spöte
auf dem Sofa noch ersann.

(Wie nachgewiesen wurde stammt dieses Gedicht
nicht von Goethe, sondern vom »Verfasser Unbekannt«)
 

Der Leichenzehrer

In dem Grinderhunde
einer Grappelpuppe
saß ein merschwütiger Leichenzehrer
oder Mulscheister
und malte die Rattenschisse
seiner freligen Sau,
die auf einem Hosenrügel saß
und an einem Schiletfürzcehn arbeitete,
bevor sie später bei einem Stelzenfurze
ums Leben kam.

 

Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
»Humor in der Lyrik« wird Ihnen von Alfons Schweiggert präsentiert. Der Münchner Schriftsteller veröffentlichte neben Erzählungen und seinem Roman »Das Buch« mehrere Lyrikbände, Biographien und Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München ist er seit 2010 freischaffender Autor. Schweiggert ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Turmschreiber und Vorstand der »Karl Valentin-Gesellschaft«.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.
 

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