Humor in der Lyrik – Folge 26: Ferdinand Raimund (1790 – 1836): Zauberhafte Possen

Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.

Erste Bekanntschaft mit dem Theater machte Ferdinand Raimund, der nach dem frühen Tod seiner Eltern auf sich allein gestellt war, als Zuckerbäckerlehrling. Er musste im Foyer des alten Burgtheaters während der Pause die Süßwaren seines Lehrmeisters feilbieten, wodurch er wohl erstmals Geschmack am Theater fand. Im Alter von 18 Jahren schloss er sich herumziehenden Komödianten an und schauspielerte sich durch die Provinz. Trotz Ablehnung und Kündigung wegen eines Sprachfehlers ließ er sich nicht unterkriegen. 1814 konnte er in Wien am Theater in der Josefstadt die ersten Erfolge verbuchen. Der künstlerische Durchbruch gelang ihm mit dem Volksstück »Die Musikanten am Hohen Markt«, das sein späterer Schwiegervaters Josef Alois Gleich verfasst hatte und in dem er die Rolle des Geigers »Adam Kratzerl« spielte. Seiner Karriere stand nun nichts mehr im Weg.

Als Mitglied des Theaterensembles in der Leopoldstadt gehörte er bald der Direktion an, trat nicht nur verschiedenen Rollen auf, sondern führte auch Regie. Die Ehe mit der Soubrette Aloisia Gleich war unglücklich. Darauf verliebte er sich in Antonie Wagner, die Tochter eines Kaffeehausbesitzers, der ihr die Heirat mit dem windigen Schauspieler allerdings untersagte. Raimund lebte später mit ihr in wilder Ehe zusammen, wurde aber auch mit ihr nicht glücklich. Seine Vorstellung von der idealen Liebe floss in etliche seiner Stücke ein. Dem Dichter Eduard Bauernfeld erzählte er einmal, wie er sich als junger Mann die Untreue einer Geliebten derart zu Herzen genommen habe, dass er in den Fluss Raab gesprungen sei. Man habe ihn zwar gerettet, aber wenig später habe er es aus einem ähnlichen Grund ein zweites Mal versucht. »Na ja«, meinte Bauernfeld, »aber schließlich sind Sie doch am Leben geblieben?« – »Das schon«, seufzte Raimund, »ich kann mich doch nicht in einem fort umbringen.«

Ferdinand Raimund  Lithographie von Joseph Kriehuber, 1835
Ferdinand Raimund
Lithographie von Joseph Kriehuber, 1835
Und so entschloss er sich, sein Leben mit allen Höhen und Tiefen weiterhin zu durchleiden nach dem Motto:
»Wer heut den Kopf in den Sand steckt,
der knirscht morgen mit den Zähnen.«

In Raimunds Bühnenwerken, die neben denen Nestroys zu den Höhepunkten der Alt-Wiener Volkskomödie gehören, besticht bis heute die Mischung aus Melancholie, erzieherischer Absicht aber auch Humor, der seinem von Schicksalsschlägen geprägten Leben entsprang. Possen wie »Der Bauer als Millionär«, »Der Alpenkönig und der Menschenfeind«, oder »Der Verschwender« wurden rasch beliebt. Sein berühmtes »Hobellied«, das der humorvolle Tischlermeister Valentin Holzwurm im »Verschwender« singt, ist bis heute unvergessen.

Da streiten sich die Leut herum
Oft um den Wert des Glücks,
Der eine heißt den andern dumm,
Am End’ weiß keiner nix.
Da ist der allerärmste Mann
Dem andern viel zu reich:
Das Schicksal setzt den Hobel an
Und hobelt alles Gleich!

Die Jugend will stets mit Gewalt
In allem glücklich sein,
Doch wird man nur ein wenig alt,
Da gibt man sich schon drein.
Oft zankt mein Weib mit mir, o Graus!
Das bringt mich nicht in Wut;
Da klopf ich meinen Hobel aus
Und denk: du brummst mir gut!

Zeigt sich der Tod einst, mit Verlaub,
Und zupft mich: »Brüderl kumm!«
Da stell ich mich ein wenig taub
Und schau mich gar nicht um.
Doch sagt er: »Lieber Valentin,
Mach keine Umständ, geh!«
So leg ich meinen Hobel hin
Und sag der Welt ade!
 

Als ausgeprägter Hypochonder, der sich krankhaft krank fühlte, litt Raimund immer wieder unter Depressionen. 1829 versuchte er sich an Tragödien wie »Die unheilbringende Zauberkrone«, womit er bei Publikum und Kritik aber keinen Erfolg hatte. Hierauf zog er sich auf sein Gut Pernitz zurück.

Was ihm die Poesie bedeutete, beschreibt er im folgenden »Fragment«:
 

Die Poesie ist jener goldgewebte Traum,
Der nur vor das geweihte Aug’ des doppelt Wachen tritt.
Sie ist der Seele edelste und reinste Schwärmerei,
Weil sie den Schwärmer nicht allein,
Weil sie durch ihn die Welt erfreuen kann,
Weil sie ein Traum ist, der sich schriftverkörpern läßt.
Noch keiner war, der sich aufs Moos hinstrecken durft’,
Den Schlaf beschwörend durch der Flüche Donner,
Und zu dem Traume kühn gebietrisch rufen:
»Ich will, daß du mir deine Bilder zeigst.«
So auch die Poesie, der götterhohe Traum,
Den keine Formel bannt in unsrer Wünsche Kreis.
Vergebens spricht des Sängers Mund, ich will
Ersinnen jetzt ein Lied voll edler Glut.
 

Ferdinand Raimund kam im Alter von erst 46 Jahren auf kuriose Weise ums Leben. Als er von einem Hund, den er in seiner Angstbesessenheit fälschlicherweise für tollwütig hielt, gebissen wurde, geriet er in Panik und erschoss sich aus Furcht vor den schlimmen Folgen.

In seinem Stück »Der Bauer als Millionär« weist er in seinem »Aschenlied« darauf hin, dass im Leben alles letztlich nichts anderes als vergängliche Asche ist.
 

Aschenlied

So mancher steigt herum,
Der Hochmut bringt ihn um,
Trägt einen schönen Rock,
Ist dumm als wie ein Stock.
Von Stolz ganz aufgebläht,
O Freunderl, das ist öd!
Wie lang stehts denn noch an,
Bist auch ein Aschenmann!
Ein Aschen! Ein Aschen!

Ein Mädchen kommt daher,
Voll Brüssler Spitzen schwer.
Ich frag gleich wer sie wär?
Die Köchin vom Traiteur!
Packst mit der Schönheit ein,
Gehst glei in d’ Kuchel rein!
Ist denn die Welt verkehrt?
Die Köchin ghört zum Herd.
Ein Aschen! Ein Aschen!

Doch vieles in der Welt,
Ich mein nicht etwas ‘s Geld,
Ist doch der Mühe wert,
Daß man es hoch verehrt.
Vor alle braven Leut,
Vor Lieb und Dankbarkeit,
Vor treuer Mädchen Glut,
Da zieh ich meinen Hut.
Kein Aschen! Kein Aschen!
 

Bei Raimunds Possen fragen sich manche, ob sie denn wirklich etwas mit Humor zu tun haben, da sie doch eher wehmütig und melancholisch daherkommen. Der Begriff Humor entstammt bekanntlich der lateinischen Bezeichnung »umor«, was in etwa Feuchtigkeit bedeutet. Alles, was Existierendes befeuchtet, erweckt es zum Leben und erhält es am Leben. Wo Humor aufstrahlt, gedeiht zweifellos Leben. In diesem Sinn meint der Schriftsteller und Kulturkritiker Theodor Haecker: »Der Humor ist das Feuchte, und das Feuchte stellt die Verbindung her zwischen den Teilen, das Trockene und Vertrocknete ist die Isolation, das Steinerne. Verbindung aber ist Leben, und Tod ist Isolation.« So gesehen beinhaltet der Ausfluss von Humor immer auch jene Feuchtigkeit, die sich in Tränen zeigt. Der Mensch kann weinen und lachen, lachen bis ihm die Tränen kommen. Tränen sind ein Zeichen der Lösung und des Neubeginns und somit Ausdruck echten Humors. Manche sind sogar der Ansicht, Humor sei nur ein gut getrocknetes Weinen oder gar die Lust zu lachen, wenn einem zum Heulen ist. Der wahre Humor ist sich also bewusst, dass man im Grunde genommen nichts zu lachen hat, worüber man aber lachen darf, bis einem die Tränen kommen. Der Halbvers des Römers Vergil »sunt lacrimae rerum«, womit gemeint ist, dass alle Dinge in der Welt ihre eigenen Tränen haben im »vallis lacrimarum«, jenem oft beklagten Tal der Tränen, weist darauf hin, dass Leben ohne Leid nicht möglich ist. Dies muss jeder, der echten Humor besitzt, verinnerlichen. Mit Humor scheint es sich also wie mit Austern zu verhalten: eine Perle setzt immer eine kleine Wunde voraus. Und dessen war sich auch Ferdinand Raimund bewusst.

 

Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
»Humor in der Lyrik« wird Ihnen von Alfons Schweiggert präsentiert. Der Münchner Schriftsteller veröffentlichte neben Erzählungen und seinem Roman »Das Buch« mehrere Lyrikbände, Biographien und Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München ist er seit 2010 freischaffender Autor. Schweiggert ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Turmschreiber und Vorstand der »Karl Valentin-Gesellschaft«.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.
 

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