Humor in der Lyrik – Folge 33: Johann Nepomuk Nestroy (1801-1862): »Einen Jux will er sich machen!«

Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.

Er ist »sehr lang, etwas ungeschlacht, blatternarbig, rundes Gesicht, lockiges, etwas graues Haar, greller Schauspieler, desto glücklicherer Coupletsänger, fruchtbarer und beliebter Possenreißer, trefflicher Zeichner gemeiner Charaktere, schreit entsetzlich, treibt sich in Kneipen herum, in der Ehe sehr veränderlich, aber jedesmal Pantoffelheld«, so eine zutreffende Beschreibung Nestroys, dieses langen Lulatschs mit der windschiefen Figur und den fahrigen Bewegungen, der, bevor er noch den Mund aufmacht, schon rein optisch eine Lachnummer ist. Das Publikum reagiert bei seinen Auftritten begeistert.

Der Name »Nestroy« kommt aus dem Polnischen und bedeutet »Der nichts arbeitet«. Das trifft auf den Komiker aber keinesfalls zu, denn er schuftete bis zum Umfallen. Seine Arbeitswut kommt vermutlich daher, dass er von seinem Vater nur einige Möbel und ein paar Bücher erbt. »Armut ist ohne Zweifel das schrecklichste«, so Nestroy. »Mir dürft einer zehn Millionen herlegen und sagen, ich soll arm sein dafür, ich nähm sie nicht.« Und so bemüht er sich nach abgebrochenem Jurastudium ein Opernstar zu werden, was trotz seiner wohlklingenden Bassstimme misslingt. Als er mit komischen Stehgreifeinlagen das Publikum zu Lachstürmen hinreißt, wird er zwar vom Operndirektor entlassen, weiß nun aber, das seine Stärken im komischen Sprechtheater liegen, dem er sich nun mit aller Kraft zuwendet.

Nach Wanderjahren durch Amsterdam, Brünn, Graz, Preßburg und Lemberg präsentiert er sich 1826 mit seinem Stück »Die Verbannung aus dem Zauberreiche« als Dramatiker. Er schreibt nun Schwank um Schwank, aber erst im Alter von 32 Jahren gelingt ihm mit dem furiosen Stück über drei Lottogewinner – der Titel »Der böse Geist Lumbazivagabundus« – der Durchbruch.

In dem berühmten »Kometenlied« aus dieser Posse mit dem einprägsamen Refrain: »Die Welt steht auf kein´ Fall mehr lang« zählt Nestroy allerlei Anzeichen am Himmel und auf der Erde auf, die belegen, dass die Welt nicht mehr lang steht und auf den Untergang zusteuert.
 

Am Himmel is die Sonn´ jetzt voll Kapriz,
Mitten in die Hundstag´ gibt´s kein´ Hitz;
Und der Mond geht auf so rot, auf Ehr´,
Nicht anderster, als wann er b´soffen wär´;
Die Millistraßen oben, die verliert ihren Glanz,
Die Milliweiber ob´n verpantschen s ganz.
Aber lass´n ma das – herunt´ geht´s bunt,
Herunt´ schon sieht man´s klar, die Welt geht z´grund.
Ich war jüngst im Theater, das vergesse ich nie,
Vom Stück weiß ich nix mehr, aber von der Regie!
Überm Orchester war a Steg und auf der Bühne a Treppn
Und g´spielt habn s´ wie die Trotteln und applaudiert hab´n die Deppn.
Da wird einem halt angst und bang,
Die Welt steht auf kein´ Fall mehr lang lang lang lang lang lang
Die Welt steht auf kein´ Fall mehr lang.

[…]

Die Fixstern´, sag´n s´, sind alleweil auf ei´m Fleck,
´s is erlog´n, beim Tag sind s´ alle weg;
´s bringt jetzt der allerbeste Astronom
Kein´ saubre Sonnenfinsternis mehr z´samm’;
Die Venus kriegt auch ganz eine andre G´stalt,
Wer kann davor, sie wird halt a schon alt.
Aber wenn auch ob´n schon alles kracht,
Herunt´ is was, was mir noch Hoffnung macht.
Die Bankschieber, die retten uns – doch ziagt es sich hin.
Zuerst legen s´ uns hinein und so lieg´n ma halt drin.
Dann retten s´ uns wieder – da is´s wieder aus.
Da hab´n s´ g´sagt, ja die Notenbank, die reißt uns heraus.
Bis zur Rettung, da brauch´n ma noch lang –
Sie schieben sie halt auf d´ lange Bank Bank Bank Bank Bank Bank
Sie schieben sie halt auf d´ lange Bank.
 

Am Ende beläuft sich Nestroys Werk auf über 80 köstliche Komödien, von denen so gut wie jede ein Erfolg wird, darunter »Einen Jux will er sich machen« oder »Der Zerrissene«. Als Schauspieler tritt er in all den Jahren in über 900 Bühnenrollen auf. In allem zeigt er sich als scharfer und bissiger Gesellschaftskritiker, als genauer Beobachter der sozialen und politischen Umbrüche seiner Zeit. In seiner berühmten Gesellschaftsposse »Der Talisman« mit dem rothaarigen Titus Feuerfuchs heißt es in einem Couplet von einer hübschen Frau:
 

Die Schönheit hat dreizehn Partien ausgeschlagen,
Darunter waren achte mit Haus, Ross’ und Wagen,
Zwa Anbeter hab´n sich an ihr´m Fenster aufg´henkt,
Und drei hab´n sich draußen beim Schanzel dertränkt,
Vier hab´n sich beim Dritten Kaffeehaus erschossen.
Seitdem sein a sieb´nzehn Jahrln verflossen,
Jetzt schaut s´ keiner an, sie kann sich auf´m Kopf stell´n, wenn s´ will –
Ja, die Zeit ändert viel.
 

Es ist kein Zufall, dass Nestroy des Öfteren auch mit der Zensur zu kämpfen hat. Seine boshaften Bemerkungen über Metternichs Polizeistaat, deren Zensoren ihn kräftig bespitzeln, tragen ihm des Öfteren eine mehrtägige Kerkerhaft ein. Das reizt ihn erneut zu bissigen Bemerkungen wie: »Ein Zensor ist ein menschgewordener Bleistift … ein Krokodil, das an den Ufern des Ideenstromes lagert und den darin schwimmenden Literaten den Kopf abbeißt.«
Vor dem Tod hatte Nestroy immer Angst, vor allem vor dem »Lebendigbegrabenwerden«, aber seitdem er begraben ist, ist er heute lebendiger denn je.

Über die Menschen hatte Nestroy keine besonders gute Meinung, wie viele Äußerungen von ihm beweisen:
 

»Ich glaub von jedem Menschen das Schlechteste, selbst von mir, und ich hab´ mich noch selten getäuscht.« Oder: »Du hättest recht, wenn die Dummheit eine Geistesschwäche wäre, leider ist sie aber eine furchtbare Stärke, sie ist ein Fels, der unerschüttert dasteht, wenn auch ein Meer von Vernunft ihm seine Wogen an die Stirne schleudert.«

»Der Teufel ist überhaupt nicht das Schlechteste, ich laß mich lieber mit ihm als mit manchem Menschen ein. Er ehrt das Alter, seine Großmutter steht hoch in Ansehen bei ihm, das is halt a schöner Charakterzug. Er halt aufn Handschlag, man siehts, daß er viel mit die Ritter z´ tun g´habt, er erfüllt seine Verträge weit prompter als manch irdischer Schmutzian; freilich nachher am Verfallstag, da kommt er auf d´Minuten, Schlag zwölfe, holt sich seine Seel und geht wieder schön ord´ntlich nach Haus in seine Höll; ´s is halt a Geschäftsmann, wie sich´s gehört.«
 

40 Bände umfasst Nestroys historisch-kritische Gesamtausgabe, die in jahrzehntelanger Arbeit von einer Forschergruppe ediert wurde.

 

Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München

»Humor in der Lyrik« wird Ihnen von Alfons Schweiggert präsentiert. Der Münchner Schriftsteller veröffentlichte neben Erzählungen und seinem Roman »Das Buch« mehrere Lyrikbände, Biographien und Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München ist er seit 2010 freischaffender Autor. Schweiggert ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Turmschreiber und Vorstand der »Karl Valentin-Gesellschaft«.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.

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